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Chagall, Ausstellungsansicht in der Propter Homines Halle

Chagall, Ausstellungsansicht in der Propter Homines Halle

CHAGALL Der Fiedler auf dem Dach von Witebsk

Marc Chagall, Die rote Sonne, 1949, Detail

Marc Chagall, Die rote Sonne, 1949, Detail

Sinnliche Farbenpracht lockt in ein rätselhaftes Treiben jenseits der Wirklichkeit

Unsere ganze innere Welt ist Realität – und das vielleicht mehr noch als unsere sichtbare Welt“, ist das Bekenntnis des Malers Marc Chagall. Hineingeboren wurde er 1887 in eine jüdisch-chassidische Familie in Weißrussland. Man sprach jiddisch und hielt sich streng an die geltenden Vorschriften. Dazu gehörte auch das Gebot, du sollt dir keine Bilder machen, nicht von Jahwe, aber auch nicht von seiner Schöpfung. Der heranwachsende junge Mann hatte aber das gottgegebene Talent zu zeichnen und zu malen. War es ein findiger Rabbi, der den Ausweg erdachte, oder einfach sein eigener Wille, der ihn mit raffinierten Auslegungen das Verbot umgehen ließ. Chagall malte nicht die offensichtliche Realität, sondern das Dahinter; Seelenlandschaften und Emotionen, die er in einer überwältigenden Farbenintensität darstellte.

 Marc Chagall Der Papierdrachen, 1925-26 ALBERTINA, Wien – Sammlung Batliner © Bildrecht, Wien 2024

Marc Chagall Der Papierdrachen, 1925-26 ALBERTINA, Wien – Sammlung Batliner © Bildrecht, Wien 2024

Marc Chagall Das gelbe Zimmer, 1911 Riehen/Basel, Fondation Beyeler © Bildrecht, Wien 2024

Marc Chagall Das gelbe Zimmer, 1911 Riehen/Basel, Fondation Beyeler © Bildrecht, Wien 2024

Verortet sind viele seiner Gemälde in der kleinen Stadt Witebsk, dem ersten Heimatort eines später unstet durch die Welt getriebenen Künstlers. Die Ähnlichkeiten mit Anatevka sind kein Zufall. Dort wie in „meiner traurigen, meiner fröhlichen Stadt“ sitzt der Geiger auf dem Dach und spielt seine nur mit dem Gemüt hörbare Melodie zum Tanz fliegender Liebepaare, grüner Kühe und übermütiger Clowns. 1910 zieht es Chagall nach Paris, von wo er 1914 zurückkehrt. Aufgrund des Ersten Weltkrieges wird er daheim festgehalten, durchlebt die Oktoberrevolution und gerät in einen Disput mit den neuesten Strömungen russischer Kunst wie dem Suprematismus eines Kasimir Malewitsch, der Chagall als veraltet ablehnt. Ab 1922 wird er, wieder in Paris, zu einem der erfolgreichsten Künstler seiner Zeit. Mit dem Zweiten Weltkrieg und den Nazis erfolgt der nächste Rückschlag. Seine Kunst gilt als entartet. Er ist zu weiterer Flucht gezwungen. Die USA bleiben ihm fremd. 1948 kehrt er nach Frankreich zurück und wird mit Matisse und Picasso zum großen Dreigestirn der Moderne. Im stolzen Alter von 98 Jahren stirbt Marc Chagall in Saint-Paul de Vence an der Côte d’Azur, seinem endgültig letzten Witebsk.

Marc Chagall Der Geburtstag (Detail), 1923 AOKI Holdings © Bildrecht, Wien 2024 Foto: AOKI Holdings

Marc Chagall Der Geburtstag (Detail), 1923 AOKI Holdings © Bildrecht, Wien 2024 Foto: AOKI Holdings

Marc Chagall Der große Zirkus, 1970 ALBERTINA, Wien – Sammlung Batliner © Bildrecht, Wien 2024

Marc Chagall Der große Zirkus, 1970 ALBERTINA, Wien – Sammlung Batliner © Bildrecht, Wien 2024

Die Albertina huldigt in der Ausstellung „CHAGALL“ (bis 9. Februar 2025) rund um dessen 40. Todestag diesen herausragenden Künstler; als letztes großes Anliegen des scheidenden Generaldirektors Klaus Albrecht Schröder. 100 Werke, zusammengetragen aus nahezu allen Teilen der Welt, ausgenommen dem Krieg führenden Russland, geben einen Überblick von den frühen, zwischen 1908-1910 noch im Zarenreich geschaffenen Bildern, über die poetischen Kompositionen der Pariser Jahre bis zu den Großformaten, wie sie Chagall in Südfrankreich gemalt hat.

Er war Jude, hatte aber mit dem Christentum kaum Berührungsängste, wie auch dieses gerne seine Dienste in Anspruch genommen hat, beispielsweise bei Kirchenfenstern. Eines seiner tiefgründigsten Werke ist zweifellos „Der Engelssturz“ 1923-1933-1947. Aus dem Himmel fallen neben dem glühend roten Engel ein Mann mit Gehstock, eine Pendeluhr und eine Violine auf eine Ortschaft wie Witebsk. An der linken Seite umfängt ein Rabbi schützend Thorarollen, dazwischen reckt ein gelbes Fabelwesen seinen Kopf nach oben und rechts schwebt eine Mutter mit Kind. Allein diese Elemente sind bereits schwer zu deuten, am überraschendsten ist jedoch der Gekreuzigte. Jesus ist als Märtyrer dargestellt, dem eine davor brennende Kerze Trost spenden könnte. So gibt es in der Ausstellung auch hier wie neben vielen der gezeigten Werke aufschlussreiche Texte zur Interpretation, mit denen sich diese Schau als faszinierendes Flugerlebnis durch eine Welt jenseits der Vernunft bietet.

Marc Chagall Rabbiner in Schwarz-Weiß (Der betende Jude), 1914–1922 © Bildrecht, Wien 2024

Marc Chagall Rabbiner in Schwarz-Weiß (Der betende Jude), 1914–1922 Fondazione Musei Civici di Venezia, Galleria Internazionale d′Arte Moderna di Ca’ Pesaro © Bildrecht, Wien 2024

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