Kultur und Weindas beschauliche MagazinSilvia Meisterle, Roman Schmelzer, Olive Rosskopf, Martina Ebm © Christian Wind NACHTLAND War Hitler jetzt doch (k)ein Künstler?
Soweit Historiker festgestellt haben, war Adolf Hitler nach zweimaliger Abweisung seitens der Wiener Akademie der bildenden Künste als ein Art Gebrauchsmaler tätig. Er hielt sich in seinen Wiener Jahren zwischen 1907 und 1913 mit dem Kopieren von Postkarten, Stichen und Aquarellen über Wasser. Was ihn nicht daran hinderte, seine eher linkisch fabrizierten Bilder stolz zu signieren. Klar, dass diese Machwerke nach seinem Aufstieg zum Führer massenweise gefälscht wurden. Ein Gemälde aus seiner Hand, ob echt oder nicht, war der klare Ausweis für die stramme Einstellung zu dem von ihm geleiteten Regime. Wenn nun heute so ein Blatt auftaucht, verschämt versteckt am Dachboden unter Gerümpel, ist es in jedem Fall eine Sensation. Ist es dazu versehen mit nachvollziehbarer Provenienz, dann schießt der Preis dafür in beachtliche Höhen, ungeachtet der mangelnden Qualität der damals abgelieferten Arbeit. Der deutsche Dramatiker Marius von Mayenburg hat einen solchen Zufallsfund zum Diskussionsgegenstand seiner Komödie „Nachtland“ erkoren, die von Ramin Gray für die Kammerspiele in einer amüsant kurzweiligen Regie umgesetzt wurde. Die Geschwister Nicola (Martina Ebm) und Philipp (Oliver Rosskopf) sind nach dem Ableben ihres Vaters quasi die „Erben“ eines Aquarells, das die Ruprechtskirche, die älteste Kirche Wiens, darstellt. In der rechten unteren Ecke ist deutlich zu lesen: A. Hitler. Was tun damit? Als die Galeristin Evamaria (Susa Meyer) auftaucht, entdeckt diese auf dem Rahmen den aufgeklebten Papierstreifen mit dem Namen von Hitlers (jüdischem) Kunsthändler Morgenstern. Der endgültige Beweis für die Echtheit ist geliefert. Judith, die Frau von Philipp (Silvia Meisterle), kann die Begeisterung der anderen nicht teilen.
Sie sagt. Er sagt, Ensemble © Moritz Schell SIE SAGT. ER SAGT. Und was sagen die Gerichtskiebitze?
Ferdinand von Schirach betreibt mit seinen Dramen eine subtile Art spezieller Bildung. In der dramatisierten Gerichtverhandlung mit dem Titel „Sie sagt. Er sagt.“ belehrt er das Publikum ganz in der Art der erfahrenen Richterin ausführlich über diese juristische Materie und verwandelt es so zu einem kollektiven Kiebitz, der auf dem Nachhauseweg mit genügend Stoff für diverse Diskussionen versorgt ist. In diesem Fall geht es um eine äußerst delikate Angelegenheit. Eine verheiratete Frau behauptet, von ihrem ebenfalls ehelich gebundenen Geliebten vergewaltigt worden zu sein. Begonnen hat es mit einvernehmlichem Sex inklusive Penetration. Da zwischen den beiden aber bereits eine Trennung ausgesprochen war, wollte sie nach kurzer Zeit den Beischlaf beenden und versuchte ihn von sich wegzustoßen. Was ihr bis zu seinem Höhepunkt jedoch nicht gelang. Sperma spritzte dabei, so ein Ergebnis der Untersuchung, auch auf das neben dem Bett liegende Kleid. Sie macht daraufhin ein Trauma geltend; als fatale Folge dieser Vergewaltigung. Tage darauf zeigte sie den Vorfall an, der nun mit ihr als Nebenklägerin vor einem Strafgericht gelandet ist.
