Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Liliane Lijn Four Figures of Light, 1978 Courtesy Liliane Lijn and Sylvia Kouvali, London / Piraeus

Liliane Lijn Four Figures of Light, 1978  Foto: Georg Petermichl / mumok © Bildrecht, Wien 2024

LILIANE LIJN. ARISE ALIVE als „Wild Goddessses of the Space Age“

Liliane Lijn Liquid Reflections/ Series 2 (32"), 1968 Foto: Stephen Weiss © Bildrecht, Wien 2024

Liliane Lijn Liquid Reflections/ Foto: Stephen Weiss © Br. Wien 2024

Eine „kosmische“ Künstlerin als Filter, Spiegel, Prisma & Energiespule

Zum Schauen und Staunen gibt es genug, sobald man das teils faszinierende, teils verstörende Universum von Liliane Lijn betritt. Dem MUMOK gereicht es zur Ehre, der 1939 in New York geborenen und seit 1966 in London lebenden Künstlerin die bislang umfassendste Einzelpräsentation ausgerichtet zu haben. Mit „Arise Alive“ (bis 4. Mai 2025) wird ihr vielseitiges Schaffen zum Leben erweckt, mit Skulpturen und Installationen, Collagen und Malereien, Videos und Performances als die wichtigsten Stationen einer Frau, die wie sie es selbst definiert, dem Weg ihrer Sinne folgt und keine oder kaum vorgegebene Schablonen akzeptiert. Die Manifestation dieser wenig Kompromisse duldenden Einstellung beginnt bei der Wahl unkonventioneller Materialien und mündet in einer Sprengung der Grenzen zwischen den einzelnen Gattungen der Kunst bis hin zu Sprachexperimenten, die Teil ihres bildnerischen Ausdrucks werden.

Liliane Lijn Get Rid of Government Time, 1962 Foto: Richard Wilding © Bildrecht, Wien 2024

Liliane Lijn Get Rid of Government Time, 1962 Foto: Richard Wilding © Bildrecht, Wien 2024

Liliane Lijn Conjunction of Opposites: Woman of War and Lady of the Wild Things, 1983–86

Liliane Lijn Conjunction of Opposites: Woman of War and Lady of the Wild Things, 1983–86 Foto: Thierry Bal © Bildrecht, Wien 2024

Was darunter konkret zu verstehen ist, wird am einfachsten klar, wenn man an einer der rotierenden Poem Machines vergeblich versucht, die darauf gedruckten Wörter zu lesen und auf die unbewusst wahrgenommenen Schwingungen dieser Art von Poesie abgewiesen bleibt. Ob man in diesen Versuchsanordnungen tatsächlich kosmischen Prinzipien auf den Grund gehen kann, bleibt der einzelnen Betrachtung überlassen; folgt man aber den Titeln der Arbeiten wie „Cosmic Flares“, „Act As Atom“ oder „E=mc3“, sind diese Hinweise auf Technologie und Wissenschaft klare Verbündete, um in Regionen jenseits des Sichtbaren vorzudringen. In den „Echo Lights“ wird mit Plexiglas ein ästhetisch ansprechendes Gewirr aus Reflexion, Bewegung, Licht und Schatten erzeugt, das wiederum zu den eigenwilligen Frauengestalten Lijns hinführt.

Staubwedel, Kunstfasern, durch optische Prismen in seine Spektralfarben aufgebrochenes Licht und Laser lassen weibliche Gottheiten wie „Lady of the Wild Things“ oder „Woman of War“ entstehen und erklären patriarchalen Strukturen und der Reduktion der Frau auf ihren Körper schonungslos den Krieg. Ihre Göttinnen des Weltraumzeitalters sind überlebensgroß und computergesteuert, ausgestattet mit der Möglichkeit eines Dialoges, der von Gesang, 250 LED-Lichtern, Laser und künstlichem Rauch bereichert ist. Diese von Lijn unter dem Begriff „Cosmic Dramas“ zusammengefassten interaktiven Skulpturen verbinden, so die Künstlerin, das Kosmische mit dem Persönlichen und Mythologie mit High-Tech, um weiblichen Archetypen eine zeitgenössische Gestalt zu verleihen. Liliane Lijn dazu im OT: „I was interested in dematerialization – in the idea of losing the body. And that was related in a way to being a woman“, auf Deutsch gesagt, interessiert an Entmaterialisierung, am Verlust des Körpers, womit in gewisser Weise verbunden ist, eine Frau zu sein; umgesetzt in Filtern, Spiegeln, Prismen & Energiespulen („She is a filter, a mirror, a prism, an energy coil“).

