Kultur und Weindas beschauliche MagazinLiliane Lijn Four Figures of Light, 1978 Foto: Georg Petermichl / mumok © Bildrecht, Wien 2024 LILIANE LIJN. ARISE ALIVE als „Wild Goddessses of the Space Age“
Zum Schauen und Staunen gibt es genug, sobald man das teils faszinierende, teils verstörende Universum von Liliane Lijn betritt. Dem MUMOK gereicht es zur Ehre, der 1939 in New York geborenen und seit 1966 in London lebenden Künstlerin die bislang umfassendste Einzelpräsentation ausgerichtet zu haben. Mit „Arise Alive“ (bis 4. Mai 2025) wird ihr vielseitiges Schaffen zum Leben erweckt, mit Skulpturen und Installationen, Collagen und Malereien, Videos und Performances als die wichtigsten Stationen einer Frau, die wie sie es selbst definiert, dem Weg ihrer Sinne folgt und keine oder kaum vorgegebene Schablonen akzeptiert. Die Manifestation dieser wenig Kompromisse duldenden Einstellung beginnt bei der Wahl unkonventioneller Materialien und mündet in einer Sprengung der Grenzen zwischen den einzelnen Gattungen der Kunst bis hin zu Sprachexperimenten, die Teil ihres bildnerischen Ausdrucks werden.
Was darunter konkret zu verstehen ist, wird am einfachsten klar, wenn man an einer der rotierenden Poem Machines vergeblich versucht, die darauf gedruckten Wörter zu lesen und auf die unbewusst wahrgenommenen Schwingungen dieser Art von Poesie abgewiesen bleibt. Ob man in diesen Versuchsanordnungen tatsächlich kosmischen Prinzipien auf den Grund gehen kann, bleibt der einzelnen Betrachtung überlassen; folgt man aber den Titeln der Arbeiten wie „Cosmic Flares“, „Act As Atom“ oder „E=mc3“, sind diese Hinweise auf Technologie und Wissenschaft klare Verbündete, um in Regionen jenseits des Sichtbaren vorzudringen. In den „Echo Lights“ wird mit Plexiglas ein ästhetisch ansprechendes Gewirr aus Reflexion, Bewegung, Licht und Schatten erzeugt, das wiederum zu den eigenwilligen Frauengestalten Lijns hinführt.
Ausstellungsansicht: Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur, Foto: Markus Wörgötter MEDARDO ROSSO Wegbereiter der klassischen Moderne
„Es gibt keine Malerei, es gibt keine Plastik, es gibt nur ein Ding, das lebt“, ist das bedingungslose Vermächtnis von Medardo Rosso (1858-1928), einem französischen Künstler, den mit Wien eine rege Ausstellungstätigkeit verbindet. Seinen ersten Auftritt in Österreich hatte er 1903 in der Wiener Secession und 1905 in einer Einzelausstellung im Kunstsalon Artaria, mit dem er in der Presse ein gewaltiges Echo fand. Umso größer ist die Begeisterung von MUMOK-Direktorin Karola Kraus und Kuratorin Heike Eipeldauer, diesem Universalgenie an der Schwelle des 19. zum 20. Jahrhunderts eine umfangreiche Personale (bis 23. Februar 2025) ausrichten zu dürfen – und es damit aus der Vergessenheit zu holen. Wurde Rosso einst in einem Atemzug mit Auguste Rodin genannt und tauschte mit ihm Werke für diverse Ausstellungen, sagt heute sogar Experten sein Name nichts oder wenig; wenngleich dieser Franzose (mit italienischen Wurzeln) einer der wesentlichen Wegbereiter der klassischen Moderne war.
