Kultur und Weindas beschauliche MagazinSeán McDonagh © Tommy Hetzel KÖNIG LEAR Verwirrend beeindruckende Sparversion
Als Motto könnte über dieser gewaltigen Tragödie stehen: Väter, traut niemals euren Kindern! Zwei Töchter des Königs schwören ihm die ganz große Liebe – und kehr um die Hand versuchen sie den lästigen Alten loszuwerden und schicken ihn in die Wüste. In der Nebenhandlung treibt ein „Bastard“ ein gar übles Spiel, das seinem Vater nicht zuletzt die Blendung einbringt. Seit der sagenhaften Zeit im alten England hat sich nicht viel daran geändert und macht den König Lear zu einer zeitlosen Jammergestalt, dem nichts als temporärer Wahnsinn und am Ende tiefste Verzweiflung bleibt. William Shakespeare hat daraus seine moralischen Schlüsse gezogen und lässt den Tod ein Fest feiern, das die Guten geradeso betrifft wie die Bösen.
Regisseur Rafael Sanches hat mit einer Neuübertragung (ursprünglich für Schauspiel Köln) und Einrichtung für sechs Personen den Stoff nicht nur kompakt zusammengefasst, sondern darüber hinaus, ganz im Geist von Shakespeare, vor einem schwarzen Hintergrund mitreißendes Theater geschaffen. Nicht gespart wurde an der Komparserie. 30 in dunkles Grau gewandete Frauen und Männer werden zum Tross des König, wenn sie ihn auf den Schild heben, müssen aber auch als bellende Hunde Wache halten und als Soldaten der aufeinanderprallenden Heere kämpfen. Als Magier düsterer Klänge untermalt Pablo Giw die teils grausamen Szenen und erzeugt damit einen zusätzlichen Gänsehauteffekt, der von Videos, effektvoll eingesetzt von Nazgol Emami, noch verstärkt wird und die Stürme mächtig blasen lässt. Ein König aus dem Bilderbuch ist Martin Reinke. So lange sein Lear die Macht hat, ist er das gedankenlose Großmaul, das mit willkürlichen Verbannungen rasch zur Hand ist und für Schmeicheleien ein gnädig offenes Ohr hat. Es fällt ihm auch in der Bredouille noch schwer, seine Fehler einzusehen. Dass er auf seine beiden attraktiven Töchter Goneril (Sylvie Rohrer) und Regan (Lilith Häßle) stolz ist, lässt sich noch verstehen.
Nils Strunk © Tommy Hetzel SCHACHNOVELLE Literarische Züge eines Musikschauspiels
Nils Strunk fühlt sich auf der Bühne sichtlich wohl, wie ein Fisch im Wasser. Er ist Schauspieler, Musiker und Regisseur, aber mehr noch, er steckt voller Ideen, wenn es darum geht, das Publikum zu überraschen. Nach einer fulminanten Überschreibung der Zauberflöte hat er sich für seinen nunmehrigen Wurf in der jüngeren Vergangenheit umgesehen. Fündig wurde Strunk bei Stefan Zweig, der im Zuge seiner Emigration von New York nach Buenos Aires auf einem Schiff unterwegs war. In seiner letzten Station, in Brasilien, verfasste der überzeugte und deswegen verfolgte Gegner jedweder Art von Totalitarismus über ein denkwürdiges Erlebnis auf dieser Überfahrt die Schachnovelle – als erschütterndes Vermächtnis an künftige Generationen, sich der Gräuel des Nationalsozialismus stets eingedenk zu sein. Dieses Stück Weltliteratur ist an sich bekannt. Der von der Gestapo in einem karg eingerichteten Zimmer über viele Wochen internierte Rechtsanwalt Dr. B. gerät in den Besitz eines Schachbuchs, voll mit formelhaften Spielzügen, die er auswendig lernt und mit sich selbst durchspielt. Mit ihm befindet sich auf dem Schiff der amtierende Schachweltmeister Mirko Czentovic, eine Art Sauvant, dessen soziale und geistige Intelligenz in krassem Gegensatz zu dessen Können auf dem Schachbrett steht. Nils Strunk vor Zeichnungen von Herbert Nauderer © Tommy Hetzel Die Begegnung der beiden so grundverschiedenen Menschen und die Erzählung des Dr. B. von seiner Haft bilden den Inhalt dieser Novelle, die von Nils Strunk gemeinsam mit Lukas Schrenk als musikalisches Schauspiel für das Burgtheater umgesetzt wurde. Es ist der Monolog eines Ich-Erzählers, der seinen Zuhörern auf dieser Überfahrt damit kurzweilig die Zeit vertreibt. Begleitet wird er von drei Musikern (Jörg Mikula/Sebastian Simsa an Drums, Percussion und Celesta, Hans Wagner/Bernhard Moshammer mit Bass, Gitarre & Vocals, Martin Ptak/Alois Eberl mit Posaune, Harmonium, Celesta). Strunk selbst werkt virtuos am Klavier und spielt auf dessen Tasten erstaunlicherweise die ganze Eröffnung einer Schachpartie. Er wird sogar zum Kulissenschieber, die von Maximilian Lindner aus grauschwarzen Zeichnungen des deutschen Künstlers Herbert Nauderer gestaltet wurden. Beinahe nebenbei schlüpft er von einer Rolle in die andere.
