Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Silvia Meisterle, Roman Schmelzer, Olive Rosskopf, Martina Ebm © Christian Wind

Silvia Meisterle, Roman Schmelzer, Olive Rosskopf, Martina Ebm © Christian Wind

NACHTLAND War Hitler jetzt doch (k)ein Künstler?

Roman Schmelzer. Susa Meyer, Oliver Rosskopf, Martina Ebm © Christian Wind

Nachtland, Ensemble © Christian Wind

Die pointierte Aufarbeitung einer unleugbaren Erbschuld anhand eines Aquarells

Soweit Historiker festgestellt haben, war Adolf Hitler nach zweimaliger Abweisung seitens der Wiener Akademie der bildenden Künste als ein Art Gebrauchsmaler tätig. Er hielt sich in seinen Wiener Jahren zwischen 1907 und 1913 mit dem Kopieren von Postkarten, Stichen und Aquarellen über Wasser. Was ihn nicht daran hinderte, seine eher linkisch fabrizierten Bilder stolz zu signieren. Klar, dass diese Machwerke nach seinem Aufstieg zum Führer massenweise gefälscht wurden. Ein Gemälde aus seiner Hand, ob echt oder nicht, war der klare Ausweis für die stramme Einstellung zu dem von ihm geleiteten Regime. Wenn nun heute so ein Blatt auftaucht, verschämt versteckt am Dachboden unter Gerümpel, ist es in jedem Fall eine Sensation. Ist es dazu versehen mit nachvollziehbarer Provenienz, dann schießt der Preis dafür in beachtliche Höhen, ungeachtet der mangelnden Qualität der damals abgelieferten Arbeit.

Nachtland, Ensemble © Christian Wind

Nachtland, Ensemble © Christian Wind

Oliver Rosskopf, Martina Ebm © Christian Wind

Oliver Rosskopf, Martina Ebm © Christian Wind

Der deutsche Dramatiker Marius von Mayenburg hat einen solchen Zufallsfund zum Diskussionsgegenstand seiner Komödie „Nachtland“ erkoren, die von Ramin Gray für die Kammerspiele in einer amüsant kurzweiligen Regie umgesetzt wurde. Die Geschwister Nicola (Martina Ebm) und Philipp (Oliver Rosskopf) sind nach dem Ableben ihres Vaters quasi die „Erben“ eines Aquarells, das die Ruprechtskirche, die älteste Kirche Wiens, darstellt. In der rechten unteren Ecke ist deutlich zu lesen: A. Hitler. Was tun damit? Als die Galeristin Evamaria (Susa Meyer) auftaucht, entdeckt diese auf dem Rahmen den aufgeklebten Papierstreifen mit dem Namen von Hitlers (jüdischem) Kunsthändler Morgenstern. Der endgültige Beweis für die Echtheit ist geliefert. Judith, die Frau von Philipp (Silvia Meisterle), kann die Begeisterung der anderen nicht teilen.

Sie ist Jüdin und will das Bild, für sie ein brauner Dreck, einfach vernichten. Nicolas Mann Fabian hat sich beim Ausrahmen verletzt. Roman Schmelzer versucht Blutung und Beschwerden in den Griff zu bekommen, muss aber ins Spital. Der biedere Fabian wurde von einem Gift infiziert, das ihn in den Kunstsammler Kahl verwandelt. Mit einem Haufen Geld und einer ans Komische reichenden Überheblichkeit will er Bild und Jüdin kaufen. Mayenburg lässt in dieser Kombination die Beteiligten mit pointierter Hilflosigkeit alle Klischees von Antisemitismus, Rassismus, Erbschuld und latent vorhandenem Nazidenken abhandeln. Dazu kommen angeregte philosophische Überlegungen, wie weit das unmoralische Leben eines Künstlers und sein Werk verquickt sind, und als pikante Draufgabe eine Aufzählung prominenter deutscher Judenhasser, an deren Platz im Olymp niemand zu rütteln wagte. Nicht zuletzt wird die Frage erörtert, ob Adolf Hitler trotz zu „wenig Köpfe“, wie es in der Begründung der akademischen Ablehnung hieß, nicht doch ein genialer Künstler oder nur ein armseliger Pinsel war.

Silvia Meisterle, Roman Schmelzer © Christian Wind

Silvia Meisterle, Roman Schmelzer © Christian Wind

Sie sagt. Er sagt, Ensemble © Moritz Schell

Sie sagt. Er sagt, Ensemble © Moritz Schell

SIE SAGT. ER SAGT. Und was sagen die Gerichtskiebitze?

