Kultur und Weindas beschauliche MagazinErwin Wurm, Die Retrosepktive zum 70. Geburtstag, Ausstellungsansicht ERWIN WURM und die Logik im Paradoxen & Absurden
Für Interpretationen seiner Werke ist Erwin Wurm nicht verantwortlich. Nicht selten ist natürlich Provokation, die dem Universum seiner schrägen Ideen immanent ist und manches darf einfach mit einem Lächeln quittiert werden; was natürlich nicht heißt, dass seine Kunst nicht ernst zu nehmen ist. Erwin Wurm ist ein Meister der Verunsicherung, der freundlich einlädt, sich mit dem Unverständlichen einzulassen. Dahinter steht gewissenhafte Kunstfertigkeit, beispielsweise bei den One Minute Sculptures, für die das Modell eine Minute lang eine penibel choreographierte Pose im Zusammenspiel mit einem Gegenstand einzunehmen hat. Oder in den bewusst gewählten Details im beengten Narrow House im Gegensatz zum lackglänzenden Fat Car, das sich vordergründig als Symbol von Gier und Angeberei präsentiert. Bevor Wurm aber mit der sozialen Predigt anhebt, reißt er seine eigene Bedeutung vom Sockel, indem er sich als naturalistisch geformtes Gurkerl porträtiert, das in der Vervielfältigung zum Running Gag einer möglichen Sicht auf die Gesellschaft wird. Aber wie gesagt, alles ist offen, jede Ansicht ist erlaubt und Spaß an seinem künstlerischen Output nahezu Pflicht.
ALFRED KUBIN. Die Ästhetik des Bösen, Ausstellungsansicht ALFRED KUBIN Albträume mit den Ungetieren des Bösen
Mit zehn Jahren erlebt Alfred Kubin (1877-1959) den Todeskampf seiner schwindsüchtigen Mutter und die Verzweiflung seines Vaters. Ein gutes Jahr später stirbt auch die Stiefmutter im Wochenbett. Mit elfeinhalb vergreift sich eine Schwangere sexuell an dem Kind und schafft damit eine Störung, die nach eigener Aussage Kubins bis in seine Mannesjahre anhält. Der Heranwachsende macht eine „tatsächliche Höllenperiode“ durch, ungeliebt vom Vater und der Amme von dessen jüngster Tochter. In dieser Zeit formen sich in seiner Seele alle die Szenen, die ihn später berühmt gemacht haben, zu schockierenden Bildern. Der Bub kann zeichnen und wird von einem kunstsinnigen Freund der Familie entdeckt. Anfangs in einer Privatschule, später an der Kunstakademie München lernt er das Handwerk eines Malers. Werke des Symbolisten Max Klinger öffnen ihm den Zugang zu einer neuen Kunst. Diese bricht unerwartet während des Besuchs in einem Varieté-Theater wie eine Sturzflut des Unheimlichen über ihn herein. Seltsame Wesen, groteske Landschaften und furchtbare Situationen werden in seinem Notizheft festgehalten, um als Tuschzeichnungen ausgefertigt zu werden.
„ALFRED KUBIN. Die Ästhetik des Bösen“ (bis 9. Februar 2025) gibt nun Einblick in diese frühe Schaffensphase von 1899 bis 1904. Die einzelnen Blätter nehmen sich wie ein Menetekel der Katastrophen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus. Anfänglich ausbleibende Anerkennung wird von einer rasch einsetzenden Bekanntheit dank einer Mappe mit fünfzehn Reproduktionen seiner Zeichnungen von Hans von Weber abgelöst. Das Publikum gruselt sich wohlig an den Szenen, die in jedem Psychologen Alarm auslösen müssten. Selbstbetrachtung erfolgt zwischen dem Enthaupteten und dessen gegenüber liegenden viel zu großen Kopf. Die Wissenschaft ist ein Affe, der zu Forschungszwecken einen Leichnam besteigt, und das Grausen quillt als überdimensionales Auge aus einem Totenkopf, der über dem Tod geweihte Seeleute nur hämisch lachen kann. Schwarzgraue Vogelschwärme flattern durch peinigende Angstträume, die den Schlafenden in Gestalt eines Weibes mit gespenstisch langen Gliedern jede Nacht besuchen. Die Kindermörderin hat ebenso ihren Platz wie die letzte Amme, die anstelle des Säuglings einen Verstorbenen im Sarg vor ihrer Brust wiegt. Alfred Kubin Der Gefangene, vor 1900 ALBERTINA, Wien © Eberhard Spangenberg, München / Bildrecht, Wien 2024 Die Besucher der Ausstellung werden jedoch mit diesen verstörenden Szenarien nicht allein gelassen. Wandtexte und ein Katalog mit ausführlichen Texten geben Einblick über die Hintergründe, die Kubin in den Zeichnungen genial verschlüsselt hat. Breiter Raum wird der Femme fatale gewidmet, die für den Künstler selbst als rücksichtlose Verführerin gegolten hat und ihn zum stellvertretenden Opfer der Männer degradiert. Die Frau wird zur gefürchteten Schlächterin oder zur den Tod gebärenden Spinne, in deren Netz sich Liebespaare verfangen. Schwangere mutieren zu monströsen Eiern und die Vagina zu einem den Eingezwängten verschlingenden Felsspalt. Als seine Rächer sieht er den Schwertfisch, der eine Frau in der Leibesmitte aufspießt, oder den Affen, der genussvoll den Kopf einer Nackten abbeißt. Etliche der Zeichnungen sind erschreckend prophetisch, wie der Gefangene in einem Verlies voller Monster, die zu Stützbeinen reduzierten Männerkörper eines großen, alles bestimmenden Kopfes, der auch den Krieg ersinnt, einen schrecklichen antiken Helden, der zu allen Zeiten bis heute mit mächtigen Füßen Reihen von Soldaten wie Ameisen zertritt. Statistik |