Nicholas Ofczarek und die Musicbanda Franui © Tommy Hetzel HOLZFÄLLEN Ein Tag im Leben eines Misanthropen
Der Erzähler sitzt in einem Ohrensessel und beobachtet die „künstlerische Gesellschaft“, die anlässlich des späten Besuchs eines Burgschauspielers geladen wurde. Ort des Geschehens ist die Wohnung des Ehepaares Auersberger in der Gentzgasse. Sie ist Sängerin und er Komponist, allerdings schwer dem Alkohol verfallen. Der Roman mit dem Titel „Holzfällen“ von Thomas Bernhard ist 1984 erschienen und hat durch eine Ehrenbeleidigungsklage eines gewissen Gerhard Lampersberg, der sich in der Figur des Hausherren erkannt hat, einen veritablen Skandal inklusive Beschlagnahme der Bücher in den österreichischen Buchhandlungen ausgelöst. Der Wirbel wurde bald darauf beigelegt, geblieben ist ein Stück Literatur als ungemein pointierte literarische Abrechung mit den Vertretern der damaligen Wiener Kulturszene, speziell dem Burgtheater und dort tätiger Personen. Die Zeit ist gnädig darüber hinweggegangen. Die Protagonisten der sogenannten Hochkultur haben sich in ihrem Erscheinungsbild vollkommen gewandelt. Vor allem aber: Den Burgschauspieler an sich, wie ihn Bernhard beschrieben hat, gibt es nicht mehr. Direktoren bringen ihre eigene Truppe mit und gewähren bestenfalls den letzten Vertretern dieses legendären Standes das Bleiben als verehrte Doyens.
Die Formation ist ein „Tiroler Kammerensemble“, das seit 30 Jahren mit seinen Arrangements spannende Hörerlebnisse bietet, die nicht zuletzt von einer ungewöhnlichen Besetzung her garantiert sind. Es wirken mit: Johannes Eder (Klarinette, Bassklarinette), Andreas Fuetsch (Tuba), Romed Hopfgartner (Altsaxophon, Klarinette), Markus Kraler (Kontrabass, Akkordeon), Angelika Rainer (Harfe, Zither), Bettina und Markus Rainer (Hackbrett), Andreas Schett (Trompete, musikalische Leitung), Martin Senfter (Ventilposaune) und Nikolai Tunkowitsch (Violine). Hamlet, Ensemble © Lalo Jodlbauer HAMLET als geisterhaft launige Überschreibung
Eine der wichtigsten Fragen, die noch im ersten Akt gestellt wird, lautet: „Worum geht´s in diesem Stück?“ Es ist tatsächlich lange Zeit unklar, was diese Überschreibung unter der Leitung von Regisseurin Karin Henkel damit bezwecken will. Ein Geisterchor, klassisch in Leintücher mit Augenlöchern gehüllt, erteilt Hamlet den Auftrag, den Mord an seinem Vater und die Heirat dessen Bruders Claudius mit seiner Mutter Gertrud zu rächen. Schon in dieser Szene wird der düstere Ernst dieses Ansinnens ins Lächerliche gezogen, wenn Michael Maertens als Vater den weißen Fetzen abnimmt und Anweisungen erteilt, wie solche Sätze mit dem richtigen Ausdruck wiederzugeben sind. Bald stellt sich heraus, dass nicht nur der junge Mann in kurzen Hosen, sondern auch eine ganze Reihe anderer Darsteller, auch Frauen, den Hamlet gibt. In Selbstgesprächen mit verteilten Rollen hadert der Prinz von Dänemark mit sich und der Scheu vor einer Bluttat, immer mit der Annahme, dass er verrückt sein könnte. Die erfahrenen Theaterbesuchern geläufige Handlung ist rudimentär vorhanden, aber man kennt sich aus. Dafür sorgt der Text von Angela Schanelec und Jürgen Gosch, der zwar nichts mit dem Original gemeinsam hat, jedoch viel Rücksicht auf ein eventuell verwirrtes Publikum nimmt.
