Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Ensemble und Bühne © Petra Moser

Ensemble und Bühne bei Il Viaggio © Petra Moser

IL VIAGGIO Mit Musik vertieftes Geschichtenerzählen

Génesis Beatriz López Da Silva, Christoph Gerhardus © Petra Moser

Génesis Beatriz López Da Silva, Christoph Gerhardus © Petra Moser

Zwei ergreifende Opern-Einakter über Reisen ohne Rückkehr

Novellen von Luigi Pirandello boten dem deutschen Opernkomponisten Alois Bröder den inspirierenden Stoff für zwei Opern-Einakter, die im Grund ein gesamtes abendfüllendes Werk ergeben. „Das Licht vom anderen Haus“ und „Die Reise“ sind nicht zu trennen. Die eine Geschichte erzählt über den vereinsamten Tullio Buti, der vergessen möchte. Ihn plagen die Erinnerungen an eine raue Kindheit mit einem brutalen Vater. Er mietet sich ein finsteres Zimmer, von dem aus er in die warm beleuchtete Wohnung der Familie Masci blicken kann, in ein Idyll mit Vater, Mutter Margherita und drei Kindern. Er verliebt sich in die Frau. Das Gefühl wird überraschend von ihr erwidert. Sie verlässt die Familie und geht mit Tullio. In der Sehnsucht nach ihren Kindern versucht sie eine Rückkehr, doch es bleibt beim schmerzlichen Blick aus dem Fenster in die ehemalige Wohnung. In „Die Reise“ wird die nach kurzer, unglücklicher Ehe verwitwete Adriana nach 13 Jahren aus dem eintönigen Alltag eines sizilianischen Dorfes gerissen. Der Grund ist allerdings eine schwere, zum baldigen Tod führende Krankheit. Mit ihrem Schwager Cesare führt sie der Weg über Ärzte in Palermo und Neapel weiter durch Italien und nach eingestandener Liebe zu Cesare bis zur Endstation Venedig.

Lily Belle Czartorski, Sophie Bareis, © Petra Moser

Lily Belle Czartorski, Sophie Bareis © Petra Moser

Christoph Gerhardus © Petra Moser

Christoph Gerhardus © Petra Moser

Die Intimität der Blackbox des Musiktheaters Linz erweist sich als der ideale Ort für eine Aufführung dieser beiden Werke. In der Mitte der Bühne erhebt sich ein Gerüst aus Fensterrahmen, das zuerst den Tisch von Familie Masci und später ein Bett für die verstorbene Mutter von Adriana enthält (Bühne: Mariangela Mazzeo). Das opulent besetzte Bruckner Orchester Linz, geleitet von der Koreanerin Jinie Ka, bildet den Abschluss nach hinten. Der Chor, einmal sind es sechs Herren, dann sechs Damen, wirkt unsichtbar hinter den schwarzen Wänden. Er wird damit Teil des Klangbildes, in dem Alois Bröder in einer faszinierenden Vielfalt an Farben Emotionen malt und zwischen Tonspritzern weite Flächen zum Sinnieren bietet. Auch die Texte wurden von ihm aufbereitet, großteils in Deutsch, lediglich zu Beginn quasi als Einführung in den Schauplatz in Italienisch.

Die Prosa-Sätze werden teils in einer kunstvoll überhöhten Melodie des gesprochenen Wortes gesungen. Das Ensemble bewältigt diese Herausforderung durchwegs grandios, nicht nur stimmlich, sondern auch in der Art und Weise des Schauspiels. Christoph Gerhardus ist mit Tullio Buto ein geheimnisvoller Fremder, den die Vermieterinnen Clotildina Nini (Saskia Sophie Maas) und Frau Nini (Lily Belle Czartorski) gerne bei sich aufnehmen und frivol lachend feststellen, dass er sich in Margherita Masci (Génesis Beatrix López) verliebt hat. Die Sopranistin Saskia Sophie Maas wird im zweiten Teil zu Adriana, bei der Bassist Felix Lodel in der Funktion mehrerer Ärzte einen bösartigen Tumor diagnostiziert. Mit dem elegant feschen Schwager Cesare Braggi (Martin Enger Holm) verlässt sie die öde Umgebung und die beiden halbwüchsigen Söhne (Fernando: Sophie Bareis, Paolo: Lily Belle Czartorski) mit der Gewissheit, nach diesem von hellen Akkorden getragenen Rausch in einem herzergreifend verlöschenden Pianissimo ihr Leben zu beenden.

Felix Lodel © Petra Moser

Felix Lodel © Petra Moser

Daniela Dett, Ensemble © Herwig Prammer

Daniela Dett, Ensemble © Herwig Prammer

WONDERLAND Eine verrückte Teeparty mit Alice & Co.

