Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


DIE BESTEN FALSCHESTEN ZITATE Oder was bitte ist Parömiologie?

Die falschesten Zitate, Cover 900

Eine Warnung vor rhetorischem Federschmuck, der nicht nur fremd, sondern auch unrichtig ist.

Gerald Krieghofer ist ein kritischer Geist, vor allem dann, wenn es um seinen Lieblingsautor Karl Kraus geht. Der Herausgeber der Fackel, spitzzüngige Polemiker, Schöpfer von „Die letzten Tage der Menschheit“ und mehr ist, so macht es den Eindruck, eine Fundgrube für pointierte Sprüche, die aus jeder faden Ansprache ein mit intelligentem Witz gewürztes Statement zu was immer verwandeln. Man sollte meinen, dass der Satz „Was trifft, trifft auch zu“ auch tatsächlich ein typisch trefflicher Kraus ist. Krieghofer sieht darin jedoch „viel eher ein wunderbares Beispiel dafür, wie ein Kuckuckszitat entsteht und fortan seine Kreise zieht.“ Er verfolgt jedes Zitat bis zu dessen wahrer Quelle, um es als Fake zu entlarven.

Hilfreich erwies sich dabei die vergnügliche Beschäftigung mit der Parömiologie, der wissenschaftlichen Erforschung von Sprichwörtern im Zuge der Mitarbeit an zwei großen Wörterbuch-Projekten. Damit träfe auf ihn der beliebte, Konfuzius zugeschriebene Satz „Wähle den Beruf, den du liebst – und du musst keinen Tag in deinem Leben mehr arbeiten“ zu, den er trotz der Freude an seinen Recherchen nicht bestätigen kann; zumal es sich um eine falsche Zuschreibung handelt, da dieser Tipp für ein glückliches Dasein in den Schriften des chinesischen Weisen nie in dieser Form auftaucht.

 

Mittlerweile konnte Gerald Krieghofer ein ganzes Buch mit Zitaten füllen, die – wie der Untertitel besagt – Einstein, Freud und Pippi Langstrumpf so niemals gesagt haben. Deutlicher wird der Titel selbst: „Die besten falschesten Zitate aller Zeiten“ (Molden). Bei der Lektüre des an sich flott geschriebenen Textes (wenn man es schafft, das gewaltsam aufdringliche Gendern mit : zu akzeptieren) wäre ein gutes Glas Wein eine famose Begleitung. Wer denkt beim ersten Schluck nicht an Johann Wolfgang von Goethe, der gesagt haben soll „Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken.“ Sein „Faust“ wird hemmungslos geplündert und das Götz-Zitat lustvoll in tausend Varianten ungeliebten anderen ins Gesicht geschleudert. Die oben angeführte Sentenz hat ihren Ursprung jedoch in den USA, wo allerdings von Whiskey und dazu vom Liebemachen mit einer hässlichen Frau die Rede ist. Ähnliche Enttäuschungen gibt es bei Mahatma Gandhi, Friedrich Nietzsche, Karl Valentin oder John Lennon. Aber sie alle waren so unheimlich g´scheite Leute, dass ihnen unbesehen jede Weisheit zugetraut wird; und – ganz ehrlich – wer außer Gerald Krieghofer und seinen Lesern weiß schon, dass nicht einmal „Was kränkt, macht krank“ von Hildegard von Bingen gesagt wurde, sondern aus einem Werk des österreichischen Psychiaters Reinhard Haller seinen Weg in die Social Media gefunden hat.

DIE WITTGENSTEINS Jüdisches Großbürgertum der Monarchie

Die Wittgenszeins, Cover

Historiker Peter Eigner erzählt spannend und emotional „die Geschichte einer unglaublich reichen Familie“.