Zentralfriedhof Ensemble © Matthias Horn ZENTRALFRIEDHOF Zum Tod? Da fehlen einem die Worte.
Das ist das Ergebnis, wenn sich ein Deutscher wie Regisseur Herbert Fritsch über den Wiener und seinen angeblichen Hang zum Morbiden lustig machen will. Das Ensemble tritt verkleidet als Mitarbeiter einer Bestattungsfirma auf, mit grauem Anzug und Tellerkappe. Schaufeln und Fahrräder sind die Hauptrequisiten und weisen die Damen und Herren als Friedhofshackler aus, also diejenigen, die für den Aushub und später das Zuschütten des Grabes zuständig sind, um dazwischen unauffällig den Leichenzug zur richtigen Grabstätte zu führen. Sie sind keine Pompfüneberer, deren Würde von einer barocken, liturgisch anmutenden Robe deutlich gemacht wird. Gunther Eckes, Dorothee Hartinger, Sabine Haupt, Yahya Mican James, Arthur Klemt, Hans Dieter Knebel, Elisa Plüss, Dunja Sowinetz, Tilman Tuppy, Hubert Wild und Paul Wolff-Plottegg haben trotz der Degradierung ihren Spaß, wenn sie als Ballett einer mit Gags aufgeladenen Choreographie folgen oder sich vor einem Hampelmann in Gestalt eines riesigen Skeletts kollektiv fürchten.
Orpheus steigt herab Tim Werths, Nina Siewert © Matthias Horn ORPHEUS STEIGT HERAB in den Hades verlorener Menschlichkeit
Das Problem von Val Xavier ist seine Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht. Alle wollen seine Jacke aus Schlangenhaut angreifen und sich an deren Inhalt vergnügen. Val ist Musiker, ein Sänger, der sich auf seiner geliebten Gitarre begleitet und so durch die Lande tingelt. Warum es ihn ausgerechnet in diese Kleinstadt verschlägt, in der Fremde mehr als argwöhnisch beäugt werden, wird nicht so richtig klar. Er selbst meint, dass er einen Job sucht, mit geregelter Bezahlung. Im Laden des Ehepaars Torrance findet er das Gesuchte, gerät dabei aber in eine alte Geschichte. Der Besitzer Jabe hat mit anderen Männern aus dem Ort vor Jahren den Vater seiner jetzigen Frau Lady im Zuge einer Brandstiftung umgebracht. Der Getötete war Italiener, ein Spaghettifresser, der einfach nicht in diese Gesellschaft gepasst hat. Doch seine Tochter weiß davon nichts.
Tennessee Williams hat „The Fugitive Kind“, 1960 verfilmt, in einer kleine Ortschaft in den Südstaaten angesiedelt. Das in der deutschen Übersetzung von Wolf Christian Schröder mit „Orpheus steigt herab“ betitelte Theaterstück wurde nun von Martin Kušej ins Nirgendwo verlegt, in ein Dorf, das überall auf dieser Welt sein kann. Es ist die letzte Regiearbeit des scheidenden Burgtheaterdirektors in dieser Funktion. Mit der Klammer einer Feuersbrunst am Anfang und am Ende ist ihm dabei der zutiefst bewegende Ausdruck seiner persönlichen Einstellung gelungen. Es geht um die Ablehnung des Fremden, einer allzeit aktuellen Eigenschaft der Menschheit, die sich in einer Bandbreite von ängstlicher Abneigung bis zu mörderischen Aktionen manifestiert. Im Fall der „Schlangenhaut“ gibt es kein Zurückschrecken vor dem Verbrechen. Tim Werths ist ein fescher Val Xavier. Die junge, überdrehte Carol (Nina Siewert) geht ungeniert zur Sache, ähnlich auch die bigotte Vee Talbot (Sarah Viktoria Frick), die dummerweise jedoch die Frau des Sheriffs (Norman Hacker) ist. Mit Val im Bett landet aber Lady Torrance. Lisa Wagner macht die Erotik dieser Frau, die in ihrem Angestellten mehr als den Verkäufer sieht, vibrierend spürbar. Für sie stellt der junge Mann einen Funken Hoffnung dar und sie lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wie sehr sie den mittlerweile schwer kranken Jabe seit jeher gehasst hat. Martin Reinke wird zum wahren Ekel, dessen Sinn noch im Angesicht des Ablebens darauf gerichtet ist, seine Umgebung zu terrorisieren.
