Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Sasha Okun Gates of Justice, 2024 ALBERTINA, Wien Michael Marx – ARTS LIMITED

Sasha Okun: Gates of Justice, 2024 ALBERTINA, Wien Michael Marx – ARTS LIMITED

BLICKPUNKTE in einer stetig wachsenden Sammlung

Roy Lichtenstein Tapete mit Interieur mit blauem Fußboden, 1992 ALBERTINA, Wien © Estate of R. L.

Roy Lichtenstein: Tapete mit Interieur mit blauem Fußboden, 1992 ALBERTINA, Wien © Estate of Roy Lichtenstein Bildrecht, Wien 2024

Ein neues Konzept schafft komplexe Zusammenhänge anhand einzelner Schwerpunkte.

Zeitgenössische Kunst ist in der Albertina seit Gründung der entsprechenden Sammlung 2014 auf über 65.000 Werke angewachsen. Mit dem Museum in Klosterneuburg hat sie neben einer sicheren Lagerstätte auch den passenden Rahmen zur Präsentation gefunden. Aus der anfänglichen Dreifaltigkeit von Pop Art, Aktionismus und Depression ist nun eine Aufschlüsselung in einzelne Blickpunkte geworden. Die Anzahl noch nie gezeigter Arbeiten wäre enorm, doch größer scheint die Versuchung, mit Bekanntem auf das Neue, noch Ungesehene hinzuweisen. So wird der Blick gleich zu Beginn auf Roy Lichtenstein und dessen Gemälde gelenkt, die durch ihre Comicmotive und knalligen Farben seit ihrer Entstehung verlässliche Hingucker sind.

Ben Willikens Raum 1777, Camera Silens, 2024 ALBERTINA, Wien | Leihgabe des Künstlers

Ben Willikens Raum 1777, Camera Silens, 2024 ALBERTINA, Wien | Leihgabe des Künstlers

Friedensreich Hundertwasser: 313 Du soleil pour ceux qui pleurent en campagne, 1957 / 1959

Friedensreich Hundertwasser: 313 Du soleil pour ceux qui pleurent en campagne, 1957 / 1959

Freilich kennt man auch Ben Willikens, den legendären Rektor der Münchner Kunstakademie, und dessen ergreifende Auseinandersetzung mit der „Archäologie des Schweigens“. Carceri, Camera Silens und Obersalzberg betonen düstere Kapitel von Gegenwart und jüngster Vergangenheit. Angeregtes Grübeln erregen auch die biomorphen skulpturalen Bilder bzw. bildhaften Skulpturen von Erwin Thorn, die in sanften Schwüngen bereits das gängige flache Rechteck aufzuheben beginnen. Mit dem Tondo, dem kreisrunden Bild, wurde von Ugo Rondinone, Philip Taafe und Robert Schagerl ein uraltes, scheinbar vergessenes Format in die Gegenwart geholt. Was sonst als der Kreis steht so klar für in sich Abgeschlossenes, Fertiges und Vollkommenes?

Über sattsam bekannte Fotografien von Valie Export geht es zu Markus Prachensky, um mit dessen abstrakten Pinselstrichen bei dem Darsteller einer lebensgerechten Welt in Form der Spirale und krummen Linie zu landen. Dem Frühwerk von Friedensreich Hundertwasser folgen „Tränen aus Stahl“ von Marie-Jo Lafontaine als eine Pyramide aus 27 Monitoren, auf denen eine subtile Abrechung mit dem Körperkult an sich läuft. Dem gegenüber steht das Absolute, das Ende. Die gemalte Choreographie eines Totentanzes mit dem Titel „Gates of Justice“ (Sasha Okun) auf einer 4 x 13 Meter breiten Leinwand ist nichts anderes als die Metapher einer Gerechtigkeit, der wir irgendwann alle ohne Ausnahme unterworfen sind.

