Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Alexander Rossi (Wirt zum Wilden Mann), Johanna Mahaffy (Anna) © Lalo Jodlbauer

Alexander Rossi (Wirt zum Wilden Mann), Johanna Mahaffy (Anna) © Lalo Jodlbauer

DER JÜNGSTE TAG Ein Fall für den höchsten aller Richter

Johanna Mahaffy (Anna), Daniel Jesch (Thomas Hudetz) © Lalo Jodlbauer

Johanna Mahaffy, Daniel Jesch © Lalo Jodlbauer

Ödön von Horváths unbestechlicher Blick in menschliche Abgründe anhand eines Eisenbahnunglücks

Ist Moral nichts als die Angst vor dem finalen Richterspruch? Zumindest gilt diese Annahme für den Stationsvorstand Thomas Hudetz. Er versäumt, ein Signal richtig zu stellen und verschuldet damit ein schweres Eisenbahnunglück. Ödön von Horváth hat diesen Zusammenstoß mit etlichen Toten und Schwerverletzten in „Der jüngste Tag“ analysiert und penibel wie ein kriminalistischer Ermittler aufgearbeitet. Es geht letztlich um die Schuldfrage, die bis zum Ende nicht vollständig geklärt ist, da alle Beteiligten ihren Anteil an der Katastrophe tragen. Erst als nach einem Mord die Toten erscheinen und zu reden beginnen, scheint sich eine Lösung dieses Falls abzuzeichnen. Horváths Resümee: Hudetz nimmt die Verantwortung auf sich und stellt sich dem Jüngsten Gericht.

v.l.n.r.: Philipp Stix (Kriminaler), Karin Kofler (Leni),Rainer Friedrichsen (Kohut), usw.

v.l.n.r.: Philipp Stix (Kriminaler), Karin Kofler (Leni),Rainer Friedrichsen (Kohut), Rafael Schuchter (Gendarm), Alexander Rossi (Wirt) © Lalo Jodlbauer

vorne: Daniel Jesch (Thomas Hudetz), Johanna Mahaffy (Anna), hinten: links: Rafael Schuchter etc.

vorne: Daniel Jesch (Thomas Hudetz), Johanna Mahaffy (Anna), hinten: links: Rafael Schuchter (Gendarm), Rainer Friedrichsen (Waldarbeiter) © Lalo Jodlbauer

Intendantin Maria Happel hat selbst inszeniert und verortet die Handlung an einem der Viadukte, wie sie im Semmeringgebiet zahlreich zu finden sind. Auf der Bühne des Neuen Spielraums, die sich inmitten einer Arena von Zuschauerreihen erhebt, stehen ihr nur wenige Möglichkeiten der Ausstattung offen. Mit ein paar symbolbeladenen Requisiten zaubert sie mit Alexandra Burgstaller dennoch einen komplexen Raum, der vom Bahnhof, dem Wirtshaus, einer Drogerie

bis zu wabbernden Nebelschwaden im Totenreich die jeweilige Umgebung für das tragische Geschehen sichtbar macht. Bernhard Moshammer führt durch das Stück mit dem Banjo und Liedern, aus denen die dunkle Grundstimmung tönt. Die Ausweglosigkeit wird festgelegt, wenn Mercedes Echerer als Frau Hudetz mit ihrem Bruder Alfons (Nicolaus Hagg als Drogeriebesitzer) das Problem ihrer Ehe bespricht. Sie ist um 13 Jahre älter als ihr Gatte und fühlt deutlich, dass der sich von ihr längst abgewendet hat. Freigeben kommt für sie aber nicht in Frage und Thomas Hudetz ist ein aufrechter Beamter. Man sieht Daniel Jesch deutlich die Unzufriedenheit seines Helden mit der gegenwärtigen Situation an, aber er hat nicht den Mut, sich von der ungeliebten Frau zu trennen. Es braucht das Töchterl des Wirten „Zum Wilden Mann“ (Alexander Rossi), das sich trotz ihrer Verlobung mit dem auswärtigen Fleischhauer Ferdinand (Kaspar Simonischek) an Thomas heranmacht. Johanna Mahaffy lässt dabei geschickt offen, wie ernst es ihrer Anna bei dem verhängnisvollen Busserl war, das schließlich das Unglück ausgelöst hat.