Heldenplatz Franz Pätzold © Matthias Horn HELDENPLATZ auf dem das Jubelgeschrei nie verstummt
Es ist eine wahre Flut an Ideen, mit denen Frank Castorf seine Neuinszenierung von Thomas Bernhards letztem Theaterstück „Heldenplatz“ überschwemmt hat. Für einen guten Teil der Zeit ist man auf Fernsehschauen angewiesen, weil das eigentliche Geschehen irgendwo drinnen stattfindet. Zwei Livecams übertragen zwar in raffinierten Großaufnahmen der Gesichter die Dialoge, die opulent gestaltete Bühne ist jedoch verwaist. Die Handlung, sofern man von einer solchen sprechen kann, spielt meistens in New York, genauer gesagt in Brooklyn bei und in der Subway-Station Borough Hall. Die Dekoration ist dementsprechend amerikanisch, mit patziger Reklame und Unmengen von Leuchtstoffröhren und in beängstigendem Rot darüber in Fraktur der aufmunternde Spruch: Umbringen soll ma Ihnen! Doch auch dort wird Hedwig, die Frau des in den Feitod gegangenen Prof. Josef Schuster, von Halluzinationen verfolgt. Es ist das Jubelgeschrei der Menschenmassen, als Hitler vom Balkon der Neuen Hofburg herab den Anschluss der Ostmark an das Deutsche Reich verkündet hat. Ihr Fazit: Heldenplatz ist überall!
Das Ensemble hat vielfältige Aufgaben zu erfüllen. Birgit Minichmayr webt mit langer Schleppe an schwarzem, sehr viel Bein zeigendem Kleid trauernd um ihren etwas eigenwilligen Gatten und auf der Flucht vor der Lärmkulisse des Heldenplatzes verzweifelt um den Eingang der Subway-Station. Der Waggon ruckelt gehörig und bricht später aus seiner Röhre aus, um durch verschneite deutsche Landschaften zu fahren. Es geht auch um das richtige Bügeln der Hemden des Professors. Eine an sich beschauliche Tätigkeit wird spannungsgeladen und ermöglicht in der Folge Franz Pätzold einen durchaus langatmigen Monolog, der sich mit dem stolzen und dennoch betrogenen Tod und den davon Betroffenen beschäftigt. Eine großartig innig spielende Inge Maux hat das Privileg, das jiddische Lied vom abgebrannten Shtetl anstimmen zu dürfen, während Marie-Luise Stockinger in Revuemontur angewidert Erdäpfel schält. Die längste Zeit wortlos sitzt Branko Samarovski in der Ecke, um später als todkranker Ehemann seiner schönen und jungen Frau zuzusehen, wie diese von einem Jüngeren umarmt und geküsst wird. Für Marcel Heuperman gibt es keine Schonung.
Die Zauberflöte, Wolfram Rupperti imaginiert die Schlange © Marcella Ruiz Cruz DIE ZAUBERFLÖTE Die Oper und auch wieder nicht die Oper
1791 gab es in den Wiener Theatern unzählige Zauberstücke. Das Publikum liebte diese Mischung aus Geheimnisvollem, Spannendem und vor allem Lustigem. Überlebt haben davon nur wenige. Abgesehen von den viel späteren Werken eines Nestroy oder Raimund ist uns nur mehr eines wirklich präsent. Es wurde zur populärsten Oper der Musikgeschichte, obwohl es eigentlich ein Singspiel ist. Seine Melodien sind Ohrwürmer, die Figuren gute Bekannte und der Inhalt bis heute eines der spannendsten Rätsel, das vergeblich seiner Lösung harrt. Gut, es hat auch zwei außerordentliche Väter. „Die Zauberflöte“ ist das Werk von Emanuel Schikaneder und Wolfgang Amadé Mozart. Darf man sich daran vergreifen und eine Art Satire daraus machen? Puristen mag es schütteln, aber Nils Strunk hat mit „Die Zauberflöte“ einen immens unterhaltsamen Abend geschaffen, mit einer schrägen Mischung aus Originalmusik und heutigen Klängen und vor allem mit eine Fülle an Gags, die manches zu erklären imstande sind, das sich erst in der radikal neuen Sichtweise erschließt.