Vom Tellerwäscher in den USA zum (gefürchteten) Stahl- und Eisenmagnaten; in dieser (romanhaften) Kurzformel lässt sich die Karriere von Karl Wittgenstein (1847 – 1913) zusammenfassen. Seine Person bildete den Höhe- und gleichzeitig den Schlusspunkt von wirtschaftlicher Macht am Ende der österreichischen Monarchie. Carl (Karl) hatte ein Vermögen geschaffen, von dem noch Generationen durchaus komfortabel ihr Dasein fristen konnten. Sein Name ist heute kaum jemandem mehr geläufig. In das ewige Gedächtnis der Gesellschaft eingeschrieben wurde „Wittgenstein“ mit seinem Sohn Ludwig.

Mit dem Tractatus logico-philosophicus hat er der Denkerwelt eine Aufgabe vorgelegt, die kaum jemand zu lösen imstande ist. Dennoch ist dieses Werk ungemein populär, ebenso dessen Autor, der sogar auf das gewaltige Erbe verzichtete, um auf seinem verschlungenen Lebensweg nicht von schnödem Geld abgelenkt zu werden. Karl und Ludwig sind gleichsam die Antipoden einer Familie, die Genies wie den einarmigen Pianisten Paul hervorbrachte und dagegen von Depressionen bis zu Selbstmorden etlicher Mitglieder hart geprüft wurde.

 

Peter Eigner, Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, erzählt für den Molden Verlag die Chronik der Familie Wittgenstein; bestens recherchiert, damit unglaublich detailliert und dennoch spannend und emotional wie einen der großen Familienromane. Eigner lässt den Leser bereits im Vorwort an seiner Spurensuche teilhaben, wenn er ihn auf das (heute verlassene) Hochreith führt. Auf diesem Sommersitz bei Hohenberg in den Voralpen hat Hermine Wittgenstein in den Jahren 1944 und -45 die „Familienerinnerungen“ aufgeschrieben. Von ihr stammt auch der Satz: „Kein Stein wird auf dem anderen bleiben“, mit dem sie 1938 die Drangsalierungen seitens der Nationalsozialisten voraussagte. Obgleich Stammvater Herz Wittgenstein als Hermann Christian bereits 1839 die protestantische Konfession angenommen hatte und für Familienmitglieder ein Verbot der Heirat mit Juden veranlasst hatte, galten sie 100 Jahre später im „Tausendjährigen Reich“ unverändert als Juden.

 

Diese traurige Episode ist jedoch nur ein spätes Kapitel in einer großen Familiengeschichte, die von wirtschaftlichem, aber auch kulturellem Einfluss geprägt war. In den zahllosen Wohnsitzen der Familie begegnet man Größen von Musik wie Johannes Brahms und Malern wie Gustav Klimt. Zu dieser Anziehungskraft trug zweifellos ein Kapital bei, das unternehmerischen Ausnahmetalenten wie Hermann oder Carl zu verdanken war. Dabei wird schonungslos offengelegt, wie diese Anhäufung von Banken und Firmen der Hand eines neuen Großbürgertums gelingen konnte. Neben einem dichten Geflecht von wirtschaftlichen Verbindungen und offen formulierter Freunderlwirtschaft war bei den Wittgensteins Kinderreichtum ein wesentliches Indiz. Nach und nach lernt man alle Töchter und Söhne kennen, darf ihre Entwicklung verfolgen und wird so zum unsichtbaren Gast bei einem der nobeln Empfänge oder Zeugen von Unternehmungen, bei denen sich das Wohl und Wehe dieser „unglaublich reichen Familie“ entschieden hat.   

 

 

