GEISTERHÄUSER Sichtbar gemachte Faszination der Vergänglichkeit
Ein opulenter Bildband führt zu verlassenen Orten in den Alpen
„Lost Places“ üben seit jeher eine geheimnisvolle Anziehungskraft aus. Romantische Burgruinen, kaum noch erkennbare Reste von ehemaligen Straßen in verwilderter Landschaft, Villen, aus denen der letzte Bewohner schon vor Jahrzehnten ausgezogen ist, alle diese verlassenen und obsolet gewordenen Schöpfungen menschlicher Gestaltungskraft scheinen von sich aus zu uns zu reden, uns ihre Geschichte erzählen zu wollen. Die verbindliche Sprache ist dabei jedoch allein die Phantasie, die abgebröckelte Mauern, mit Spinnweben überzogene Möbel oder eine vergessene, vom Staub dicht überzogene Weinflasche wieder mit dem Leben, das einst hier geherrscht hat, erfüllen kann. Die Urbexer, ein Kofferwort aus Urban Exploration, haben sich auf ihrer Suche längst aus der Stadt hinaus aufs Land hinaus begeben.
Dort halten sie den Verfall mit der Kamera fest und präsentieren die Ergebnisse dieser Expeditionen in den Social Media. Wenn nun zwei Profis wie der Fotograf Stefan Hefele und der Geschichtenerzähler Eugen E. Hüsler im Grund das Gleiche machen, ist es dennoch nicht dasselbe. Wenn für die einen spielerisches Gruseln das Ziel ist, dann steht für die beiden Autoren des Buches „Geisterhäuser. Verlassene Orte in den Alpen“ (Bruckmann Verlag) ein ernsthaftes Anliegen dahinter. Es geht um eine – allerdings künstlerisch überhöhte – Bestandsaufnahme des aktuellen Zustandes von nicht mehr gebrauchten Einrichtungen in einer Welt, der die Selbstzerstörung durch das eigene Überlebt werden immanent ist.
Der in Bayern lebende Fotograf Stefan Hefele, geb. 1986, hat auf seinen eindrucksvollen Bildern „nicht nur Augenblicke festgehalten, sondern darüber hinaus viel Atmosphärisches eingefangen, Stimmungen, die dem Objekt und der Landschaft ihren ureigenen Charakter Verleihen. Wie der Maler, der den Sonnenuntergang etwas dramatischer, die Burgruine ein wenig bedrohlicher darstellt, der uns das Rauschen eines Wasserfalls vor Augen führt und so ins Gehör lenkt.
Seine Bilder spüren dem Mystischen, dem Verwunschenen und Verschwundenen nach.“ Gewidmet hat ihm diese anschauliche Beschreibung der 1944 geborene Co-Autor Eugen E. Hüsler. Von ihm stammen die erläuternden Texte und Gedanken zu den jeweils ausgewählten Beispielen.
Es beginnt mit „Lebensadern“. Das Kapitel folgt Straßen und Wegen in den Alpen, auf denen einst rege Betriebsamkeit geherrscht hat, die jedoch im Lauf der vernichtenden Zeit ihre Verbindlichkeit gründlich verloren haben. Das „Bauernleben“ schlägt die Brücke zu aufgelassenen Gehöften in karger Landschaft mit der berührenden Antwort eines der letzten Bewohner auf die Frage, warum er nicht wie die anderen weggezogen sei: „Questa è casa mia.“ Es geht weiter mit den Festungen, mit denen sich Kriege bis in die jüngste Zeit in die schönsten Landschaften „eingebunkert“ haben. Einiges an emotionaler Widerstandskraft erfordern die „Arbeitswelten“, die in vom Rost zerfressene Maschinenräume und vom Efeu überwucherte Betonsilos führen.