Werk & Leben von 15 künstlerisch einzigartigen Persönlichkeiten zum Lesen & Schauen
Am Anfang steht die einzige Frau, die es in die eben erschienene Publikation des Gugginger Kunstgeschehens geschafft hat. Laila Bachtiar wurde 1971 in Wien geboren. Erkannt wurde ihre gestalterische Begabung in drei Sonderschulen, die das Mädchen von 1978 bis 1989 besuchte. Entdeckt als Künstlerin wurde sie schließlich von niemand Geringerem als Prof. Ernst Fuchs. Mitglied der Gugginger Familie ist sie seit 1990. Ihre Arbeiten beanspruchen viel Zeit, die ihr im atelier gugging des „Hauses der Künstler“ in ausreichendem Maß gewährt wird. Mit dem Bleistift schafft sie ein Gerüst aus Linien als Bausteine der Motive
Diese werden zu Kompositionen mit Titeln wie Blume, Ente oder einem abstrakten Delphin ausgearbeitet. Eine ähnlich fantastische Welt erschafft Leonard Fink (geb. 1982 in Weidling) mit Mischwesen oder dicht belebten Orten, die ihm als Sehenswürdigkeiten erscheinen.
Diesen beiden folgt in alphabetischer Reihenfolge der Familiennamen ein Künstler nach dem anderen. Ihre Arbeitsweise wird liebevoll detailliert beschrieben, mit einer kurzen Vita am Ende des jeweiligen Texts. Begleitet wird er großzügig von Werken, die so ein beeindruckendes Schauerlebnis ermöglichen. Johann Garber, Ernst Herbeck, Franz Kernbeis oder Heinrich Reisenbauer sind Künstler, die auf diese Weise unter Umständen zu neuen guten Bekannten werden. O.T. (Oswald Tschirtner), Johann Hauser oder August Walla sind ohnehin schon lange Jahre die Stars von Gugging. Mit ihren Namen sind in der kunstinteressierten Öffentlichkeit Bilder verbunden, die auf der Stelle dem jeweiligen Künstler zugeordnet werden. Tschirtners „Kopffüßler“ sind die geniale Reduktion des Menschen auf einfache Striche, ohne Geschlecht und auch als Teil einer Schar beziehungsloser Wesen. Hauser wiederum zeichnete sich den sexuellen Frust von der Seele, mit einer derartigen Energie, der nicht selten das Zeichengerät zum Opfer fiel. Eine mediale Vielfalt, von der Malerei über Plastik bis zur Installation, bietet das von Walla erschaffene Universum.
Es quillt über von Mythologien, die auch durch beigefügte Kommentare und politische Symbole kaum erschlossen werden. Leopold Strobl wurde 1960 in Mistelbach geboren und ist eng mit dem art brut center gugging verbunden. Seine kleinformatigen Zeichnungen, in dichten Strichen aufgetragen auf Ausschnitten aus Zeitungen und Illustrierten, lassen einsame Monolithen durch die Landschaft wandern oder verdecken mit dunklen Flächen den ursprünglichen Inhalt. Just diesem von Natur aus ungemein bescheidenen Künstler wurde mit der Einladung zur 60. Biennale di Venezia die Ehre zuteil, mit seinen Werken in der Ausstellung „Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere“ inmitten internationaler Größen vertreten zu sein. Ihnen allen ist „kunst aus gugging / art from gugging“ gewidmet, herausgegeben von Nina Ansberger, der künstlerisch-wissenschaftlichen Leiterin des museums gugging, erschienen im Residenz Verlag mit der ISBN: 9783701736171.
Werke von Leopold Strobl in gugging.! Classic & contemporary
LEOPOLD STROBL & DIE BIENNALE und art brut center gugging ist dabei!
Werke von Leopold Strobl in gugging.! Classic & contemporary
Eine Einladung nach Venedig, die noch mehr als bisher internationales Interesse auf das Museum lenken wird
Der 1960 in Mistelbach im Weinviertel geborene Künstler ist bescheiden. In kleinen Formaten verwirklicht Leopold Strobl seit 2014 seine Vorstellung der Wirklichkeit, in der Menschen und Gegenstände unsichtbar zu sein haben oder bestenfalls erahnt werden können. Das Medium sind Illustrationen in Druckmagazinen, die von ihm ausgeschnitten und gesammelt werden. Jeweils eine für den Tag geeignete Fotografie wird aus der Mappe geholt und überarbeitet. Fundorte sind Tages-, Wochen- und Kirchenzeitungen. Mit Farbstiften geht Strobl daran, daraus seine Kunstwerke zu formen. Mit Schwarz und Dunkelbraun werden Personen, Fahrzeuge und Tiere dicht überzeichnet, so lange, bis sie hinter einer dicken Schicht aus Strichen wie große abgerundete Findlinge in der Landschaft liegen, oder besser, trotz ihrer Bewegungslosigkeit geheimnisvoll durch die Gegend zu wandern scheinen.
