HOTEL PARADISO Reiseführer zu wissenswert kuriosen Orten
Lost Places politischer Utopien, versunkene Reiche der Avantgarden und Kunstspleens von Superreichen
13 Essays, trotzend jedem Aberglauben vor der Unglückszahl, zählt das Buch „Hotel Paradiso“ von Matthias Dusini. Der Autor ist Mitarbeiter der Wochenzeitung Falter und hat in seinem Verlag diesen in unscheinbarem Graugrün aufgemachten Band herausgebracht. Mitteleuropas Lande wurden dafür per Bahn durchreist, um einigermaßen Kulturinteressierten geläufige, aber auch vollkommen unbekannte Destinationen ans Licht zu bringen und vor dem Hintergrund eines breiten Kunstverständnisses und Respekt fordernden historischen Wissens als kurzweilige Lektüre aufzubereiten. Das im Titel besagte Hotel Paradiso ist nur Namensgeber und Synonym für Orte, die, wie er schreibt, „ihre Geschichte erst auf den zweiten Blick freigeben.“
Trotz des damit erklärten Programms ist es nicht einfach, einen roten Faden zu entdecken. Ist es die Kunst, die Geburtshelferin bizarrer Ideen war, wie in einem Schweizer Kloster hoch oben in den Bergen, das als Felsendom nun Schauplatz feministischer Performances und einer sensationellen Kollektion von Slow Art ist, gegründet von einer Milliarden schweren Polnischen Geschäftsfrau? Welcher Art waren die Überlegungen, die zur Gründung der idealen Planstadt Torviscosa in den Sümpfen nahe Grado geführt haben und deren Überbleibsel mittlerweile bestenfalls zur touristischen Vermarktung als von der Zeit überholte soziale Utopie reichen?
Oder sind es die Ideen verschrobener Einzelkämpfer, die sich in menschenleere Wälder zurückziehen und von Brennnesseln ernähren? Nicht zu vergessen, diverse Relikte von Egomanen, denen es ein Bedürfnis war, im Namen einer selbstdefinierten Freiheit andere Menschen, vor allem Frauen und Kinder ihrer sexuellen Gier zu unterwerfen? Gemeinsam ist ihnen allen eine morbide Seltsamkeit, die Schaulust erweckt, ähnlich der Neugier, die uns auch von einer entstellten Leiche nicht wegschauen lässt.
Architekt Giuseppe De Min plante bei den Vorarbeiterwohnungen rustikale Bögen ein
Man braucht sich als Leser nicht für diesen Voyeurismus zu genieren. Matthias Dusini hat intensiv recherchiert und in jeder dieser Geschichten klar den Grund herausgearbeitet, warum man sich damit auseinandersetzen sollte. So führt eine Visite auf dem Monte Verità zu einer postumen Begegnung mit Spinnern und Künstlern wie Hermann Hesse oder Ida Hofmann und damit möglicherweise zu einer Reflexion, ob es nicht angebracht wäre, sich an diesem „Start-up der Weltverbesserung“, so die Überschrift, zu beteiligen. In Lednice und Valtice verbirgt sich hinter dem bekannten Glashaus in Eisgrub und dem wieder halbwegs authentisch eingerichteten Schloss Feldsberg eine bedeutende Geschichte, die von Dusini als Ergebnis ausführlicher Interviews offenbar gemacht wird. Es sind die ehemaligen Besitzer, die Fürsten von und zu Liechtenstein, die aus dem Dunkel der Zeit auftauchen und nur wenige Kilometer weiter in der Gegenwart fröhliche Urständ feiern.
Avantgarden haben sich seit jeher gern vor den weniger verständigen Zeitgenossen zurückgezogen. In Saxen (OÖ) war es ein für seine Zeit zu fortschrittlicher Schriftsteller, der Schwede August Strindberg, der in seinem selbst gewählten Asyl beinahe zugrunde gegangen wäre. Anders verhält es sich beim Semmering. Dort trafen freie Geister auf solides Kapital, bis der Zug der Zeit diese „Stadt im Gebirge“ überfahren und gespenstische Grandhotel-Ruinen hinterlassen hat. Die Zusammenhänge liegen also nicht auf der Hand, aber sie lassen sich aus jedem der 13 Kapitel extrahieren und Seite für Seite dem eigenen Allgemeinwissen einverleiben. Sollte freies Reisen jemals wieder möglich sein, dann ist man beim Falter Verlag bestens aufgehoben. Wie in allen dort erscheinenden Reiseführern gibt es auch hier im jeweiligen Anhang ausführliche Informationen, die Auffinden und Aufenthalt im „Hotel Paradiso“ dankenswert erleichtern.