Aufgrund des Erfolges ist die Inszenierung vom Kasino am Schwarzenbergplatz in das Haupthaus am Ring umgezogen, um dort die stattliche Anzahl von Plätzen auch in der x-ten Vorstellung noch verlässlich zu füllen. Der Untertitel ist englisch (The Opera but not the Opera) und besagt etwa, dass es sich um die Oper handelt, aber auch wieder nicht. Neben Nils Strunk haben noch Lukas Schrenk und das Ensemble daran mitgearbeitet. Ein solches Experiment braucht Darsteller, die neben solider Komik über eine einigermaßen sichere Gesangsstimme verfügen. Es beginnt mit der Ouvertüre, die hinter dem Vorhang eines Theaters auf der Bühne a cappella gesungen ertönt. Man kann blödeln, aber es darf nicht peinlich werden. So besteht Katharina Pichler als Königin der Nacht die Koloraturarie bravourös, indem sie vor den in die Stratosphäre aufsteigenden Tonkaskaden einfach den Mund offen lässt, schweigt und damit dankbar die Lacher entgegennimmt. Wolfram Rupperti hat einen soliden Bass, man hat den Eindruck, er wäre imstande, einen ernsthaften Sarastro zu geben.
Sabine Haupt, Lilith Häßle © Susanne Hassler-Smith NOSFERATU Das vergebliche Warten auf Graf Dracula
Es fängt ja vielversprechend gruselig an: Untermalt von dumpfen Klängen wird auf schwarzem Vorhang das gespenstisch graue Gesicht einer Frau in zwei blutige Hälften geteilt. Der Anblick ist tatsächlich unangenehm, wird aber mit der Großaufnahme von Bibiana Beglau abgelöst, die mit einem eindringlichen Sermon zum allgemeinen Unbill des Daseins anhebt. Ihre Zähne sind spitz zugefeilt und die Lippen darüber bewegen sich neben dem von ihr gesprochenen Text. Um wie viel mehr beeindruckend wäre dieser Monolog, wenn er sauber synchronisiert wäre. Sie ist nur die erste einer ganzen Reihe von Schauspielerinnen und einem Herren, die einen überaus dramatischen Text immer und immer wieder repetieren, ohne dabei jedoch vom Fleck zu kommen. Als Dichterin dieser in ihrer Komplexität eher an übergroße Poesie gemahnende Dramatisierung von Bram Stokers Roman „Nosferatu“ zeichnet Gerhild Steinbuch. Sie hat das bluttriefende Geschehen – von einer nachvollziehbaren Handlung ist kaum etwas zu bemerken – in eine Klinik, angeblich die modernste ihrer Art, versetzt. Als Patient hätte man wenig Vertrauen in eine Nervenheilanstalt, die eher wie eine Lagerhalle aussieht. Es ist zwar ständig von einem Schloss die Rede, das von Sylvie Rohrer als die bereits in Kindertagen erträumte Stätte ihres Aufenthalts bezeichnet wird. Aber auch die ständig präsenten Projektionen mit verblüffenden Effekten und spektakulären Bildern (Tobias Jonas, Eugyeene Teh) lassen nie die Ahnung eines feudalen Wohnsitzes aufkommen. Er muss irgendwo nahe bei Wien liegen, denn von der Prater Hauptallee ist es nur eine kurze Zugfahrt nach Transsilvanien, wo ein Rudel Wölfe die Kutsche bedroht. Im Inneren dieser Klinik geht es grausam zu.