Daniel Jesch (Thomas Hudetz), Johanna Mahaffy (Anna) © Lalo Jodlbauer

Daniel Jesch (Thomas Hudetz), Johanna Mahaffy (Anna) © Lalo Jodlbauer

Es kommt zu Einvernahmen, geleitet von einem Staatsanwalt (Wolfgang Hübsch). Ein Meineid von Anna erwirkt für Thomas Hudetz einen Freispruch, nachdem der überlebende Heizer (Rainer Friedrichsen) als Zeuge ausgeschieden ist. Die Ortsbewohner, vertreten von der Dorftratschen Frau Leimgruber (Dunja Sowinetz) und der Kellnerin Leni (Karin Kofler) scheinen aber mehr zu wissen und lassen die Gerüchteküche sanft aber unerbittlich brodeln. Philipp Stix als Kriminaler und Rafael Schuchter als Gendarm warten die Entwicklung nach dem Gerichtsurteil ab und werden erst aktiv, als Anna ermordet aufgefunden wird. Es stellt sich die Täterschaft von Thomas Hudetz heraus.

Der will sich in seiner Aussichtslosigkeit am Viadukt vor einen durchfahrenden Zug stürzen. Im Finale des Stücks erscheinen die Toten und halten mit dem kriminell gewordenen Bahnhofvorstand Abrechnung. Diese Szenen sind Momente der Gänsehaut. Anna warnt ihn, dass das Jenseits furchtbar ist und sich der Lokführer Pokorny nur an ihm rächen will, wenn er ihn zum Selbstmord auffordert. Es sind die Posaunen des Jüngsten Gerichts, die Hudetz endgültig davon überzeugen, sich widerstandslos festnehmen zu lassen.

Wolfgang Hübsch (Pokorny), Philipp Stix (Streckengeher) © Lalo Jodlbauer

Wolfgang Hübsch (Pokorny), Philipp Stix (Streckengeher) © Lalo Jodlbauer

Stefan Jürgens (Doktor), im Spiegel: Martin Schwab (Vater) © Lalo Jodlbauer

Stefan Jürgens (Doktor), im Spiegel: Martin Schwab (Vater) © Lalo Jodlbauer

DER IGNORANT UND DER WAHNSINNIGE „Vivisektion“ von Oper und Theater

Stefan Jürgens, Julia Stemberger, Therese Affolter, Martin Schwab © Lalo Jodlbauer

S. Jürgens, J. Stemberger, T. Affolter, M. Schwab © Lalo Jodlbauer

Der „Pathologe“ T. Bernhard in der Garderobe der Königin der Nacht

Zwei Minuten lang herrschte im großen Saal der Festspiele Reichenau nahezu absolute Finsternis. Das im Zuge der Uraufführung bei den Salzburger Festspielen am 29. Juli 1972 vernichtete „Rad der Geschichte“, wie Thomas Bernhard es in „Der Theatermacher“ ironisch formulierte, darf sich wieder drehen. Damals ging es um die Notlichter, die am Ende seiner „Komödie“ wider seinen ausdrücklichen Wunsch brannten. Das Reichenauer Publikum, großteils in Kenntnis dieses Vorfalls, nahm die Dunkelheit gelassen auf. Sie war der finale Regieeinfall von Hermann Beil, dem Regisseur von „Der Ignorant und der Wahnsinnige“. Man freute sich nicht umsonst auf die grandios bösartigen Äußerungen, mit denen Doktor (Stefan Jürgens) dem Autor eine Stimme verleiht. In literarisch unterhaltsamer Treffsicherheit lässt er sich aus über die Schreiber von Kritiken und über deren Anlass, die Aufführungen in Theater und Oper. Sie reichen von der Kultur als Misthaufen über „das Genie ist eine Krankheit“ bis zur beleidigenden Anklage, dass Schauspieler und Sänger nichts als Intriganten seien. Eingebettet sind die Ausfälle in einem anschaulichen Vortrag des Pathologen über das fachgerechte Zerschneiden von Leichen.