Hermann Hesse (2. v. li.) auf dem Monte Verità, rechts von ihm Henri Oedenkoven und Ida Hofmann
Tatort Gemeindebau – eine spannende Wiener Milieustudie
Mordsgeschichten wie der Tratsch an der Bassena
13 Krimiautoren waren eingeladen, das Böse im Gemeindebau aufzuspüren. Da es keinen Ort der Welt gibt, der vor dem Verbrechen sicher ist, zumindest vor den Untaten der Fantasie, erwiesen sich die vom Roten Wien und später der sozialistischen Stadtregierung geschaffenen Wohnburgen als inspirierender Nährboden für derlei Geschichten. Es gibt zwar immer weniger dieser grauen trostlosen Bauten, denn die Stadt Wien schaut auf seine Gemeindewohnungen und lässt die Fassaden, hinter denen ihre Bürger hausen, regelmäßig auffrischen. Freilich kann auch in einer Wohnung ein Mord passieren, die wahren Schauplätze des Grauens dürften aber deren Keller sein. Diese unterirdische Welt wird stets Geheimnisse der düstersten Art bergen. Funde von Leichenteilen sind keine Seltenheit und so manches sauber geputzte Skelett lässt darauf schließen, dass das weiche Drumherum seines ehemaligen Besitzers den Ratten als Futter willkommen war.
In den Geschichten spielen die Morde zumeist eine Nebenrolle.
Protagonisten sind der selten gewordene Hausmeister mit dem noch selteneren Wiener Idiom, betagte Damen, die sich zum Spielenachmittag treffen, der potente Aufreißer, der seine Verführungskünste neuerdings in Multikultikreisen ausprobiert, und der ewig Flache, dem jedes Übel zuzutrauen ist, wenn es um die illegale Erlangung von ein paar Cent geht. TATORT Gemeindebau (Herausgeberin Edith Kneifl, Falter Verlag) ist damit eher eine spannend zu lesende Milieustudie, die dank des Insiderwissens der Autoren viel mehr über Wien erzählt als so manche wissenschaftliche Forschungsarbeit und jedem, der uns Wiener wirklich kennenlernen will, mit wärmstem Gruseln zu empfehlen ist.
FalterCITYwalks Nr. 15: Prag – Gehen, Sehen & Genießen
Idealer Begleiter in einer Stadt mit vielen Namen
Prag hat viele schmückende Beinamen. Die „goldene Stadt“ hört man dort gern. Die Prager selber sprechen von der „Mutter aller Städte“, sogar von der „ewigen Stadt“ und wer einmal dort gewesen ist, bestätigt auch „die Stadt der hundert Türme“. Ein Blick in die Geschichte ließe sogar zu, die tschechische Hauptstadt als „Stadt der Fensterstürze“ zu bezeichnen. Zwei Mal hat man dort auf derart handgreifliche Weise Politik gemacht und Kriege ausgelöst, wie beim zweiten Prager Fenstersturz, der den Dreißigjährigen Krieg zur Folge hatte.
Bild aus dem beschriebenen Buch, Foto: Jasmin Sowa
Heute noch sieht man die Fensterchen, durch welche anno 1618 zwei kaiserliche Statthalter und ein Schreiber aus ihrem Büro ins Freie befördert wurden und den Absturz über 17 Meter angeblich dank eines Misthaufens überlebten. Der rettende Misthaufen wurde in der Zwischenzeit aus dem Hof des Hradschin, der Prager Burg, entfernt. Die Fenster in der sogenannten böhmischen Kanzlei gibt es noch, und, wundert sich Irene Hanappi im jüngsten FaltersCITYwalks, „man sich fragt, wie ein erwachsener Mann da hat durchrutschen können.“
Man liest sich gern durch diesen Falter-Stadtführer. Der Text fließt entlang von fünf Routen, auf denen man die Stadt gründlich erkundet, sogar dann, wenn man nicht vor Ort ist und vielleicht gerade an der Planung eines verlängerten Wochenendes an der Moldau arbeitet – ein Vorhaben, das man übrigens schnellstens umsetzen sollte, man will ja schließlich auch verstehen, was einen Komponisten wie Friedrich Smetana zu diesem unbeschreiblichen Jubel im Finale des musikalischen Gemäldes „Vltava“, uns besser bekannt als „Die Moldau“, inspiriert hat.
Auch das Weinviertel hat sich einen Reiseführer verdient
Landstrich der Entdeckungen
Natur, Kultur, Essen, Trinken, Sport, oder mit einem Wort, alles Wissenswerte für die Freizeit, dafür sind Falters Feine Reiseführer bekannt. Dass in dieser Reihe auch Regionen vorgestellt werden, die nicht gerade zu den Hot-Spots des Tourismus zählen, ist Ehrensache für den Falter Verlag – und nicht zuletzt auch eine Erfolgsstory. So ist der „Führer Das Weinviertel und das Marchfeld“ soeben in einer Neuauflage erschienen, was zweifellos auf einiges Interesse an Ausflügen in den Nordosten von Niederösterreich schließen lässt.