Felix Rech, Johannes Zirner, Maximilian Pulst, Nicholas Ofczarek © Matthias Horn DANTONS TOD Wenn Spaßmacher ihre Oberclowns köpfen
Aus den seltsam manieriert aufgesagten „Monologen“, zu denen der Text von Georg Büchner zerstückelt wurde, kann man mit gespannter Aufmerksamkeit zumindest entnehmen, dass die Protagonisten der Französischen Revolution bemüht waren, ihre Mordexzesse als Großtaten hehrer Moral zu verkaufen. Schauplatz dieser Bemühungen ist ein Halbrund, das die Nationalversammlung darstellen dürfte. Gleichzeitig ist es eine Zirkusarena, in der eine Schar von Clowns hüpfend und sich verrenkend ihr Unwesen treibt. Keine Sorge: Es ist nicht lustig! Bei dieser Art von Spaßmachern handelt es sich um Georges Danton (Nicholas Ofczarek), seinen Gegenspieler Robespierre (Michael Maertens) und eine Reihe von Persönlichkeiten, die in diesen verhängnisvollen Jahren Frankreich in einen Schlachthof verwandelt haben. Die drei Grundanliegen der Revolution wurden dabei mit Füßen getreten und in diesem gegenseitigen Abmurksen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in unverstellbarem Maß pervertiert. Die dazu getätigten Aussagen bringt der Souffleur (Ole Lagerpusch) auf den Punkt: „Die Aussicht auf die Guillotine ist langweilig.“
Dieser Meinung war offenbar auch Johan Simons, wenn er das an sich großartige Ensemble einen ohnehin schwer zugänglichen Inhalt bis zur Unverständlichkeit zerhacken lässt. Etwas Farbe und Menschlichkeit in das in jedem Sinn düstere Geschehen bringen die drei Frauen Julie (Annamária Láng), Lucile (Marie-Luise Stockinger) und Marion (Andrea Wenzl). Der Rest ist jedoch problematisch und wird durch radikales Verstümmeln dieses Jugendwerks von Georg Büchner zur Herausforderung für manch einen im Publikum, der zwar einigermaßen historisch beschlagen sein mag, aber ohne vorangehende intensive Beschäftigung mit den detaillierten Abläufen in der Revolution selbst auf recht verlorenem Posten steht. Christoph Luser, Tilman Tuppy, Lukas Vogelsang, Itay Tiran, Mavie Hörbiger, Lili Winderlich © Matthias Horn DER MENSCHENFEIND Ein weinerlich verliebter Rechthaber Marie und Alexander Urban von URBAN SCENTS haben für Martin Kušejs Inszenierung von Molières „Der Menschenfeind“ einen exklusiven Duft kreiert. Ihr olfaktorischer Beitrag trägt die geheimnisvolle Bezeichnung „LE MISANTHROPE À LA FERME“ und soll wohl über die Nase einen Eindruck von den Parfums der oberflächlichen Bussi-Bussi-Gesellschaft vermitteln, gegen die Alceste so energisch ankämpft. Also, Geruchsbelästigung ist es keinesfalls, eher erinnert es an eine ins Schwitzen gekommene Dame, die sich für den Besuch des Burgtheaters fein gemacht hat. Es handelt sich dabei um eine der Regieideen, mit denen die Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger bereichert wurde. Deren kurze Zweizeiler nach dem Motto „Reim dich, oder ich fress´ dich!“ stellen das Ensemble vor das Problem, nicht in lächerliches Leiern zu verfallen. Die Bühne ist schwarz, mit durchscheinenden Kunststoffwänden unterteilt und vorne mit einem seichten Wasserbecken für unmotiviertes Plantschen ausgerüstet. Dahinter weben Scharen von Komparsen in düsterer Partystimmung. Davor arbeiten die Hauptpersonen in „halbszenischer“ Weise mit bescheidenen Anklängen an die Gegenwart ihren Molière ab. Die Damen Èliante (Lili Winderlich) und Arisnoé (Alexandra Henkel) müssen sich von Marvie Hörbiger als Célimène in treffendem Zynismus verarschen lassen. Sie steht im Gegensatz zu den anderen Frauen zu ihrer selbstbewusst lasziven Lebensweise, mit der sie die Männerwelt auf den Kopf stellt. In einem Rundbrief an ihre Verehrer Clitandre (Lukas Vogelsang), Acaste (Tilman Tuppy) und den Möchtergern Poeten Oronte (Markus Meyer) verspottet sie die Herren, einschließlich ihr Herzblatt Alceste, der aber der einzige ist, der sich nicht von ihr abwendet. Sein Credo ist die brutale Wahrheit, das rücksichtslose Urteil über die anderen, ohne