Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Parastou Forouhar, The Eyes, Andrea Ressi, Border Control Security

Parastou Forouhar, The Eyes, Andrea Ressi, Border Control Security

ANGST Vom jüdischen und allgemeinen Fürchten

Felix Nussbaum, Angst (Selbstbildnis mit seiner Nichte Marianne)

Felix Nussbaum, Angst (Selbstbildnis mit seiner Nichte Marianne)

Ein gewaltiges Thema wird in einer winzigen Ausstellung durchaus anschaulich gemacht.

Antisemitismus und daraus resultierende Pogrome haben den Juden seit Antritt der Diaspora vor bald 2000 Jahren nachvollziehbar Ängste bereitet. Das Phänomen betrifft jedoch auch die gesamte Menschheit, die im Lauf ihrer Entwicklung Seuchen, Bränden, Katastrophen und ähnlichem Ungemach ausgeliefert war. Bei der Schuldfrage richteten sich die Blicke oft nach oben, vorwurfsvoll zu einem transzendenten strafenden Gott, oder nach unten, zum Teufel als das Böse schlechthin. Erst mit der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts begann eine zögerliche Ursachenforschung im Bereich des Natürlichen und Nachvollziehbaren. In dieser Licht bringenden Epoche setzt auch die von Andrea Winklbauer kuratierte Ausstellung „Angst“ ein. Eingerichtet ist sie im Jüdischen Museum am Judenplatz, in bewusster Nähe zum Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Shoah.

„Der Ausbruch des Vesuvs über den Golf von Neapel gesehen“ von Michael Wutky

„Der Ausbruch des Vesuvs“ von Michael Wutky

Lilly Steiner, Composition baroque, 1938 Detail

Lilly Steiner, Composition baroque, 1938 Detail

Den Anfang macht das Gemälde „Der Ausbruch des Vesuvs über den Golf von Neapel gesehen“ von Michael Wutky (1739-1822). Der Künstler hatte seine Angst überwunden und sich dem feuerspeienden Berg bedenklich genähert, um das faszinierende Geschehen intensiv zu erleben. Daneben hängen wie ein Kontrapunkt vier Amulette, sogenannte „Kimpetbrivin“ zum Schutz von Säuglingen vor dem Dämon Lilith. Mutige Neugier steht also gegen irrationalen Aberglauben. Sehr konkret ist die nächste Art der Angst. Max Oppenheimer hat sie mit „Salome“, einer Kaltnadelradierung auf Japanpapier, sichtbar gemacht und damit das männliche Unbehagen vor der Macht des Weibes thematisiert. Es hat bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gedauert, bis Eltern und Pädagogen erkannt haben, Erziehung durch Angst für unangebracht zu halten. Heinrich Hoffmann (1809-1894) hat mit dem Struwwelpeter noch in heiterem Ton den Kindern erklärt, den Eltern gehorsam zu sein, um nicht die Daumen zu verlieren oder gar das Leben, wenn mit Streichhölzern gespielt wird und Warnungen der beiden Katzen Minz und Maunz ignroriert werden. „Jüdische Flüchtlinge nach einem Pogrom“ hat Wilhelm Wachtel (1875-1942) bereits 1915 gemalt und von Hugo Steiner-Prag (1880-1945) stammt eine Mappe von Lithografien zum Golem, dem Sinnbild jüdischer Ängste vor einem außer Kontrolle geratenen Beschützer.

Nach Videos wie „The Sceleton Dance“ und einer kafkaesken Angst im immersiven „In the Burrow“ von Marlene Mautner (*1989) geht es in den zweiten Raum zu Ängsten mit aktuellen Bezügen wie einem Foto, das Einschusslöcher in einer Stahltür und eine abgebrochene Klinke mit Blutspuren zeigt. Es stammt vom 28. Oktober 2023, aufgenommen von Ziv Koren (*1970) nach dem Terrorangriff der Hamas. Die Menschen dahinter haben die gleiche Angst ausgestanden wie die während der Nazizeit zwischenzeitlich in einer Sammelwohnung untergebrachten Juden, die nur der hier gezeigte Türflügel mit Einbruchsspuren von ihren Häschern und der drohenden Deportation getrennt hat. Im letzten Raum gibt es kein Verbergen vor den unzähligen Augen (The Eyes), mit denen Parastou Forouhar (*1962) die Wände tapeziert hat. Es ist die Angst vor einer übermächtigen, alles sehenden Überwachung, die von der Künstlerin selbst in ihrer persischen Heimat erlitten wurde. Sie schreibt dazu: „Was sich dieser ornamentalen Ordnung nicht unterwirft, ist nicht darstellbar und damit nicht existent, wird in die Peripherie der Unwürdigen verbannt, zur Vernichtung verurteilt.“

Friedl Dicker-Brandeis: Das Verhör I, 1934/35  © Jüdisches Museum Prag

Friedl Dicker-Brandeis: Das Verhör I, 1934/35

© Jüdisches Museum Prag

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