Adolf Frohner in seinem Atelieer mit Peter Turrini © Michael Horowitz

Adolf Frohner in seinem Atelieer mit Peter Turrini © Michael Horowitz

KUNST AUS ÖSTERREICH oder besser, deren geniale Protagonisten

Kunst aus Österreich, Cover 900

50 kreative Menschen des 20. Jahrhunderts ganz persönlich vorgestellt

Die meisten von ihnen kennt man, bzw., glaubt man zu kennen. Ihre Bilder und Plastiken waren bereits in Ausstellungen oder in vielen Fällen, weil sie so bedeutend sind, sogar in eigenen Retrospektiven zu sehen, und von ihnen erdachte und umgesetzte Bauwerke sind Attraktionen im Stadtbild von Wien oder anderen Großstädten dieser Welt. Vertreter der bildenden Kunst, Architekten und etliche, die in beiden Sparten reüssierten, haben von Österreich aus die Welt verändert, ein Stück schöner, besser oder im Denken freier gemacht. Ein vielseitiger Mensch der Kunst ist auch Michael Horowitz. Neben der Fotografie ist eines seiner Metiers das Schreiben. Als Journalist kennt er etliche dieser Größen persönlich oder hat sich als Nachgeborener deren Leben in Recherchen detailreich aufgetan.

Wenn er Künstler beschreibt, dann in einer wunderbar verständlichen Form, weitab vom gefürchteten Kuratorendeutsch, das mit einem Auftrieb an unbekannten Fremdwörten und bis zur Unverständlichkeit manieristischer Formulierungen in Katalogbeiträgen und auf Wandtexten in den Museen die Besucher eher abschreckt als informiert. Auch in TV-Dokumentationen oder Bühnenstücken mit biographischem Inhalt muss die Sprache verständlich sein, sonst zappen die Leute in den Programmen weiter oder gehen gar nicht ins Theater hinein, was sich kein vernünftiger Prinzipal leisten kann. Horowitz ist der Verfasser von etlichen derartigen Beiträgen, die von einer breiten Bevölkerungsschicht begeistert angenommen wurden, aber auch von Büchern, die zu anspruchsvollen Themen anregenden Lesestoff mit Illustrationen vom Fotografen Horowitz liefern und damit in die Bestsellerlisten aufgestiegen sind.

Die jüngste diesbezügliche Veröffentlichung ist im Verlag MOLDEN erschienen. Unter dem Titel „KUNST AUS ÖSTERREICH. 50 Menschen, die das 20. Jahrhundert prägten“ werden streng nach dem Alphabet die Protagonisten in fast pedantischer Ordnung von jeweils vier Seiten, zwei mit Text und zwei mit Bild, von Michael Horowitz gewürdigt. Friedrich Achleitner eröffnet daher diesen Reigen von Zelebritäten. Die über seinem Namen stehende Kurzcharakteristik „Als besessener Baumeister der Sprache“ verrät bereits Wesentliches über den lustvollen Schachspieler und streitbaren Architekturkritiker. Er war neben seiner Lehrtätigkeit an der Akademie der bildenden Künste auch Zertrümmerer von Klavier und Sprache. Ebenso Sprach-erfinderisch zeigt sich Christian Ludwig Attersee. Auf das Konto dieses Malers, Erfinders von Ess-Collagen und Gestalters von Weinetiketten gehen 3.000 neue Wörter. Frauen sind mit der Multimedia Künstlerin Renate Bertlmann, der international anerkannten Malerin Martha Jungwirth, einer Maria Lassnig, der ewig jungen Mutter aller „Bad Girls“ Valie Export und der frivol

Aric Brauer © Michael Horowitz

Aric Brauer © Michael Horowitz

feministischen Keramikerin Vally Wieselthier zwar in Unterzahl, für die Entwicklung österreichischer Kunst aber um nichts weniger bedeutend als beispielsweise ein Bruno Gironcoli. Dessen Riesenskulpturen haben am Ende seinen eigenen Körper übernommen. Vor seinem Tod bezeichnet er sich als „Monster, das sich selber kaum mehr auf den Beinen halten kann“.