Christian Fröhlich, Valerie Luksch © Herwig Prammer

Christian Fröhlich, Valerie Luksch © Herwig Prammer

Das Musical als hochmoralische Interpretation der Bücher von Lewis Carroll

Alice Cornwinkle ist eine Karrierefrau mit den üblichen Problemen, die sich einer noch verheirateten berufstätigen Mutter in den Weg des Aufstiegs stellen. Mit Jack, einem unterbeschäftigten Saxophonisten, lebt sie in Scheidung und muss dem jungen Mann trotzdem dankbar sein, dass er sich um die gemeinsame Tochter Chloe kümmert. Sie konkurriert mit der Kollegin Maddie Quizzle um die Nachfolge der scheidenden Chefin Everheart. Den Posten bekommt diejenige, die innerhalb von 24 Stunden das spannendste Computerspiel entwickelt. War dieser Tag zu anstrengend? Jedenfalls schläft Alice in ihrem Büro ein und gerät in einen turbulenten Traum, besser gesagt, in das WONDERLAND, das vor mehr als 150 Jahren Lewis Carroll erdacht und in zwei Büchern erzählt hat. Es ist eine verrückte Welt mit völlig seltsamen Bewohnern, die vom Autor ursprünglich zur Unterhaltung heranwachsender Mädchen verfasst wurde, aber längst Weltliteratur geworden ist und sogar trockene Wissenschaftler ernsthaft beschäftigt.

Daniela Dett, Ensemble © Herwig Prammer

Daniela Dett, Ensemble © Herwig Prammer

Valerie Luksch, Enrico Treuse © Herwig Prammer

Valerie Luksch, Enrico Treuse © Herwig Prammer

Das Musical nach einem Buch von Jack Murphy und Gregory Boyd und Musik von Frank Wildhorn ist von Carroll zumindest inspiriert, vor allem was das Personal des Wunderlands betrifft. Die bekanntesten Figuren sind die grausame Herzkönigin und das hektische Kaninchen mit einer rückwärts laufenden Digitaluhr, das deswegen immer zu spät dran ist. Aus der Grinsekatze wird El Gato, ein Tänzer, der mit einer Raupe, dem Kaninchen und einem weißen Ritter die junge Frau bei deren Abenteuer begleitet. Alice wird Teil eines Spiels, bei dem sie mit dem Hutmacher um das Erreichen eines unmöglichen Felds kämpft, um am Ende zur Erkenntnis zu gelangen, dass beruflicher Erfolg wesentlich weniger zählt als die Liebe zur eigenen Familie.

Valerie Luksch, Eva Winkelhofer © Herwig Prammer

Valerie Luksch, Eva Winkelhofer © Herwig Prammer

Max Niemeyer, Christian Fröhlich, Valerie Luksch, Ensemble © Herwig Prammer

Max Niemeyer, Christian Fröhlich, Valerie Luksch, Ensemble © Herwig Prammer

Das Musiktheater Linz hat die geheimnisvollen Tore zum Wonderland aufgetan und am 8. September 2024 eine bejubelte Premiere dieses Musicals gefeiert. Unter der musikalischen Leitung von Tom Bitterlich werkt die Club-Wonderland-Band im Graben vor der Bühne und umhüllt das Publikum mit fettem Sound zu einem durchwegs stimmgewaltigen und spielfreudigen Ensemble dieser verrückten Teeparty. Valerie Luksch wandelt sich glaubhaft von der Businesslady zur warmherzigen Alice, nachdem sie erkannt hat, wie sehr sie ihren Jack (Max Niemeyer) doch liebt.

Dieser wird als weißer Ritter von Sanne Mieloo als rücksichtslos nach Macht strebender Verrückter Hutmacher hinterrücks erstochen. Die Chefin (Daniela Dett) tänzelt als Herzkönigin durch ihr Reich, immer brandgefährlich, da sie einen Hang zum willkürlichen Köpfen ihrer Untertanen hat. Der beflissene Kollege Richard Hopper erscheint als hypernervöses Kaninchen (Christian Fröhlich) und Karsten Kenzel mit rauer Stimme als dicke, gelassene Raupe. Mo bzw. Chaz wird von Enrico Treuse gesungen. Im Chor und dem Tänzern erscheinen u. a. die Romanfiguren wie der rosa Hip Hop Cowboy, Flamingo, Siebenschäfer oder Auster. Der eigentliche Auslöser dieses Traums ist aber Chloe, die zehnjährige Tochter von Alice (bereits ungemein souverän: Rosa Gruber). Sie wird zum Alter Ego der Frau, die durch diese Rosskur ihre eigene Kindheit wiederfindet und mit einem Spiel voll Harmonie und Menschlichkeit gegen ihre Widersacherin antritt. Ende gut alles gut, lediglich die Satire von Lewis Carroll ist zu einem gesellschaftlichen Wohlmeinen des beginnenden 21. Jahrhunderts verblasst.

Sanne Mieloo, Valerie Luksch © Herwig Prammer

Sanne Mieloo, Valerie Luksch © Herwig Prammer

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