Silvia Meisterle (Katharina Schlüter) und Ensemble © Moritz Schell

Silvia Meisterle (Katharina Schlüter) und Ensemble © Moritz Schell

Gibt es Gerechtigkeit vor dem Richter? Das Stück bleibt die Antwort schuldig.

Ferdinand von Schirach betreibt mit seinen Dramen eine subtile Art spezieller Bildung. In der dramatisierten Gerichtverhandlung mit dem Titel „Sie sagt. Er sagt.“ belehrt er das Publikum ganz in der Art der erfahrenen Richterin ausführlich über diese juristische Materie und verwandelt es so zu einem kollektiven Kiebitz, der auf dem Nachhauseweg mit genügend Stoff für diverse Diskussionen versorgt ist. In diesem Fall geht es um eine äußerst delikate Angelegenheit. Eine verheiratete Frau behauptet, von ihrem ebenfalls ehelich gebundenen Geliebten vergewaltigt worden zu sein. Begonnen hat es mit einvernehmlichem Sex inklusive Penetration. Da zwischen den beiden aber bereits eine Trennung ausgesprochen war, wollte sie nach kurzer Zeit den Beischlaf beenden und versuchte ihn von sich wegzustoßen. Was ihr bis zu seinem Höhepunkt jedoch nicht gelang. Sperma spritzte dabei, so ein Ergebnis der Untersuchung, auch auf das neben dem Bett liegende Kleid. Sie macht daraufhin ein Trauma geltend; als fatale Folge dieser Vergewaltigung. Tage darauf zeigte sie den Vorfall an, der nun mit ihr als Nebenklägerin vor einem Strafgericht gelandet ist.

Joseph Lorenz (Rechtsanwalt Biegler) mit Croissant © Moritz Schell

Joseph Lorenz (Rechtsanwalt Biegler) mit Croissant © Moritz Schell

Martina Stilp (Rechtsanwältin Breslau) © Moritz Schell

Martina Stilp (Rechtsanwältin Breslau) © Moritz Schell

Die Besetzung in den Kammerspielen unter einer wohlgeordneten Regie von Sandra Cervik ist opulent. Am Landesgericht spricht die Richterin Ulli Maier Recht und führt mit Umsicht die Zeugeneinvernahmen. So wird Susa Meyer als Pia Altstetdt zur Psychologischen Sacherverständigen, die routiniert und fundiert die Fragen beantwortet, ebenso wie die Rechtsmedizinerin Maria Laux-Frohnau (Wiltrud Schreiner). Larissa Fuchs als junge Kriminalhauptkommissarin Frauke Reuther muss allerdings eine Nachlässigkeit zugeben. Auf einem Überwachungsvideo unmittelbar nach dem inkriminierten Geschehen ist das Opfer mit einem Mantel zu sehen, der nicht untersucht wurde. Valerie Maiburg (Karin Yoko Jochum) ist die Freundin des angeblichen Opfers und hat diesem die Anzeige bei der Polizei nahegelegt. Ein erfrischender Farbtupfer im Grau des Verhandlungssaales (Bühnenbild: Walter Vogelweider) ist Marcello De Nardo. Er schafft ein Schmunzeln, wenn er als freundlicher Berliner Taxifahrer Paul Marotzka neue Beweismittel vorlegt.

Alle Aussagen werden von zwei Rechtsanwälten und Oberstaatsanwalt Heise (Oliver Rosskopf) belauert. Die Vertretung für den Angeklagten hat Verteidigerin Breslau übernommen. Martina Stilp ist die kühle Advokatin, die immer noch ein Ass im Ärmel hat, wenn sie RA Biegler (Joseph Lorenz) mit Gags aus seiner Trickkiste überrumpeln will. Als ebenso souveräner wie arroganter Vertreter von Katharina Schlüter (Silvia Meisterle) will er ihren Ex-Geliebten verurteilt sehen. Ulrich Reinthaller als Christian Thiede spricht bis ganz zum Schluss kein Wort. Als er aber seine Stimme erhebt, wird es mucksmäuschenstill im Raum. Sein Plädoyer in eigener Sache ist berührend und spürbar wirksamer als alles bisher Gesprochene. Wie das Verfahren ausgeht, bleibt jedoch offen. Autor Ferdinand von Schirach hat sich dieser Verantwortung entzogen. Mit einer unerwarteten Aussage wird eine Vertagung erzwungen... Was sicher ist: Durch die Anzeige wurden zwei Karrieren und zwei Familien zerstört, ein Schaden, den das gerechteste Urteil der Welt nicht mehr gutmachen kann.