Kiki Kogelnik © Michael Horowitz

Kiki Kogelnik © Michael Horowitz

Nicht immer wird in Rücksicht auf den Dargestellten die ganze Wahrheit gesagt. Josef Hoffmann wird als der wichtigste Erneuerer des Fin de Siècle beim Aufbruch auf dem Weg zu Moderne gewürdigt. Dass er sich, wie es derzeit in einer großartigen Ausstellung im MAK schonungslos angesprochen wird, sowohl dem Austrofaschismus als auch dem Nationalsozialismus angedient hat, davon ist bei Horowitz kein Wort zu lesen. Anders hingegen bei Gustav Klimt: Der Schöpfer von „Der Kuss“ und Porträtist der schönsten Frauen wird in seiner Rolle als „zerebraler Erotiker“, als Brecher von Tabus und Liebhaber vom Wiener Mädel bis zur Femme fatale auf den Homme à Femmes zwar nicht reduziert, aber doch ausführlich breit getreten. Von Hermann Nitsch wiederum ist zu erfahren, dass er, dessen Farbe nicht selten Blut ist, privat keiner Fliege etwas zuleide tun könnte und nur aus Notwehr Insekten bekämpft. Dass der Erfinder des Orgien Mysterien Theaters sich im Streben nach dem Gesamtkunstwerk auch zum durchaus ernstzunehmenden Komponisten weiterentwickelt hat, bleibt leider ungesagt.

Der letzte in der Buchstabenreihe ist nicht ein Name mit Z, sondern Erwin Wurm. Der Mann, der das Gurkerl als Selbstporträt gewählt hat, gewinnt sein Publikum mit dem Lächeln, das seine surrealen Erfindungen auslösen. Er versteht es, die Welt entweder zu verbreitern wie im Fat Car oder zu verkleinern, wenn man sich durch sein geschrumpftes Elternhaus zwängen muss. Vor allen anderen in diesem Buch Genannten beherrscht Wurm am besten den Schmäh und das Augenzwinkern, um den von ihm Verarschten sogar Freude zu bereiten. So stellt er den geistlichen Herrn im Stephansdom einen Thermophor, das Symbol für Homosexualität schlechthin, vor die Nase oder lässt enthusiastische Bewunderer eine Minute lang in seltsamen Haltungen verharren, um sie so ernsthaft zur Skulptur zu veredeln. In diesem Sinne scheint nach Lektüre dieses Buches zumindest die eine große Frage geklärt zu sein: Was ist Kunst? Pablo Picasso hat darauf die klare Antwort gegeben: „Wenn ich wüsste, was Kunst ist, würde ich es für mich behalten.“

Illustration aus dem Buch Wien, Sachslehner

Wien Pannonie © Wien Museum

WIEN Die Biographie einer vielfältigen Stadt

Wien, Biografie einer vielfältigen Stadt, Cover

Wien, Biografie einer vielfältigen Stadt, Cover

Das Werden einer Metropole als kurzweiliger Lesestoff gründlich aufgearbeitet

Ist die Arche Noahs bereits über den Ring geglitten, bevor sie auf dem Ararat zu liegen kam? Johannes Sachslehner will es allerdings nicht als ganz unwahrscheinlich ansehen. In einem der ersten Kapitel des umfangreiches Bandes mit dem schlichten Titel „Wien“ (erschienen bei MOLDEN) gibt er zumindest diese Möglichkeit zu, wenn er feststellt, dass diese Stadt fast so alt wie die Sintflut ist. Da es für Wien keine Gründungslegende gibt, waren Vermutungen Tür und Tor geöffnet. Vor allem die Jahrhunderte lang hier residierenden Habsburger glaubten mit fester katholischer Überzeugung, dass ihre Stadt 180 Jahre nach der großen biblischen Überschwemmung entstanden sei und Abraham mit den Kinder Israels in Österreich geweilt haben dürfte.

Dabei übersah man geflissentlich, dass es zum guten Ton gehörte, deren Nachkommen auf jede nur mögliche Weise zu drangsalieren. Doch von diesem den Herrschern wie der Bevölkerung immanenten Antisemitismus ist an anderer Stelle ohnehin die Rede. Zu Beginn wird der Leser vorerst in menschenleere Gründe geführt, in eine Zeit, als am Bisamberg das Meer anbrandete und die Donau noch bei Mistelbach vorbei floss. Im Mesolithikum kamen die ersten Menschen, um Steinklingen und Schaber zur Bearbeitung von Mammutfellen im Boden zu hinterlassen. Sachslehner ist diesen archäologischen Spuren penibel nachgegangen und eröffnet uns einen ganz neuen Blick auf die unter unseren Straßen verborgenen Schätze. Dazu zählen auch die Hinterlassenschaften der Römer, die in ihrem Vindobona, das damals bereits das Stadtrecht besaß, mit Kind und Kegel wohl gar nicht so unkommod gelebt haben.