Die Besetzung in den Kammerspielen unter einer wohlgeordneten Regie von Sandra Cervik ist opulent. Am Landesgericht spricht die Richterin Ulli Maier Recht und führt mit Umsicht die Zeugeneinvernahmen. So wird Susa Meyer als Pia Altstetdt zur Psychologischen Sacherverständigen, die routiniert und fundiert die Fragen beantwortet, ebenso wie die Rechtsmedizinerin Maria Laux-Frohnau (Wiltrud Schreiner). Larissa Fuchs als junge Kriminalhauptkommissarin Frauke Reuther muss allerdings eine Nachlässigkeit zugeben. Auf einem Überwachungsvideo unmittelbar nach dem inkriminierten Geschehen ist das Opfer mit einem Mantel zu sehen, der nicht untersucht wurde. Valerie Maiburg (Karin Yoko Jochum) ist die Freundin des angeblichen Opfers und hat diesem die Anzeige bei der Polizei nahegelegt. Ein erfrischender Farbtupfer im Grau des Verhandlungssaales (Bühnenbild: Walter Vogelweider) ist Marcello De Nardo. Er schafft ein Schmunzeln, wenn er als freundlicher Berliner Taxifahrer Paul Marotzka neue Beweismittel vorlegt.
Nils Arztmann (Kostja), Paula Nocker (Nina) © Moritz Schell DIE MÖWE Tiefgreifende Dialoge im Wodkarausch Die Gesellschaft, die Anton Tschechow in „Die Möwe“ irgendwo in den Weiten Russlands ihren Sommer verbringen lässt, hat ein Problem: Ihr ist fad. Der angehende Schriftsteller Konstantin (Kostja) versucht mit einem kleinen Theaterstück der Langeweile gegenzusteuern. Seine Mutter Irina Arkadina, eine arrivierte Schauspielerin, wirft sich zur Kritikerin auf und zerreißt das Werk vor Augen und Ohren aller Anwesenden. Als Rest an Kurzweil verbleiben komplizierte Beziehungen, die wortreich immer verwickelter werden, bis es zur erlösenden Abreise in die Stadt kommt. Im zweiten Teil des Dramas, Jahre später, geht es nicht viel anders zu. Die Dialoge, besser Streitereien, führen jedoch direkt in persönliche Tragödien der meisten Anwesenden. An Action tut sich nicht allzu viel. Die wahre Dramatik spielt sich in den Seelen der Betroffenen ab, die keine Scheu haben, diese der Öffentlichkeit in aller Breite offen zu legen.
Regisseur Torsten Fischer hat den See zum Hauptdarsteller gemacht. Herbert Schäfer hat ihn an die Hinterwand der Bühne gezaubert und lässt ihn alle Stückl´n spielen. Der Mond geht termingerecht zu Kostjas Drama auf, Tags darauf präsentiert sich das Gewässer verlockend sonnig zum Fischen, Schwimmen und Bootfahren, um am Ende die Tragik in düsteren Wellen gegen das Ufer schlagen zu lassen. Immer ist es die Liebe in allen ihren Schattierungen, die für Verwirrungen und Probleme aller Art sorgt. Kostja (Nils Arztmann) ist unglücklich in Nina (Paula Nocker) verliebt. Sie will Schauspielerin werden und übernimmt die Hauptrolle in dessen Stück. Ist es Eifersucht oder gesundes Urteilsvermögen, das Sandra Cervik als Irina mit provozierenden Zwischenrufen zum Abbruch der Vorstellung verleitet? Sie und ihr Sohn lieben einander so sehr, dass unschuldig erotische Funken zwischen den beiden sprühen. Man nimmt ihr auch ab, dass ihr um einiges jüngerer Liebhaber, der arrivierte Autor Boris Trigorin (Claudius Stolzmann), nach einem amourösen Ausflug zur blutjungen Nina recht bereitwillig wieder in ihren Schoß zurückkehrt.