Philip Taaffe: Unit of Direction, 2003 ALBERTINA, Wien – The ESSL Collection © Philip Taaffe © Fotog

Philip Taaffe: Unit of Direction, 2003 ALBERTINA, Wien – The ESSL Collection © Philip Taaffe © Fotograf:in: Mischa Nawrata

Albertina Klosterneuburg, Pop Art, Ausstellungsansicht

Albertina Klosterneuburg, Pop Art, Ausstellungsansicht

ALBERTINA KLOSTERNEUBURG Wundersame Rückkehr der Gegenwartskunst

Albertina Klosterneuburg und das Chorherrenstift im Hintergrund

Albertina Klosterneuburg und das Chorherrenstift im Hintergrund

Gleich drei Ausstellungen eröffnen das neue/alte Museum an der Peripherie

Es scheint, als quelle die Albertina vor Kunstwerken über. Die Sammlungen sind gewachsen und gewachsen, allein das Palais ist trotz immer wieder raffinierter Raumeinteilung mit den Jahren zu eng geworden. Mit der Albertina Modern im Künstlerhaus konnten bereits für die Gegenwartskunst neue Ausstellungsflächen gewonnen werden. Aber auch damit stieß man bald an eine Grenze des Möglichen, zumal sich neben anderen Schenkungen und Neuerwerbungen die ehemalige Sammlung Essl, ein unvorstellbar gewaltiges Konvolut an Kunstwerken, zu einem guten Teil in Verwahrung der Albertina befindet. Es lag damit nahe, das leerstehende Museumsgebäude in Klosterneuburg zu reaktivieren. Es ist das ideale Haus für die Kunst unserer Zeit; hell, geräumig und architektonisch absolut seinem Inhalt adäquat.

Anselm Kiefer, Claudia Qunita, 2005, Detail

Anselm Kiefer, Claudia Qunita, 2005, Detail

Tom Wesselmann, Rosemary liegend bei Liz, 1989-91

Tom Wesselmann, Rosemary liegend bei Liz, 1989-91

Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder hat mit der Erweiterung an die Peripherie der Großstadt ein letztes Opus magnum verwirklicht. Er darf ins Schwärmen geraten: „Die Albertina Klosterneuburg ist eine Vision, die Wirklichkeit geworden ist.“ Neben Kulturzentren wie dem Chorherrenstift und dem Museum Gugging ist das aus kurzem Schlaf erweckte ehemalige Essl-Museum mit dem neuen Namen ein Anziehungspunkt, der, so die Hoffnung Schröders, als Ausflugsziel den Menschen das Verständnis für Kunst spannend und vor allem niederschwellig näher bringt. Dazu wurden fürs Erste im wahrhaft großzügigen Raumangebot drei Ausstellungen untergebracht.

Ausstellungsnidcht mjit Werken von Arnulf Rainer

Ausstellungsnidcht mjit Werken von Arnulf Rainer

Pop Art empfängt die Besucher mit Arbeiten von Andy Warhol unter dem Motto „The Bright Side of Life“ ganz ohne Querverweis auf „Das Leben des Brian“, aber mit einem schrägen Humor, der durchaus an die Monty Pythons erinnert. Die Wände sind voll mit Wiederholungen von Rennautos, Daimler Motorkutschen, Mao-Visagen und Campell´s Soup Cans.

Diesen folgen alte Bekannte wie der Schutzengel von Peter Pongratz, etliche der fein flächigen Gemälde von Alex Katz oder O.T. von Kiki Kogelnick, aber auch eine Reihe noch nie gezeigter Werke, die es allerdings zu entdecken gilt. Auf der anderen Seite des Hauses geht es „Von Hundertwasser zu Kiefer“ als Symbol der Freiheit zu den Schatten der Vergangenheit, die sich vor allem in der Abstraktion der Malerei ausgedrückt hat, um im Aktionismus, einem frommen Kreuzgang Arnulf Rainers und dem kämpferischen Feminismus einer Maria Lassnig ihren ungestümen Höhepunkt zu erklimmen. Den Abschluss bildet im zweiten Stock „Die lädierte Welt“ als eine düster besinnliche Schau, in der Tod und Vergänglichkeit die eigentliche Inspiration waren, beispielsweise in einem Memento mori kopulierender Gerippe („The Selfish Gene“ von Marc Quinn) oder riesigen Gemälden von Gilbert & George (z. B. „Blood an Tears“). Einer Depression wird insofern vorgebeugt, als auch in dieser sich todernst gebenden Kunst immer ein Augenzwinkern zu bemerken ist, was ein Blick in das Rondeau bestätigt, wo unter der Aufsicht des Schwarzen Käfers von Gudrun Kampl „Die Päpste“ von Virgilius Moldovan in Unterhosen „heilende Akrobatik“ trainieren.

o.: Gudrun Kampl, Schwarzer Käfer, 2010-11, u.: Virgilius Moldovan, Die Päpste, heilende Akrobatik,

o.: Gudrun Kampl, Schwarzer Käfer, 2010-11, u.: Virgilius Moldovan, Die Päpste, heilende Akrobatik, 2008

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