Kaffeehäuser am Kai, Illustration aus dem Buch Wien, Sachslehner

Caffeehäuser an der Schlagbrücke in der Leopoldstadt. Kupferstich um 1794 © Wien Museum

Punkt für Punkt werden wesentliche Stationen in der Historie der Stadt aufgearbeitet, von der mittelalterlichen Civitas der Babenberger, über ein Konzil, das im 13. Jahrhundert ebenda stattgefunden hat, und vielen weiteren Neuigkeiten auch für einen mit der Geschichte Wiens vertrauten Leser. So war das Bürgermeisteramt unter Umständen lebensbedrohend. Konrad Vorlauf ist es 1408 passiert, dass er wegen einer Revolte gegen die Habsburger hingerichtet wurde. Wien blieb aber aufmüpfig. 1462 wurde die Hofburg belagert und Kaiser Friedrich III. vertrieben. Zu erfahren ist auch, dass die Bettelei eine lange Tradition hat und 1443 mittels einer Bettelordnung in möglichst erträgliche Bahnen gelenkt wurde. In Wien wurde nichts ausgelassen, was irgendwann zur Schande seiner Bürger und Herrschaften beigetragen hat. Sogar Hexen wurden verbrannt, was uns sorgsam geführte Protokolle erzählen. Keuschheitskommissionen wurden eingesetzt, um liederliches Treiben zwischen Männlein und Weiblein zu unterbinden. Die Zensur verbot wiederum zu offenherziges und vor allem kritisches Schreiben freier Geister, die in der Revolution von 1848 bekanntlich den Kürzeren zogen.

Bettlersteige in der Königsklostergasse, Illustration aus dem Buch Wien, Sachslehner

oben: Bettlerstiege in der Königsklostergasse, Foto von August Stauda, 1904 © Wien Museum

rechts: Eröffnungstag der Electrischen © Wien Museum

Eröffnugnstag des Gesamtbetriebes des Electrischen beim Schottentor am 29.01.1902

Wenn Sachslehner den Wienern einen Hang zu Phäakentum nachsagt, darf allerdings auch nicht unerwähnt bleiben, dass um 1800 die Armen der Stadt mit der Rumfordsuppe verköstigt wurden, einem einfachen, billigen Gericht – die Zutaten zum Nachkochen sind angegeben. Sehr differenziert wird im Abschnitt über Bürgermeister Karl Lueger berichtet. Als Erbauer der zweiten Wiener Hochquellenwasserleitung und Modernisierer hatte er lange Zeit ein nahezu sakrosanktes Image, das erst mit der Aufarbeitung seines unbändigen Judenhasses entsprechende Kratzer abbekommen hat. Otto Wagners Verdienste um das noch immer existierende einmalige Stadtbild werden ebenso gewürdigt wie der gerne vernachlässigte Kampf der Frauen um Partizipation und Emanzipation, angefangen vom Spätmittelalter, in dem eine Prostituierte ganz einfach ertränkt wurde, bis zum armseligen Dasein von Dienstmädchen, die ihrer Herrschaft mit Leib und Leben ausgeliefert waren.