Julian Valerio Rehrl alias Céline Dion © Moritz Schell JAMES BROWN TRUG LOCKENWICKLER Einfühlsames Plädoyer für das Anderssein
Für uns ist eine Frau mit schwarzem Vollbart nicht ungewöhnlich. Tom Neuwirth hat der Welt erfolgreich erklärt, dass er Conchita Wurst ist und auch so wahrgenommen werden will. Und niemand zweifelt daran, spätestens seit dem Sieg im Eurovisions Song Contest. In Frankreich dürften diesbezüglich die Uhren noch etwas hinten nachgehen. Jacob, Sohn eines biederen Elternpaares, wandelt sich mehr und mehr zur gefeierten Sängerin Céline Dion. Aus Mama und Papa werden Pascaline und Lionel und er, der von ihnen liebevoll Muck bzw. Muckl gerufen wird, will partout nicht mehr so genannt werden. Die genervten Eltern erhoffen sich Besserung in einer Anstalt. Aber statt seine natürliche Identität zu finden, bereitet er sich dort auf die große Tournee „Road to the South“ vor. Eine geheimnisvolle Psychiaterin und Jacobs Freund Philippe sind keine Hilfe. Sie steht zum Anderssein, das sie mit ihrer eigenwilligen Lesart des Märchens vom Aschenbuttel zu erklären versucht. Philippe ist ein Schwarzer in einem weißen Körper, der alle den Vertretern seiner Hautfarbe widerfahrenen Zurücksetzungen auf sich nehmen zu müssen meint. Autorin Yasmina Reza hat den Mut, die damit verbundenen Auseinandersetzungen mit einem Augenzwinkern abzuhandeln, nicht ohne überaus aktuelle Denkanstöße zu liefern.
Sandra Cervik hat das Stück „James Brown trug Lockenwickler“ für die Kammerspiele der Josefstadt inszeniert und mit einer großen Portion Gefühl das Komödiantische darin herausgearbeitet. Die Kulissen sind weiße, weich scheinende Wände und ein karg möglierter Raum, eben wie man sich ein teures Irrenhaus vorstellt. Darin genießt gleich zu Beginn Julian Valerio Rehrl als Jacob, pardon als Céline Dion, den Erfolg am Ende einer Show. In dieser Euphorie können ihn auch seine Eltern nicht stören. Maria Köstlinger ist eine hinreißende Pascaline Hutner und Juergen Maurer ihr aus Unsicherheit von einem ins nächste Fettnäpfchen tapsender Mann Lionel.
Gott, Ensemble © Moritz Schell GOTT oder wem sonst gehört das Leben? Elisabeth Gärtner hat beschlossen, nicht mehr leben zu wollen. Sie ist zwar nicht mehr jung, aber kerngesund. Sie leidet weder unter Depressionen, noch sonstigen psychischen Problemen. Der einzige Grund für sie wurde ihr von ihrem Gatten auf dem Sterbebett mitgeteilt: „Mach´ es richtig!“ Nach seinem Tod ist sie in ein Sinnesloch gefallen, es gibt für sie keine Perspektiven, die ihr von der Natur zugestandenen Jahre nur annähernd so zu verbringen wie in den vielen Jahrzehnten an der Seite ihres Mannes. Das gängige Mittel zum sanften Suizid, Natrium-Pentobarbital, wurde nicht genehmigt. Ein Ethik-Rat tritt zusammen, um an diesem Fall die Mitwirkung von Medizinern am Suizid zu diskutieren. Titel dieses Denkstücks ist „GOTT“, verfasst von Ferdinand von Schirach, seines Zeichens Schriftsteller und Jurist. In der jeweiligen Argumentation wird auch penibel zwischen „aktiver Sterbehilfe“, „Indirekter Sterbehilfe“, „passiver Sterbehilfe“ und „Beihilfe zum Suizid“ unterschieden. Die Verfassungsgerichtshöfe von Deutschland und Österreich haben beinahe gleichlautend das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ geregelt und dieser Causa ein zeitgemäßes Regelwerk zugrunde gelegt, ohne jedoch auf das jeweilige Individuum einzugehen und ernsthaft die tief liegenden Gründe zu erörtern, die hinter dem jeweiligen Todeswunsch stehen. Die Expertenrunde in den Kammerspielen der Josefstadt besteht ausschließlich aus Männern, ausgewählt von Regisseur Julian Pölsler. Die einzige Frau ist Elisabeth Gärtner, und das nur aus dem einzigen Grund, dass sich der Darsteller von Richard Gärtner (Johannes Seilern) schwer verletzt hat. Lore Stefanek hat diese Rolle im letzten Moment übernommen und wird damit zum emotionalen weiblichen Zentrum in dieser zumeist kopflastigen Besprechung.
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