Julia Stemberger, Martin Schwab, Therese Affolter © Lalo Jodlbauer

Julia Stemberger, Martin Schwab, Therese Affolter © Lalo Jodlbauer

Dirk Nocker, Julia Stemberger, Stefan Jürgens, Martin Schwab © Lalo Jodlbauer

Dirk Nocker, Julia Stemberger, Stefan Jürgens, Martin Schwab © Lalo Jodlbauer

Seine Zuhörer sind ein beinahe blinder Vater und dessen Tochter, eine Koloratursängerin, die sich auf ihren Auftritt als Königin der Nacht vorbereitet. Martin Schwab mit zwei gelben Armbinden gibt den Alkoholiker, der angeblich nur deswegen säuft, da seine Tochter (Julia Stemberger) rücksichtslos gegen ihn ist und im Zuge der Rachearie den Spitzenton verfehlen könnte.

Während Frau Vargo (Therese Affolter), die Gardrobiere, der nervösen Sängerin das Kostüm immer wieder zusammenflickt, ergibt sich eine seltsame Klangkulisse zwischen den Tonkaskaden der sich einsingenden Solistin, dem Monolog des Doktors und im Bass mit vom Vater hilflos wiederholten Halbsätzen der beiden anderen. Keine Frage, die Arie, mitgehört über den Lautsprecher, gelingt fabelhaft. Aus dem Künstlerzimmer geht es nach der Pause in ein Separee im Restaurant „Zu den drei Husaren“. Die Räumlichkeiten wurden von Christof Cremer sachlich und ohne sich gegenüber dem Text vorzudrängen eingerichtet. Bei dem Diner, das von Kellner Winter (Dirk Nocker) formvollendet aufgetragen wird, kommt der Überdruss eines Stars zutage. In einer Aufwallung von Verzweiflung, nicht zuletzt ausgelöst durch eine Warnung des Doktors, sagt sie weitere Auftritte ab, um mit ihrem Vater in die Berge zu fahren. Das „künstlerische Geschöpf“, das bedenkliche Hustenanfälle erleidet, hat sich von der „Koloraturmaschine“ zu einer von Angst gebeutelten Frau gewandelt, die dringend Erholung von einem „unmenschlichen Theaterbetrieb“ nötig hat.

Julia Stemberger (Königin der Nacht) © Lalo Jodlbauer

Julia Stemberger (Königin der Nacht) © Lalo Jodlbauer

C.C. Weinberger und Elisabeth Schwarz (Gäste im Wirtshaus) © Lalo Jodlbauer

C.C. Weinberger und Elisabeth Schwarz (Gäste im Wirtshaus) © Lalo Jodlbauer

LUMPAZIVAGABUNDUS Eine böse Zauberposse zum Liebhaben

v.l.n.r.: Die drei Lumpen Robert Meyer (Knieriem), Florian Carove (Zwirn), Thomas Frank (Leim)

v.l.n.r.: Die drei Lumpen Robert Meyer (Knieriem), Florian Carove (Zwirn), Thomas Frank (Leim), dahinter: Sebastian Wendelin (Lumpazivagabundus) © Lalo Jodlbauer

Eine uralte Wahrheit! Geld kann das Leben, aber nicht die Menschen verbessern.

Die Wette zwischen der Liebesgöttin Amorosa und Fortuna, angezettelt vom Bösen Geist Lumpazivagabundus, ist genau betrachtet ziemlich zynisch. Um ihre persönliche Macht zu beweisen, wird aus den Sterblichen ein „liederliches Kleeblatt“ ausgewählt, quasi als Versuchskaninchen. Die bekannten drei Handwerksburschen Leim, Zwirn und Knieriem werden mit Reichtum überschüttet. Wenn zumindest zwei davon Lumpen bleiben wollen, dann ist Fortuna geschlagen. Dabei wird gerne übersehen, dass sich die Vertreter des Feenreiches in der Versuchsanordnung nicht sorgfältig genug umgesehen haben. Der Tischler ist weder Weiberheld noch Säufer, er ist einfach unglücklich verliebt. Fortunas Geldsegen wird auf der Stelle zweitrangig, wenn der anständige Bursch die ersehnte Tochter seines Meisters zur Frau bekommt. Sollte Amorosa dieser Umstand bekannt gewesen sein, wäre sie eine durchaus zweifelhafte Gewinnerin.