Thomas Hofmann; Das Weinviertel und das Marchfeld. Falter Verlag 2012 (Neuauflage), ISBN: 978-3-85439-467-9, Preis: € 29,90.
Thomas Hofmann hatte das Vergnügen, in diesem Buch ein Weinviertel in Aufbruchsstimmung zu beschreiben. Es mausert sich zum Genussland, wenngleich es bis dahin noch einige Hürden zu überwinden gilt. Dass der wahrlich gute Spargel aus dem Marchfeld kommt, hat sich unter Gourmets ebenso herumgesprochen wie das Pfefferl im Weinviertel DAC, einem frischen Grünen Veltliner, der wegen seiner einzigartigen Frische bereits weltweit nachgefragt wird. Aber sonst, sonst lässt das Viertel unter dem Manhartsberg doch einiges an touristischer Infrastruktur vermissen.
Mit jedem Radfahrer, mit jedem Wanderer auf dem Weinviertler Jakobsweg, mit jedem neuen Weinkunden in einer der pittoresken Kellergassen verbessert sich aber die Situation. Der vorliegende Führer leistet dabei eine unschätzbare Hilfe. Er macht Lust auf Ausflüge, die sich im Weinviertel sehr bald zu Entdeckungsreisen auswachsen, nach dem Motto, dass es keine Ortschaft gibt, in der es nicht Interessantes zu finden gibt, man muss sich nur die Zeit dafür nehmen, und Zeit, die gibt´s im Weinviertel noch ausreichend.
Man braucht das Büchlein nur aufzuschlagen, willkürlich, irgendwo, zum Beispiel auf Seite 188. „Quer durch Retz bis zur Windmühle“ verspricht der Titel des Kapitels, das den Leser von den Tiefen des größten Weinkellers Österreichs bis hinauf zur Windmühle und den kunstvollen Statuen des Kalvarienbergs führt. Oder Seite 287: „Asparn an der Zaya: Mehr als Urgeschichte(n)“, Titel wie diese machen neugierig aufs Lesen und dann aufs selber sehen.
Den Tod kann man sich im Kaffeehaus auf mannigfaltige Weise holen. Man raucht, bis die Lunge streikt, man trinkt Kaffee bis zum Herzinfarkt und man ärgert sich durch die aufliegenden Tageszeitungen zu Tode. Es soll auch schon vorgekommen sein, dass bei zwei kleinen Braunen in einem versteckten Winkel das gewaltsame Ableben unliebsamer Zeitgenossen geplant wurde oder in einem vom Herrn Ober unbeobachteten Moment die für schnelles Ableben geeignete Dosis Gift im Einspänner versenkt wurde. Wie man sieht, Gevatter Tod ist Stammgast dieser an sich gemütlichen Etablissements, und freundlicherweise trägt er das Seine dazu bei, dass nicht nur echte, sondern auch Phantasiemorde passieren.
In „Tatort Kaffeehaus“ wurden solche nie begangene Taten zum literarischen Tatbestand. 13 Kriminalgeschichten aus Wien spielen in erster Linie an Marmortischchen und Plüschfauteuils.
Die Autoren u.a. Eva Rossmann, Gerhard Loibelsberger, Sabina Naber oder Manfred Wieninger erzählen jede und jeder auf seine Weise spannende Geschichten, denen man – in erster Linie was das Kaffeehaus anbelangt – große persönliche Erfahrung anmerkt.
Sie lassen es am bekannt schwarzen Humor des Wieners ebenso wenig mangeln wie an der Lust am Morbiden.
Schöner als es Stefan Slupetzky in „Halsknacker“ formuliert hat, kann man es nicht sagen. Sein „Oberkieberer“ findet sich in einer luftigen, weitgehend schmucklosen Halle wieder, in einem jener L-förmigen Säle, wie sie alten Wiener Ecklokalen eigen sind. Vor einer mächtigen, zentral platzierten Marmorsäule röchelt eine hochbetagte Kühlvitrine vor sich hin, die Wände sind braun patiniert. Zwei ramponierte Karamboltische scheinen von Zeiten zu träumen, in denen das Wörtchen Kultur noch nicht mit Hedgefonds und ungesättigten Fettsäuren assoziiert wurde. Es ist ein großes, altes Tier, dieses Kaffeehaus, und es trägt den unaufhaltsamen Niedergang seiner Spezies mit Gleichmut.
In einem solchen Biotop muss einfach gestorben werden. Die praktische Anleitung dazu, 13 Kriminalgeschichten unter dem Titel Tatort Kaffeehaus, herausgegeben von der Kriminalautorin Edith Kneifl, ist im Falter Verlag 2011 erschienen und als praktische Kaffeehauslektüre um wohlfeile € 22,90 im Buchhandel erhältlich.