Der Beweis ist offensichtlich, vor allem in seinen Zeichnungen, die weit über die damaligen Strömungen hinaus bereits an die Abstrakte denken lassen. Schritt für Schritt sind seine fortschrittlichen Ideen zu entdecken, nicht nur anhand der Plastiken, denen er mit einem Eisen gerahmten Glaskäfig und elektrischer Beleuchtung eine „alarmierend lebendige“ (© Phyllida Barlow) Präsenz verlieh. Rosso gilt als Erfinder der modernen Skulptur. Er beschränkte sich auf einige wenige Sujets, die er jedoch in verschiedensten Materialien ausführte, nicht nur Stein und Bronze, sondern auch in „armen“ Materialien wie Gips und Wachs als endgültige Form. Sie wurden von ihm selbst fotografiert und Abzüge sowie Negative zu neuen Kunstwerken übermalt. Wichtig war Medardo Rosso daneben auch die Gemeinschaft, die er bei Ausstellungen schätzte.
Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. (Roland Goeschl, Getulio Alviani, Bridget Riley) Foto: Klaus Pichler / mumok MAPPING THE 60s Über den Einzug der Gegenwartskunst
Am Anfang stand das 20er Haus, p. t. Museum des 20. Jahrhunderts, das 1962 nach einem Ausflug zur Weltausstellung in Brüssel 1958 im Schweizergarten beim Südbahnhof errichtet wurde. Die lichtvolle Architektur von Karl Schwanzer in ihrer sachlich-modernistischen Form war eigens für die Gegenwartskunst geschaffen worden. Um Konfrontationen brauchte man sich nicht zu sorgen. Gründungsdirektor Werner Hofmann zeigte den Wienern, was unter moderner Kunst zu verstehen war und stieß erwartungsgemäß auf Widerstand. Das soll Kunst sein? Die Frage wurde von ihm rigoros mit durchaus gut besuchten Ausstellungen beantwortet, während im Hintergrund Ankäufe im großen Stil getätigt wurden. In den 1970er-Jahren wurde der Bestand immens erweitert, indem die Sammlungen von Peter & Irene Ludwig und Wolfgang Hahn mit Schlüsselwerken der Gegenwartskunst aufgenommen werden konnten.
Mit der Ausstellung „Mapping the 60s. Kunst-Geschichten aus den Sammlungen des mumok“ verbeugt sich das Museum moderner Kunst, kurz mumok, vor seiner Vorgängerinstitution. Ein Teil widmet sich dem „20er Haus“ mit Bauplänen, Plakaten und Katalogen aus dem ersten Jahrzehnt, in dem Gegenwartskunst in Österreich eine derart prominente Plattform erhalten hatte. Gleichzeitig gibt es aber auch leise Kritik an damaligen Gebräuchen. Die gezeigten Einkaufslisten enthalten nahezu ausschließlich Werke von Männern. Warum man auf die Kunst der Frauen vergessen hat, kann zwar nicht mehr ergründet werden, aber es gibt nun zumindest den Versuch, diese Schieflage zu korrigieren. Der letzte Raum ist den wenigen weiblichen Positionen, die sich aus dieser Ära in der Sammlung befinden, gewidmet und holt dazu Künstlerinnen, u. a. Germaine Richier, Bridget Riley oder Teresa Rudowicz, vor den Vorhang. Peter Brüning NY, NY, NY, NY Nr. 22/67, 1967, Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung, seit 1981 © Bildrecht, Wien 2024 Das eigentliche Anliegen sind aber die 60er selbst. Es war eine Zeit des Aufbruchs, der radikalen Umbrüche, die sich in aufmüpfigen Studenten, Befreiungskämpfen in den Kolonien, Emanzipation im Zuge sexueller Befreiung und dem Siegeszug der Popkultur manifestierten. Dort liegen die Wurzeln für heutige Bewegungen wie Black Lives Matter oder #metoo und der Möglichkeit, offene Diskussionen über aktuelle Probleme führen zu können. Das englische Wort mapping ist hier als Kartieren oder Vermessen zu verstehen. Damals waren es Kunstrichtungen wie Pop Art, Fluxus oder Happening, die Kunstfreunden ein extremes Umdenken abforderten.
Statistik |