Kultur und Wein

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Robert Longo, Ausstellungsansicht

Robert Longo, Ausstellungsansicht

ROBERT LONGO Die wahre Welt ist kohlenschwarz

Robert Longo, Ausstellungsansicht

Robert Longo, Ausstellungsansicht

Erschreckende Schönheit in fotorealistischen Großformaten

Der US-amerikanische Künstler Robert Longo (*1953 in NY) trägt in sich die moralische Verpflichtung, „die Bilder unserer gemeinsamen dystopischen Gegenwart zu bewahren – in der Hoffnung, dass sich eines Tages etwas ändern wird.“ Er stellt dazu Themen unserer Tage zur Diskussion. So zeigt sein Werk „Raft at Sea“ ein Schlauchboot, übervoll besetzt mit Männern, die ein Vermögen dafür bezahlt haben, von Schleppern auf diesem unsicheren Gefährt aufs offene Meer hinaus und nicht selten in den Tod geschickt zu werden. Man kennt solche Bilder aus täglichen Meldungen der Tageszeitungen, die über Scharen von Migranten berichten, die auf diese Weise von Afrikas Küsten Richtung Italien aufbrechen, in das gelobte Land namens Europa, in dem angeblich Milch und Honig fließen. Robert Longo wirft dazu den Betrachter selbst ins Wasser, in die hoch gehenden Wellen, in denen man zu schwimmen scheint, und er verweist damit auf „Das Floß der Medusa“, ein Meisterwerk von Théodore Géricault aus 1819. Wiederholt sich die Geschichte zwangsläufig? Bei genauem Hinschauen auf das düstere Sujet ist es eher ein Hinweis auf das Ungleichgewicht zwischen dem anziehenden Wohlstand der sogenannten ersten und der unvorstellbaren Armut in der dritten Welt, das Menschen zu potentiellen Selbstmördern macht, getrieben von einer diffusen Erwartung von Verbesserung der Lebensumstände. Kann sich daran etwas ändern, so lange diese Realität von der weltweiten Politik nicht erkannt und beseitigt wird? Die Hoffnung darauf ist wohl vergebens.

 Robert Longo, White Tiger, 2011 Privatsammlung, Basel | © Robert Longo / Bildrecht, Wien 2024

Robert Longo, White Tiger, 2011 Privatsammlung, Basel | © Robert Longo / Bildrecht, Wien 2024 Foto: Robert Longo Studio

 Robert Longo, Nagasaki, B, 2003, Sammlung Siegfried und Jutta Weishaupt | © Robert Longo

Robert Longo, Nagasaki, B, 2003, © Robert Longo / Bildrecht, Wien 2024 Foto: Robert Longo Studio

Ein anderes Gebiet seiner Malereien sind „Men in the Cizies“, die Longo ins Jetzt „hineinzucken“ lässt. Es könnte sich bei den gut gekleideten Damen und Herren um Tänzer handeln, genauso aber auch um Personen, die sich, von einer Kugel getroffen, um die eigene Achse drehen, bevor sie zusammenbrechen. Unter dem Titel „Epische Kunst“ greift Longo das Pathos, die Ästhetik und Erzählweise des amerikanischen Films auf. In Standbildern fängt er den Moment der Spannung und den emotionalen Höhepunkt ein. Es ist seine besondere Technik, die sich nicht um diverse Strömungen zu kümmern scheint und dennoch Robert Longo zu einem ungemein wichtigen Künstler unserer Zeit gemacht hat. Er setzt Fotos in riesigen Kohlezeichnungen um, schafft mit Schwarz-Weiß verblüffende Lichteffekte und dramatische Stimmungen und lässt dabei dem Blick alle Zeit der Welt, sich in die oft winzigen Details des Dargestellten zu vertiefen. Die Sicherheit des Museums wird vergessen, wenn man einer mächtigen, über die Wand hereinbrechenden Woge gegenüber steht, einem Hai ins Maul voller spitzer Zähne und einem Tiger gefährlich nahe in die Augen schaut oder den Atompilz über Nagasaki vor sich aufsteigen zu sehen vermeint.

Robert Longo, Raft at Sea, 2016–2017, Sammlung Siegfried und Jutta Weishaupt | © Robert Longo

Robert Longo, Raft at Sea, 2016–2017 © Robert Longo / Bildrecht, Wien 2024 Foto: Robert Longo Studio

Berührend sind dagegen die Zeichnungen, die nach Aufnahmen des Fotografen Edmund Engelmann 1938 in den Wohn- und Arbeitsräumen von Sigmund Freud kurz vor dessen Emigration nach London gemacht wurden. Der Naziterror, der sich auch gegen den berühmten Begründer der Psychoanalyse gewandt hat, ist unmittelbar zu spüren. Im Portal hängt die Fahne mit dem Hakenkreuz, die Eingangstür ist vergittert und der Sessel am Schreibtisch ist leer. Freud selbst ist nicht zu sehen. Dazu Longo: „Als ich diese Zeichnungen schuf, versuchte ich, Abwesenheit zu zeichnen.“ Nur in der Vorstellung des Publikums präsent sind auch Zeitgenossen wie Mark Rothko, Willem de Kooning oder Jackson Pollock, durchwegs Vertreter des abstrakten Expressionismus. So findet sich ein Gemälde von Longo, das zu „Autumn Rhythm: Number 30“ geschaffen wurde. Pollocks Original ist in der Trip-Painting-Technik ausgeführt. In der Kohlezeichnung macht der bekennende Abstrakte Longo, der sich dennoch als gegenständlich (representational) sieht, die Entstehung nachvollziehbar. Er hat sich im Gegensatz zu Pollock dazu viel Zeit genommen, um die vergossene Farbe akribisch und detailgenau nachzuzeichnen, verbunden mit dem in allen seinen Werken spürbaren Willen zu erschreckender Schönheit (bis 26. Jänner 2025).

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