Marcello De Nardo (Paul Marotzka), Johannes Weninger (beisitzender Richter) © Moritz Schell

Marcello De Nardo (Paul Marotzka), Johannes Weninger (beisitzender Richter) © Moritz Schell

Nils Arztmann, Paula Nocker © Moritz Schell

Nils Arztmann (Kostja), Paula Nocker (Nina) © Moritz Schell

DIE MÖWE Tiefgreifende Dialoge im Wodkarausch

Die Möwe, Ensemble © Moritz Schell

Die Möwe, Ensemble © Moritz Schell

Entstaubte Sommerfrische am sonnigen See

Die Gesellschaft, die Anton Tschechow in „Die Möwe“ irgendwo in den Weiten Russlands ihren Sommer verbringen lässt, hat ein Problem: Ihr ist fad. Der angehende Schriftsteller Konstantin (Kostja) versucht mit einem kleinen Theaterstück der Langeweile gegenzusteuern. Seine Mutter Irina Arkadina, eine arrivierte Schauspielerin, wirft sich zur Kritikerin auf und zerreißt das Werk vor Augen und Ohren aller Anwesenden. Als Rest an Kurzweil verbleiben komplizierte Beziehungen, die wortreich immer verwickelter werden, bis es zur erlösenden Abreise in die Stadt kommt. Im zweiten Teil des Dramas, Jahre später, geht es nicht viel anders zu. Die Dialoge, besser Streitereien, führen jedoch direkt in persönliche Tragödien der meisten Anwesenden. An Action tut sich nicht allzu viel. Die wahre Dramatik spielt sich in den Seelen der Betroffenen ab, die keine Scheu haben, diese der Öffentlichkeit in aller Breite offen zu legen.

Claudius Stolzmann, Günter Franzmeier, Sandra Cervik © Moritz Schell

Claudius Stolzmann, Günter Franzmeier, Sandra Cervik © Moritz Schell

Nils Arztmann, Martin Schwab © Moritz Schell

Nils Arztmann, Martin Schwab © Moritz Schell

Regisseur Torsten Fischer hat den See zum Hauptdarsteller gemacht. Herbert Schäfer hat ihn an die Hinterwand der Bühne gezaubert und lässt ihn alle Stückl´n spielen. Der Mond geht termingerecht zu Kostjas Drama auf, Tags darauf präsentiert sich das Gewässer verlockend sonnig zum Fischen, Schwimmen und Bootfahren, um am Ende die Tragik in düsteren Wellen gegen das Ufer schlagen zu lassen. Immer ist es die Liebe in allen ihren Schattierungen, die für Verwirrungen und Probleme aller Art sorgt. Kostja (Nils Arztmann) ist unglücklich in Nina (Paula Nocker) verliebt. Sie will Schauspielerin werden und übernimmt die Hauptrolle in dessen Stück. Ist es Eifersucht oder gesundes Urteilsvermögen, das Sandra Cervik als Irina mit provozierenden Zwischenrufen zum Abbruch der Vorstellung verleitet? Sie und ihr Sohn lieben einander so sehr, dass unschuldig erotische Funken zwischen den beiden sprühen. Man nimmt ihr auch ab, dass ihr um einiges jüngerer Liebhaber, der arrivierte Autor Boris Trigorin (Claudius Stolzmann), nach einem amourösen Ausflug zur blutjungen Nina recht bereitwillig wieder in ihren Schoß zurückkehrt.

Ihr älterer Bruder Pjotr Sorin, hinreißend gespielt von Martin Schwab, versinkt allmählich in Selbstmitleid, das auch Unmengen von Wodka nicht beheben können. Das Wässerchen schmeckt auch den Damen, vor allem Mascha (Johanna Mahaffy), die sich lieber dem Suff als dem Antrag des Lehrers Semjon Medwedenko (Jakob Elsenwenger) ergibt. Ihre Mutter Polina (Alexandra Krismer) ist ebenfalls kein Kind von Traurigkeit. Sie treibt es ungeniert mit dem Arzt Jewgeni Dorn, dem Günter Franzmeier in dem Gefühlsgewurl heitere Gelassenheit verleiht. Immerhin setzt er dem Hausverwalter Schamrajew die Hörner auf. Markus Kofler scheint sich als solcher darum aber wenig zu kümmern. Er erntet vielmehr dank seiner grandios subtilen Komik einen Sonderapplaus. Alles mutet so heutig an, weit weg vom Entstehungsjahr dieses Dramas 1895; und es trägt dazu bei, dass man sich erstaunlich wohlfühlt an diesem See, wenngleich zuerst die Möwe erschossen wird, und sich der Schütze am Ende selbst den Lauf in den Mund steckt und abdrückt.