Brennende Hofburg am 31. October 1848
Anna Kapelle Dornbach, historische Ansicht

oben: Anna Kapelle in Dornbach, historische Ansicht © Wien Museum

links: Brennende Hofburg am 31. October 1848 © Wien Museum

Im Kapitel Sport darf man den längst vergangenen Leistungen erfolgreicher Fußballer nachweinen, wobei die Fans von Rapid mit einer eingehenden Darstellung des grünweißen Vereines verwöhnt werden. In diesen Jahrzehnten wuchs sich der Wasserkopf nach dem Untergang der Monarchie zum Roten Wien zusammen, um bald darauf durch die Nazizeit zu schlittern und danach rein gewaschen von aller Schuld aus den Ruinen eine Weltstadt aufzubauen. Am Schluss gibt Johannes Sachslehner seinem gewaltigen Werk noch einen persönlichen Wunsch mit auf den Weg: „Eine Stadt mit Herz und Hirn, in der das Leben Platz hat“ – das war Wien in der Vergangenheit und dieser Satz sollte auch für das Wien der Zukunft gelten.

Otto Schenk als Baby Illustration aus dem besprochenen Buch

SCHENK DAS BUCH Unser aller Otti vom Baby bis zum weisen Alten

Otto Schenk kein Blick zurpck im Zorn Illustration aus dem besprochenen Buch

Bekannte und weniger bekannte Seiten eines „liebbaren“ Menschen

„Ein intimes Lebensbild“ hat der Molden Verlag als Untertitel zum jüngsten Buch über und von Otto Schenk gewählt, nachdem in Versalien mit „SCHENK DAS BUCH“ ein Wortspiel betrieben wird, um sowohl das Hauptthema als auch die entsprechende Freizügigkeit eines potentiellen Käufers anzusprechen. Aber eins kann man garantiert nicht: Sich Schenk schenken! Dazu ist uns dieser Mann, der sich nicht nur auf einen genialen Komiker festlegen lässt, sondern u. a. als erfolgreicher Opernregisseur, geliebter Vorleser und nun auch als zum Nachdenken anregender Philosoph Großes geleistet hat, einfach zu wichtig.

 

Sein lebenslanger Freund Michael Horowitz hat ihm neben dem Titelfoto dazu mehr als ein Vorwort, eher einen Versuch, dessen komplexe Persönlichkeit zu umreißen, gewidmet, betitelt mit: „Von Herrenpilzen, Hundeliebe und der höheren Kunst des Blödelns“.

Schenk das Buch Cover

Otto Schenk, nicht der Schenk, sondern unser aller Otti, wird darin von seiner absolut privaten Seite gezeigt, muss es sich gefallen lassen, als Pantoffelheld, Phlegmatiker, Misanthrop, ja mehr noch, als Menschenfresser bezeichnet zu werden. Mit dem Resümee: Alle diese scheinbar negativ besetzten Begriffe machen deutlich, was Intendant Hellmuth Matiasek bei der Verleihung des Karl Valentin Ordens in den Worten dieses bayerischen Komikers über ihn gesagt hat: „So ein Mensch, der anderen Menschen gezeigt hat, was ein Mensch ist.“

Otto Schenk mit Renée auf dem Markusplatz Ill. aus dem besproch. Buch

Otto Schenk, der den zweiten Teil des relativ kurzen Textes selbst beigesteuert hat, gibt selber zu, ein Kannibale zu sein, wenn er auf sein Leben zurückblickt. Damit ist nicht seine Lust am Gulaschkochen gemeint, das wohl auch bei ihm aus Wadschunken vom Rind hergestellt wird. Seine unverzichtbare Nahrung sind die Menschen, die er mit seinem Können erfreut. Dabei räsoniert er mit überraschenden Erkenntnissen über die Kunst, wie man es trotzdem schafft, die Menschen zum Lachen zu bringen. „Wenn einer ein glückliches Gesicht macht, möchte ich ihm schon eine Watschen geben“, ist eine an Schauspielschüler gerichtete Warnung, doch zu beherzigen, dass Komödie und Tragödie Zwillingsschwestern sind.

 

Wie sehr ihn diese Dualität von komischem Granteln und ernsthaftem Lachen ein Leben lang, vom Babyalter an bis zu seinen nunmehr neunzig Jahren geprägt hat, beweist der umfangreiche Bildteil. Mit ausführlichen Kommentaren versehen begleiten Fotos Otto Schenk zu den wichtigsten Stationen seines Daseins.