Liliane Lijn Electric Bride, 1989 Foto: Georg Petermichl / mumok © Bildrecht, Wien 2024

Liliane Lijn Electric Bride, 1989 Foto: Georg Petermichl / mumok © Bildrecht, Wien 2024

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur, Foto: Markus Wörgötter

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur, Foto: Markus Wörgötter

MEDARDO ROSSO Wegbereiter der klassischen Moderne

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso

Ein Bildhauer mit einem darüber weit hinausgehenden vielschichtigen Werk

„Es gibt keine Malerei, es gibt keine Plastik, es gibt nur ein Ding, das lebt“, ist das bedingungslose Vermächtnis von Medardo Rosso (1858-1928), einem französischen Künstler, den mit Wien eine rege Ausstellungstätigkeit verbindet. Seinen ersten Auftritt in Österreich hatte er 1903 in der Wiener Secession und 1905 in einer Einzelausstellung im Kunstsalon Artaria, mit dem er in der Presse ein gewaltiges Echo fand. Umso größer ist die Begeisterung von MUMOK-Direktorin Karola Kraus und Kuratorin Heike Eipeldauer, diesem Universalgenie an der Schwelle des 19. zum 20. Jahrhunderts eine umfangreiche Personale (bis 23. Februar 2025) ausrichten zu dürfen – und es damit aus der Vergessenheit zu holen. Wurde Rosso einst in einem Atemzug mit Auguste Rodin genannt und tauschte mit ihm Werke für diverse Ausstellungen, sagt heute sogar Experten sein Name nichts oder wenig; wenngleich dieser Franzose (mit italienischen Wurzeln) einer der wesentlichen Wegbereiter der klassischen Moderne war.

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur, Foto: Markus Wörgötter

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur, Foto: Markus Wörgötter

Der Beweis ist offensichtlich, vor allem in seinen Zeichnungen, die weit über die damaligen Strömungen hinaus bereits an die Abstrakte denken lassen. Schritt für Schritt sind seine fortschrittlichen Ideen zu entdecken, nicht nur anhand der Plastiken, denen er mit einem Eisen gerahmten Glaskäfig und elektrischer Beleuchtung eine „alarmierend lebendige“ (© Phyllida Barlow) Präsenz verlieh. Rosso gilt als Erfinder der modernen Skulptur. Er beschränkte sich auf einige wenige Sujets, die er jedoch in verschiedensten Materialien ausführte, nicht nur Stein und Bronze, sondern auch in „armen“ Materialien wie Gips und Wachs als endgültige Form. Sie wurden von ihm selbst fotografiert und Abzüge sowie Negative zu neuen Kunstwerken übermalt. Wichtig war Medardo Rosso daneben auch die Gemeinschaft, die er bei Ausstellungen schätzte.

Diesem Bedürfnis wurde insofern Rechung getragen, als sein Werk mit Arbeiten u. a. Edgar Degas, Louise Bourgeois, Jasper Jones oder Andy Warhol in Resonanz gebracht wurde. So wird ein Jahrhundert Kunstgeschichte um eine Person herum abgehandelt, an einem Pionier, der sich vom Monumentalen zum Anti-Monumentalen, von der Form zum Material, von der Einzigartigkeit zur seriellen Wiederholung und vom abgeschlossenen Werk zum Veränderlichen wandte. Genaues Hinschauen auf die ausgestellten Dokumente zeigt sogar die Vorwegnahme der Perfomance. Rosso liebte die Öffentlichkeit bei seiner Arbeit und veranstaltete in seinem Atelier Schaugießen, nicht zuletzt um sich in der Doppelrolle als Künstler und Handwerker bewundern zu lassen. Er beherrschte all das, wozu andere seines Fachs Spezialisten heranziehen mussten. Dieser von ihm erweckte Geist ist nach wie vor zu spüren, auch dank zweier Abgüsse, die bereits von Werner Hofmann, dem Gründungsdirektor des Museums in weiser Vorrausicht 1964 angekauft wurden.

Medardo Rosso  Bookmaker, 1894  übermaltes Glasnegativ © Museo Medardo Rosso, Barzio

Medardo Rosso, Bookmaker, 1894 übermaltes Glasnegativ © Museo Medardo Rosso, Barzio

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. Foto: Klaus Pichler / mumok

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. (Roland Goeschl, Getulio Alviani, Bridget Riley) Foto: Klaus Pichler / mumok

MAPPING THE 60s Über den Einzug der Gegenwartskunst

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s.  Foto: Klaus Pichler / mumok

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. Foto: Klaus Pichler / mumok

Künstlerische Anliegen eines bewegten Jahrzehnts werden auf ihre Dauerhaftigkeit hin befragt.