Nils Arztmann, Möwe, Paula Nocker © Moritz Schell

Nils Arztmann, Möwe, Paula Nocker © Moritz Schell

Julian Valerio Rehrl alias Céline Dion © Moritz Schell

Julian Valerio Rehrl alias Céline Dion © Moritz Schell

JAMES BROWN TRUG LOCKENWICKLER Einfühlsames Plädoyer für das Anderssein

Maria Köstlinger, Juergen Maurer, Alexandra Krismer, Julian Valerio Rehrl © Moritz Schell

Maria Köstlinger, Juergen Maurer, Alexandra Krismer, Julian Valerio Rehrl © Moritz Schell

Yasmina Rezas humoriger Tanz auf der Grenze zwischen gesunder Diversität und pathologischem Irresein

Für uns ist eine Frau mit schwarzem Vollbart nicht ungewöhnlich. Tom Neuwirth hat der Welt erfolgreich erklärt, dass er Conchita Wurst ist und auch so wahrgenommen werden will. Und niemand zweifelt daran, spätestens seit dem Sieg im Eurovisions Song Contest. In Frankreich dürften diesbezüglich die Uhren noch etwas hinten nachgehen. Jacob, Sohn eines biederen Elternpaares, wandelt sich mehr und mehr zur gefeierten Sängerin Céline Dion. Aus Mama und Papa werden Pascaline und Lionel und er, der von ihnen liebevoll Muck bzw. Muckl gerufen wird, will partout nicht mehr so genannt werden. Die genervten Eltern erhoffen sich Besserung in einer Anstalt. Aber statt seine natürliche Identität zu finden, bereitet er sich dort auf die große Tournee „Road to the South“ vor. Eine geheimnisvolle Psychiaterin und Jacobs Freund Philippe sind keine Hilfe. Sie steht zum Anderssein, das sie mit ihrer eigenwilligen Lesart des Märchens vom Aschenbuttel zu erklären versucht. Philippe ist ein Schwarzer in einem weißen Körper, der alle den Vertretern seiner Hautfarbe widerfahrenen Zurücksetzungen auf sich nehmen zu müssen meint. Autorin Yasmina Reza hat den Mut, die damit verbundenen Auseinandersetzungen mit einem Augenzwinkern abzuhandeln, nicht ohne überaus aktuelle Denkanstöße zu liefern.

Maria Köstlinger, Juergen Maurer, Julian Valerio Rehrl © Moritz Schell

Maria Köstlinger, Juergen Maurer, Julian Valerio Rehrl © Moritz Schell

Alexandra Krismer © Moritz Schell

Alexandra Krismer © Moritz Schell

Sandra Cervik hat das Stück „James Brown trug Lockenwickler“ für die Kammerspiele der Josefstadt inszeniert und mit einer großen Portion Gefühl das Komödiantische darin herausgearbeitet. Die Kulissen sind weiße, weich scheinende Wände und ein karg möglierter Raum, eben wie man sich ein teures Irrenhaus vorstellt. Darin genießt gleich zu Beginn Julian Valerio Rehrl als Jacob, pardon als Céline Dion, den Erfolg am Ende einer Show. In dieser Euphorie können ihn auch seine Eltern nicht stören. Maria Köstlinger ist eine hinreißende Pascaline Hutner und Juergen Maurer ihr aus Unsicherheit von einem ins nächste Fettnäpfchen tapsender Mann Lionel.

Der mit allen möglichen Schrägheiten ihrer Patienten vertrauten Psychiaterin sind die beiden selbstverständlich unterlegen, zumal Alexandra Krismer als attraktive Seelenärztin sowohl die Mutter als auch, und das noch mehr, den Vater irritiert. Mit einer Céline Dion hat sie überhaupt kein Problem, eher noch mit dem Bäumchen, das Philippe im Garten des Institutes aussetzen will. Mit dieser Ablehnung hadert Dominic Oley und er kettet sich an dieser Pflanze an. Dass er ein Weißer ist, der hier als Schwarzer anerkannt wird, sorgt wiederum nur bei Pascaline und Lionel für Erstaunen. Derlei Gags und Pointen, und es gibt genügend davon, kommen leise, ohne Schenkelklopfen daher. Es gibt freilich auch Musik. Ganz weiblicher Popstar präsentiert Julian Valerio Rehrl mit respektabler Stimme einen neugeschaffenen Song. Wenn dann noch über die Lautsprecher instrumental die Tränendrüse „My Heart Will Go On“ eingespielt wird, wallen Emotionen hoch und die Überzeugung, dass man doch jedem Menschen seinen Glauben und seine Seligkeit belassen sollte, so verrückt sie auch sein mögen.