sich um Beliebtheitswerte zu kümmern. Sogar Philinte (Christoph Luser) scheitert mit dem Versuch, seinem Freund Vernunft und Diplomatie beizubringen. Die einzige, die unter Umständen die Möglichkeit dazu hätte, ist Célimène. Alceste ist ihr verfallen, bis zur Verzweiflung und Weinerlichkeit über diese Schwäche. Als sie sich im Finale weigert, mit ihm in eine menschenleere Einsamkeit zu ziehen, bleibt Alceste nur mehr das Klavierspiel, das Itay Tiran grandios beherrscht und diesem Stück damit einen beeindruckend musikalischen Rahmen von Präludium und Ausklang verleiht. Maximilian Pulst © Matthias Horn DIE NEBENWIRKUNGEN einer selbstauferlegten Sprachlosigkeit
Jonathan Spector, ein US-amerikanischer Autor, dürfte über eine gewaltige prophetische Ader verfügen, oder war es das Theater in Berkely, Kalifornien, das ihn 2016 zu diesem Stück beauftragt hat. Jedenfalls hat er einige Jahre vor dem Auftreten des „China-Virus“ (© Donald Trump) die Hilflosigkeit vorausgesehen, die mit einer solchen Infektionswelle die Spalten in der Gesellschaft noch tiefer auswäscht, als sie ohnehin schon zwischen den Menschen klaffen. „Die Nebenwirkungen“ einer Mumpsepidemie bringen eine Privatschule ordentlich in die Bredouille. Soll man schließen, wenn ja, wie lange, und dürfen Kinder, die nicht MMR (Masern, Mumps, Röteln) geimpft sind, vom Erscheinen in der Klasse ausgeschlossen werden? Da sich das Lehrpersonal und die Verantwortlichen einem rigiden Kodex in korrekter, bzw. woker Ausdrucksweise unterworfen haben, fallen die Diskussionen entsprechend umständlich aus, besser gesagt, es ist unmöglich, irgend eine Meinung darzulegen, ohne den Auftrag des Genderns, der ethnisch unbelasteten Beschreibung der jeweiligen Herkunft oder weltanschauliche Gefühle zu verletzen; und machen „Entschuldigung!“ zum wichtigsten Wort des Abends.
So besehen stehen sich in der Übersetzung von Frank Heibert die fünf Protagonisten sprachlich selbst auf den Zehen. Regisseur Jan Philipp Gloger verortet das verbale Geschehen in ein Klassenzimmer, besser gesagt, in einen Kreis von Sesseln vor einer Tafel, auf der Markus Hering als Don den Oberlehrer mit der Kreide mimen darf. Als Vorsitzenden dieses auf Konsens basierenden Gremiums bleibt ihm nicht mehr als die sanfte Moderation zwischen diversen Ansichten, die sich, so kristallisiert sich immer deutlicher heraus, um den Impfzwang drehen.
Meike Droste, Marie-Luise Stockinger, Markus Scheumann, Sylvie Rohrer, Langston Uibel, Gunther Eckes © Matthias Horn EIN SOMMERNACHTSTRAUM Irre Verwirrungen auf dem Autofriedhof
Der Wald von Athen hat zwar für Liebespaare einen speziellen Zauber. Regisseurin Barbara Frey missbraucht ihn dennoch kaltherzig als Lagerstätte ausgedienter Autowracks und schafft damit eine illegale Deponie von Altlasten, die sich gleichermaßen auf Sperrmüll, Geister und Sterbliche bezieht. William Shakespeare selbst hat das dunkle Reich zwischen den Bäumen zu einer Begegnungsstätte von Elfen und Menschen reduziert. Dessen einzige, sehr unzuverlässige Beleuchtung ist der Mond, ein Himmelskörper, der an sich im Verdacht steht, für allgemeine Verrücktheiten zu sorgen. So wird es möglich, dass Oberon und ein Kobold namens Puck mit magischen Liebestropfen ihre Späße treiben können. Und die haben es in sich. Die edle Feenkönigin Titania verliebt sich unsterblich in einen Esel und zwei problematische Paare werden abwechselnd heiß und kalt durcheinander gewürfelt. Um dieses Tohuwabohu zu lösen, hilft nur mehr der Traum, über den die Betroffenen am Ende irritiert sinnieren. Es ist eben nichts als „A Midsommer nights dreame“, den keiner wahrhaben muss, aber dennoch nicht einfach vergessen kann.
Wenn das Burgtheater sich eines derart oft gespielten Stücks annimmt, ist zur Recht Besonderes zu erwarten. Aus einer stringent ruhigen Personenführung und extrem abgekühlter Spielweise erwächst eine Komik, die jeden Gag, jede Pointe auf erstaunliche Weise unterstreicht.