Am Anfang stand das 20er Haus, p. t. Museum des 20. Jahrhunderts, das 1962 nach einem Ausflug zur Weltausstellung in Brüssel 1958 im Schweizergarten beim Südbahnhof errichtet wurde. Die lichtvolle Architektur von Karl Schwanzer in ihrer sachlich-modernistischen Form war eigens für die Gegenwartskunst geschaffen worden. Um Konfrontationen brauchte man sich nicht zu sorgen. Gründungsdirektor Werner Hofmann zeigte den Wienern, was unter moderner Kunst zu verstehen war und stieß erwartungsgemäß auf Widerstand. Das soll Kunst sein? Die Frage wurde von ihm rigoros mit durchaus gut besuchten Ausstellungen beantwortet, während im Hintergrund Ankäufe im großen Stil getätigt wurden. In den 1970er-Jahren wurde der Bestand immens erweitert, indem die Sammlungen von Peter & Irene Ludwig und Wolfgang Hahn mit Schlüsselwerken der Gegenwartskunst aufgenommen werden konnten.

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. (Jann Haworth,  Sine Hansen) Foto: Klaus Pichler / mumok

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. (Jann Haworth, Sine Hansen) Foto: Klaus Pichler / mumok

George Segal Woman in a Restaurant Booth, 1961 © The George and Helen Segal Foundation / Bildrecht,

George Segal Woman in a Restaurant Booth, 1961 © The George and Helen Segal Foundation / Bildrecht, Wien 2024

Mit der Ausstellung „Mapping the 60s. Kunst-Geschichten aus den Sammlungen des mumok“ verbeugt sich das Museum moderner Kunst, kurz mumok, vor seiner Vorgängerinstitution. Ein Teil widmet sich dem „20er Haus“ mit Bauplänen, Plakaten und Katalogen aus dem ersten Jahrzehnt, in dem Gegenwartskunst in Österreich eine derart prominente Plattform erhalten hatte. Gleichzeitig gibt es aber auch leise Kritik an damaligen Gebräuchen. Die gezeigten Einkaufslisten enthalten nahezu ausschließlich Werke von Männern. Warum man auf die Kunst der Frauen vergessen hat, kann zwar nicht mehr ergründet werden, aber es gibt nun zumindest den Versuch, diese Schieflage zu korrigieren. Der letzte Raum ist den wenigen weiblichen Positionen, die sich aus dieser Ära in der Sammlung befinden, gewidmet und holt dazu Künstlerinnen, u. a. Germaine Richier, Bridget Riley oder Teresa Rudowicz, vor den Vorhang.

Peter Brüning NY, NY, NY, NY Nr. 22/67, 1967 © Bildrecht, Wien 2024

Peter Brüning NY, NY, NY, NY Nr. 22/67, 1967, Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung, seit 1981 © Bildrecht, Wien 2024

Das eigentliche Anliegen sind aber die 60er selbst. Es war eine Zeit des Aufbruchs, der radikalen Umbrüche, die sich in aufmüpfigen Studenten, Befreiungskämpfen in den Kolonien, Emanzipation im Zuge sexueller Befreiung und dem Siegeszug der Popkultur manifestierten. Dort liegen die Wurzeln für heutige Bewegungen wie Black Lives Matter oder #metoo und der Möglichkeit, offene Diskussionen über aktuelle Probleme führen zu können. Das englische Wort mapping ist hier als Kartieren oder Vermessen zu verstehen. Damals waren es Kunstrichtungen wie Pop Art, Fluxus oder Happening, die Kunstfreunden ein extremes Umdenken abforderten.

Letztendlich öffneten sich aber doch die Köpfe. Mittlerweile sind viele der damals umstrittenen Werke Ikonen. Das von Robert Indiana Martin Luther King gewidmete „Love Rising“ oder die beeindruckende Figurengruppe „Football Vignette“ von Duane Hanson sind ebenso bekannt wie die Reihen von Siebdrucken eines Andy Warhol oder die farbenfrohen „Comics“ von Roy Lichtenstein. Im Zusammenhang mit der Ausstellung sind es Schlaglichter auf die damalige Zeit, die ein Nachdenken über gegenwärtige Anliegen anregen sollten. Derer gibt es schließlich mehr als genug, angefangen von einem Krieg in spürbarer Nähe über eine ungebremste Klimakatastrophe bis zum Rechtsruck eines ganzen Kontinents, der in seiner fehlgeleiteten Gesinnung zu tatsächlichen Problemen wie das gewalttätige Aufeinanderprallen verschiedenster Kulturen eine unserer humanistisch geprägten Grundeinstellung diametral zuwiderlaufende Lösung zu erkennen glaubt.

Corita Kent let the sun shine, 1968  mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien

Corita Kent let the sun shine, 1968 mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, erworben in 2020 © Bildrecht, Wien 2024

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