Sie verfolgen ihn hemmungslos bis in äußerst private Situationen und geben ihm noch einmal Gelegenheit, mit vielen der Weggefährten seines reichen Bühnenlebens gemeinsam aufzutreten. Warum uns ein solches „Familienalbum“ berührt? Weil es über das Streben nach Wirkung die Wahrhaftigkeit widerspiegelt. Sie hat stets das Spiel von Otto Schenk dominiert, auch bei seinem berührenden Auftritt als alter Diener Firs in Tschechows „Der Kirschgarten“ in der Josefstadt. Wenn er in der letzen Szene bemerkt, dass man ihn allein zurückgelassen hat und er sich nach einem leisen „Macht nix!“ zum Sterben hinlegt, dann sind mit Garantie jedem Zuschauer die Tränen im Gesicht gestanden.

 

Zeitgeschichte einmal anders: Karikaturen aus Österreich

Ist Karikatur Kunst? Warum nicht?

Wieder steht man vor der großen, noch nie zufriedenstellend beantworteten Frage: Was ist Kunst? Jeder, der sich auf diesem Feld betätigt, macht diesen Begriff für sich geltend – und bestreitet vehement, dass alles andere ebenso Kunst sei. Die einzigen Künstler, die so gar nicht auf ihr Künstlersein pochen, sind die Karikaturisten. Sie sehen sich als Chronisten der Zeitgeschichte, was sie auf das Papier zaubern, ist voller Inhalt und verständlich, und das Schlimmste überhaupt, sie bringen die Menschen (mit Ausnahme der meisten ihrer Modelle) zum Lächeln. So was kann doch nicht Kunst sein!

Illustrationen aus dem Buch ALLES BESTENS © Molden Verlag

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Ein Blick in das nun im Molden Verlag erschienene Buch gibt ganz allein von sich aus eine Antwort, oder mit den Worten der Herausgeberin Maria Schuster in der Einführung fein ausgedrückt: Wie für jedes andere Kunstwerk braucht es für eine Karikatur eine künstlerische Ebene sowie die Fertigkeiten und Werkzeuge eines Künstlers. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Künstler (mit dieser Anrede fühlt sich hoffentlich keiner der Karikaturisten herabgesetzt) in wenigen Federstrichen oder in aufwändig altmeisterlicher Technik seine Opfer aufzuspießen versteht.

ALLES BESTENS ist der Titel und allein diese beiden Wörter sind schon Satire, zumal sie sich auf Österreich beziehen und es sich bei den Helden auf den Illustrationen zu größten Teil um Politiker seit den 1960er Jahren handelt. Viele von ihnen, und es soll da keinem Ungustl durch Nennung seines Namens zu viel Ehre widerfahren, kennt man in den dargestellten Posen. Ihre (satirischen) Porträts waren einst Tagesgespräch, ob mit falschem Sixpack oder Vampirzähnen, und sie, die Bilder, kommen nun, nachdem man das tagespolitische Drumherum vergessen hat, recht gut mit sich selbst zurecht.

 

ALLES BESTENS kann durchaus aber auch ernst gemeint sein. Das Buch ist tatsächlich eine umfassende, und vor allem eine sehr g´scheite Rückschau auf die jüngere Karikaturgeschichte Österreichs. Die Meister der Zunft, ihr Werkzeug und ihre Techniken werden vorgestellt. Zudem verfolgt es die Historie dieser Kunstgattung zurück bis an seine Anfänge im Italien des 16. Jahrhunderts und versucht sich erfolgreich an einer Definition der Karikatur. Keine Angst, der Text ist kurz und auch für Lesefaule zu bewältigen. Der viel größere Rest sind einfach Bilder, oder anders gesagt, Zeitgeschichte in seiner präzisesten und gleichzeitig unterhaltsamsten Form.


Maria Schuster (Hg.) ALLES BESTENS Karikaturen & Cartoons aus Österreich.

Molden Verlag 2012. ISBN 978-3-85485-313-8,

Preis €25,-


 

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