Norman Hacker, Barbara Petritsch, Maximilian Pulst, Zeynep Buyraç, Daniel Jesch, Branko Samarovski, Sofi Gavril, Regina Fritsch © M. Horn DREI WINTER Dramatische Zeitreise durch Kroatien
Die 1977 geborene Tena Štivičić macht in ihrem Theaterstück „Drei Winter“ vieles verständlich, das uns als beinahe Nachbarn trotz vieler persönlicher Bekanntschaften mit in Wien lebenden Kroaten und beliebter Urlaube an deren Stränden nicht wirklich bewusst ist. Man könnte sagen, geht mich nichts an! Doch sobald sich der Vorhang des Burgtheaters hebt, hat sich anfängliches Desinteresse in Neugier verwandelt, bis zur Anteilnahme am Leben dieser Menschen, deren Schicksale sich trotz geographischer Nähe zu Österreich doch gründlich von den unseren unterscheiden. Grund für diese Wandlung im Publikum ist weniger der Text als die Inszenierung. Hausherr Martin Kušej hat selbst Regie geführt. Er gehört von seiner Herkunft der Minderheit der Kärntner Slowenen an und hat damit den entsprechend tiefen emotionalen Zugang zu dieser Geschichte. Aus den dreien macht er mit der ersten Projektion vier Winter, wenn er in erschütternden Aufnahmen den aktuellen Krieg in der Ukraine erschreckend spürbar werden lässt.
Tena Štivičić selbst hat diese Rückschau auf die Geschichte ihrer Heimat in der kalten Jahreszeit von drei für Kroatien entscheidende Jahre angelegt. Zagreb, 1945: Die Partisanin Ruža zieht mit Mutter Monika, Ehemann Aleksandar und dem Baby Mascha in ein Haus, das verstaatlicht und aufgeteilt wurde. Dort trifft die kleine Familie auf eine Daheimgebliebene, die Tochter eines aristokratischen Nazikollaborateurs. Karolina Amruš darf bleiben und dem Mann, einem Schneider, bei der Arbeit helfen. Schauplatz bleibt das ganze Stück hindurch diese Wohnung.
Gunther Eckes, Sarah Viktoria Frick, Maria Happel, Elisa Plüss © Matthias Horn DIE GEFESSELTE PHANTASIE Harfenist Nachtigall rockt die Burg Wenn Poeten unter einer Schreibblockade leiden, wer ist daran schuld? Ferdinand Raimund hat eine Antwort darauf gegeben. Jedoch, diese ist in einem Reich außerhalb unserer Vernunft angesiedelt, auf einer Blumeninsel, auf der dank einer ausschließlich dichtenden Bevölkerung eitel Wonne und Waschtrog herrschen. Dort gibt es Geister wie die beiden bösen Zauberschwestern, Lichtgestalten wie den Gott Apollo und die allseits allein seligmachende Phantasie. Die finsteren Kräfte sind glatt imstande, diese positive Kraft zu bannen und das Reich an den Rand des Untergangs zu führen. Gerettet wird das Eiland nur durch die Heirat der Königin, so sagt es das Orakel. Deren Auge ist auf den armen Hirten gefallen, der beim Aufpassen auf die Schafe zu Herzen gehende Gedichte schreibt. So mir nichts dir nichts will sie sich aber doch nicht binden und schreibt eine Art Song Contest aus. Das beste Poem wird ihre Hand, ihr Herz und die Krone gewinnen. Wie das Original-Zauberspiel ausgeht, ist kein Geheimnis, aber vor dem letzten Votum wird es noch einmal spannend. Die bösen Schwestern haben den versoffenen Nachtigall, seines Zeichens Harfenist in einem Wiener Wirtshaus, als Bräutigam engagiert. Nachdem sich die Phantasie in ihrer Gewalt befindet, ist er der einzige Kandidat und somit müsste es heißen: And the winner is...
Herbert Fritsch ist zwar Deutscher, hat aber genügend österreichischen Humor, um in diesem Feen- und Zauberreich über zwei Stunden und 15 Minuten eine virtuose Spaßgesellschaft ihre ausgelassenen Schwänke treiben zu lassen. Der Regisseur, Bühnengestalter und Musikchef kann sich auf ein Ensemble verlassen, das sich für keine Blödelei zu gut ist und über ein wahnwitziges Repertoire an verrückten Bewegungen verfügt. Was irgendwie zum Lachen reizt, wird angewendet. Tim Werths macht nicht nur als poetische Phantasie bella figura, er beherrscht zudem die ans Artistische grenzenden Silly Walks, wie man sie in der Qualität zum letzten Mal bei John Cleese gesehen hat. Jeweils eine Solonummer mit Sonderaplaus haben Markus Scheumann als Hofnarr Muh, wenn er eine ganze verrückte Rede auch von hinten aufsagt, und Sebastian Wendelin.
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