Julian Valerio Rehrl, Dominic Oley © Moritz Schell

Julian Valerio Rehrl, Dominic Oley © Moritz Schell

Gott, Ensemble © Moritz Schell

Gott, Ensemble © Moritz Schell

GOTT oder wem sonst gehört das Leben?

Robert Meyer © Moritz Schell

Robert Meyer © Moritz Schell

Gedanken zum Suizid werden zur Diskussion gestellt.

Elisabeth Gärtner hat beschlossen, nicht mehr leben zu wollen. Sie ist zwar nicht mehr jung, aber kerngesund. Sie leidet weder unter Depressionen, noch sonstigen psychischen Problemen. Der einzige Grund für sie wurde ihr von ihrem Gatten auf dem Sterbebett mitgeteilt: „Mach´ es richtig!“ Nach seinem Tod ist sie in ein Sinnesloch gefallen, es gibt für sie keine Perspektiven, die ihr von der Natur zugestandenen Jahre nur annähernd so zu verbringen wie in den vielen Jahrzehnten an der Seite ihres Mannes. Das gängige Mittel zum sanften Suizid, Natrium-Pentobarbital, wurde nicht genehmigt. Ein Ethik-Rat tritt zusammen, um an diesem Fall die Mitwirkung von Medizinern am Suizid zu diskutieren. Titel dieses Denkstücks ist „GOTT“, verfasst von Ferdinand von Schirach, seines Zeichens Schriftsteller und Jurist. In der jeweiligen Argumentation wird auch penibel zwischen „aktiver Sterbehilfe“, „Indirekter Sterbehilfe“, „passiver Sterbehilfe“ und „Beihilfe zum Suizid“ unterschieden. Die Verfassungsgerichtshöfe von Deutschland und Österreich haben beinahe gleichlautend das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ geregelt und dieser Causa ein zeitgemäßes Regelwerk zugrunde gelegt, ohne jedoch auf das jeweilige Individuum einzugehen und ernsthaft die tief liegenden Gründe zu erörtern, die hinter dem jeweiligen Todeswunsch stehen.

Michael König © Moritz Schell

Michael König © Moritz Schell

Paul Matić © Moritz Schell

Paul Matić © Moritz Schell

Die Expertenrunde in den Kammerspielen der Josefstadt besteht ausschließlich aus Männern, ausgewählt von Regisseur Julian Pölsler. Die einzige Frau ist Elisabeth Gärtner, und das nur aus dem einzigen Grund, dass sich der Darsteller von Richard Gärtner (Johannes Seilern) schwer verletzt hat. Lore Stefanek hat diese Rolle im letzten Moment übernommen und wird damit zum emotionalen weiblichen Zentrum in dieser zumeist kopflastigen Besprechung.

Der Augen- und gleichzeitig Hausarzt namens Brandt ist Martin Niedermair, der sich eher für ein geordnetes Ausscheiden aus dem Leben ausspricht. Als Rechtsanwalt steht ihr Raphael von Bargen zur Seite. Sein Biegler zelebriert an den honorigen Herren die schnoddrig freche Überlegenheit eines wortgewandten und hoch gebildeten Advokaten. Seine „Gegner“ sind der Arzt Sperling (Alexander Strömer), der auf den hippokratischen Eid pocht, der kühle Rechtssachverständige Litten (Paul Matić) und der katholische Bischof Thiel (Robert Meyer), der keine Stelle aus der Bibel zitieren kann, die den Selbstmord verdammt. Einen Widerpart, der ihm gewachsen ist, findet Biegler in Keller (André Pohl), der die Gefahr einer unüberlegten Öffnung ärztlicher Hilfe beim Suizid erkannt hat. Geleitet wird die Sitzung von Michael König. Er ersucht das Publikum, an einer Abstimmung teilzunehmen, die am 24. März 2023 klar für das Anliegen von Elisabeth Gärtner ausgegangen ist. Die entscheidende Frage: „Wem gehört das Leben?“ bleibt unbeantwortet im Raum stehen.

Michael König, André Pohl © Moritz Schell

Michael König, André Pohl © Moritz Schell

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