v.l.n.r.: Julius Dörner (Hilaris), C.C.Weinberger (Mystifax), Elisabeth Schwarz (Brillantine),

v.l.n.r.: Julius Dörner (Hilaris), C.C.Weinberger (Mystifax), Elisabeth Schwarz (Brillantine), Brigitte Kren (Fortuna) © Lalo Jodlbauer

Thomas Frank (Leim) © Lalo Jodlbauer

Thomas Frank (Leim) © Lalo Jodlbauer

Wenn es einem Regisseur gelingt, aus diesem weithin bekannten und beliebten Stoff noch Neues herauszuholen, dann ist es Robert Meyer. In guter, alter Tradition von Nestroy hat er auch die Rolle des Knieriem übernommen. Einer stimmungsvollen und ungemein authentisch wirkenden Inszenierung stand damit nichts mehr im Wege. Immer dabei ist auch die Wandergitarre, mit der sich der Schustergesell´ trotz subtil angedeutetem Dauerrausch bei seinen Gesangseinlagen begleitet. Es gibt ja doch einige Lieder, angefangen vom Marsch in die Stadt über Eduard und Kunigunde bis zum Couplet vom ausbleibenden Kometen. Sie werden zusätzlich von einer kleinen Kapelle in Wienerischer Besetzung (Helmut Thomas Stippich mit der Schrammelharmonika, Maria Stippich an der Kontragitarre und David Stippich sensationell am picksüßen Hölz´l, der Klarinette in hoch G) mit den passenden Klängen versorgt. Die Bühne wurde von Christof Cremer als drehbarer Kubus für alle Zwecke genial eingerichtet und lässt durch Öffnen diverser Türen wie magisch die einzelnen Schauplätze erscheinen.

Ensemble Lumpazivagabundus © Lalo Jodlbauer

Ensemble Lumpazivagabundus © Lalo Jodlbauer

In den weiteren zwei Dritteln besagten Kleeblatts sind Thomas Frank als Leim und Florian Carove als Zwirn zu erleben. Um sie herum schleicht verderblich Lumpazivagabundus, dem Sebastian Wendelin die virtuose Verschlagenheit von Mephisto verleiht.

Der Rest der Besetzung ist in etlichen Mehrfachrollen beschäftigt. So wechselt Franz Xaver Zach vom erhabenen Feenkönig Stellaris u. a. zum auf Krücken hatschenden Tischlermeister Hobelmann, der heilfroh ist, dass der Leim seinerzeit Tochter Peppi vor dem tödlichen Wurf des Stemmeisens gerettet hat. Elisabeth Schwarz verleiht dieser jungen Frau alle die Herzlichkeit, die ihrer Laura, heiratswütige Tochter der Signora Palpiti (Brigitte Kren auch als Fortuna und Gertraud) abgeht. Für die reiferen Herren ist C. C. Weinberger zuständig. Er betätigt sich als Maler, Gastwirt und alter Zauberer Mystifax. Die Jugend wird von Julius Dörner (Hilaris, Strudl, Bedienter bei Zwirn), Johannes Deckenbach (Fludribus, Fassel, Herr von Windwachel), Veronika Glatzner (Amorosa, Kellnerin Sepherl, Anastasia, Camilla) in beachtlicher Wandelbarkeit vertreten. Sie alle tragen sehenswert dazu bei, dass Lumpazivagabundus die beiden Spezln vor einem anständigen Leben erretten kann, indem er sie mit sich in seine finstere verkommene Welt mitschleift.

Sebastian Wendelin (Lumpazivagabundus) © Lalo Jodlbauer

Sebastian Wendelin (Lumpazivagabundus) © Lalo Jodlbauer

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