Die Umrisse von Bergen, Wäldern oder Gebäuden werden nachgezogen und das Blau des Himmels der Stimmung des Künstlers angepasst. Strobls Themenspektrum ist breit, es reicht von Naturansichten über die ihm vertrauten Kellergassen bis zu Kriegsschauplätzen, die, ohne von ihm beabsichtigt, eine tagespolitische Komponente in sein Werk einbringen. Er selbst wird dazu niemals eine Erklärung abgeben, seine Arbeiten genügen ohnehin, um in den Betrachtern bei genauem Hinschauen leise Gedankenanstöße zu generieren.
Leopold Strobl wurde von Kurator Adriano Pedrosa zur Teilnahme an der 60. Biennale di Venezia eingeladen und wird mit seinen Werken im Arsenale in der Ausstellung „Stranieri Ovunque – Foreigners everywhere“ vom 20. April bis 24. November 2024 inmitten internationaler Größen vertreten sein. Die Freude im art brut center gugging ist verständlicherweise groß. Seit 2002 besucht Strobl das atelier gugging, anfangs fast täglich, seit etwa 2019 einmal in der Woche. An den Tagen dazwischen arbeitet er an seinen Wohnsitzen in Poysdorf und Kritzendorf. In dieser Zeit entstand eine innige Verbindung zum art brut center gugging und der galerie gugging. Seit 2021 sind seine kleinen, aber intensiven Bilder im museum gugging zu bewundern, wenngleich schon 2016 sein Schaffen international wahrgenommen wurde. Die Berufung nach Venedig war für Kuratorin Nina Ansperger die ideale Gelegenheit, die bis März 2026 (dem Jubiläumsjahr) laufende Dauerausstellung „gugging.! Classic & contemporary“ einem umfangreichen Update zuzuführen.
Leopold Strobl wurde ein gesamter Raum mit 45 Werken gewidmet. Vom 12. September 2024 bis 16. März 2025 wird die Schau „fantastische orte.! walla / strobl / vondal / fink“ zu sehen sein. Am Sonntag, den 5. Mai 2024 wird Gisela Steinlechner bei der Veranstaltungsreihe museum gugging im gespräch zu Gast sein und den von ihr verfassten Strobl-Beitrag im Biennale Katalog präsentieren.
Art brut auf dem Weg vom erkennbaren Motiv zur Gegenstandslosigkeit
Erstmals steht eine Frau im Zentrum einer Ausstellung des museums gugging. Laila Bachtiar (*1971) arbeitet seit 1990 in Gugging und hat in den vergangenen Jahrzehnten ein gewaltiges Œuvre geschaffen. Es sind, neben einigen wenigen Gemälden, hauptsächlich Zeichnungen, liniendominierte Bilder, in denen ihr Lieblingsmotiv, Tierdarstellungen, wieder einen großen Teil einnehmen. Im Laufe der Zeit befreite sich die Künstlerin mehr und mehr von erkennbarer Gegenständlichkeit, ohne sie jedoch radikal zu verlassen. Dieser Weg verbindet mit drei anderen (mittlerweile verstorbenen) Gugginger Künstlern, die ihren Arbeiten gegenübergestellt werden. Im Titel dieser Schau „abstrakt.!? zwischen figuration und abstraktion“ (bis 17. März 2024) hat das Fragezeichen also einen besonderen Stellenwert.
Die Antwort darauf versucht die Einteilung in vier Kapitel zu geben. „Motiv und Linie“ lässt in einer Blackbox der Zeichnerin auf die Finger schauen. Man kann verfolgen, wie aus einem einfachen Liniengerüst, einer Art Skizze, nach und nach eine Fläche aus dicht gesetzten Strichen entsteht, die beispielsweise ein ursprünglich als Hund auszunehmendes Tier unter den Grautönen der Schraffur für den Blick zu verbergen beginnt. Ihr gegenüber hängen Bilder von Erich Zittra, der, anders als die späte Bachtiar, seine Motive mit vielfarbig überstrichelt hat. In Kapitel 2, Figur, sind es Werke von Philipp Schöpke, die sich, ähnlich wie Bachtiar, zu den Grenzen der Abstraktion hin bewegen.
Auf dem Weg in den nächsten Saal begrüßt das als Sujet des Museums bekannte acrylfarbene Selbstporträt von Rudolf Horacek die Besucher, quasi als Summe der Köpfe davor, die mit Namen, Zahlen, Buchstabenfolgen und „Mannswörth“, dem Geburtsort von Horacek, bereichert wurden. Nun ist die Rede von „Verdichtung“, die neben Bachtiars Gemälde „Delphin“ (2014) durch menschliche Figuren und reine Strichcluster von Rudolf Liemberger erklärt wird. Schließlich wird in „Farbe und Abstraktion“ die weibliche Art brut in Form einer prächtigen Blume mit der farblichen Intensität des Spätwerks von Philipp Schöpke vereint, um in dieser Kombination aus männlichen Großformaten und dem feinfühligen Ausdruck der Künstlerin den Weg Richtung Abstraktion zu weisen. Als Hilfestellung zur Betrachtung gibt es ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm, in dem unter anderem die Kuratorin und künstlerische Leiterin des Hauses Nina Ansperger mit Peter Pongratz über Gegenwart und Zukunft malender und zeichnender Frauen im Gugging Gedanken austauschen wird.