Kultur und Wein

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Ausstellungsansicht: Nie endgültig! Das Museum im Wandel Foto: Klaus Pichler © mumok

Ausstellungsansicht: Nie endgültig! Das Museum im Wandel, Foto: Klaus Pichler © mumok

NIE ENDGÜLTIG! Das Museum im Wandel – 1979 bis 1989

Ausstellungsansicht: Nie endgültig! Das Museum im Wandel Foto: Klaus Pichler © mumok

Ausstellungsansicht: Nie endgültig!l Foto: Klaus Pichler © mumok

Wie moderne Kunst in Wien heimisch gemacht wurde

Es war die Ära Kreisky, in der das Kulturleben Österreichs allmählich aus dem eigenen Schatten getreten ist. Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg wurde in diesen Tagen zur Patronin der modernen Kunst, in einer Gesellschaft, die den Schock der 1960er-Jahre auch ein Dezennium später noch nicht überwunden hatte. Werke und Künstler der Gegenwart wurden von der Presse mit Argwohn betrachtet, mit einer ablehnenden Kritik, die sich auf große Teile der Bevölkerung übertrug und dazu gezeigte Ausstellungen im – salopp – 20er Haus genannten Museum zu einem Minderheitenprogramm degradierte. Mit dem 26. April 1979 erfolgte ein entscheidender Schritt nach vorne. Die bestehenden Sammlungen wurden um umfangreiche und kunsthistorisch maßgebliche Dauerleihgaben des Aachener Ehepaares Peter und Irene Ludwig erweitert. Dadurch entstandener Platzmangel hatte das Museum moderner Kunst im Palais Liechtenstein zu Folge, wo nun hierzulande noch nie gesehene Werke der Pop Art und des Fotorealismus für neugierigen Zulauf sorgten. Dazu wurde die Sammlung von Wolfgang Hahn angekauft, mit deren Fokus auf den Nouveau Réalisme trotz mancher Proteste die große Welt der Gegenwartskunst in Wien Einzug hielt.

Untitled O.T. (Volkswagen), 1971 mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien

l.o.: Don Eddy Untitled O.T. (Volkswagen), 1971 mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung © Don Eddy

r.: Daniel Spoerri, Hahns Abendmahl 1964 Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, ehemals Sammlung Hahn, Köln / Former Hahn, erworben 1978 © Bildrecht, Wien 2025

Daniel Spoerri, Hahns Abendmahl 1964 Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien,

Mit diesen Vorgängen untrennbar verbunden ist ein Name. Der deutsche Kunsthistoriker Dieter Ronte wurde 1979 Direktor des Museums moderner Kunst. Dank seiner Mitarbeit am Museum Ludwig in Köln und damit bester Kontakte konnte 1981 die Österreichische Stiftung Ludwig durch Ministerin Firnberg und dem Sammlerehepaar gegründet werden. In seiner Amtszeit wurden dem Pluralismus dieses Jahrzehnts im Museum Tür und Tor geöffnet und draußen der langsam versiegende Widerstand in reges Interesse an den jeweiligen Ausstellungen verwandelt. Dazu wurden emigrierte Künstlerpersönlichkeiten wie Oskar Kokoschka, Richard Neutra, Erika Giovanna Klien oder Friedrich Kiesler zurückgeholt. Heimische Größen wie Arnulf Rainer, Christian Ludwig Attersee, Maria Lassnig oder Hermann Nitsch entfachten rege bis wilde Diskussionen. Immer stand dahinter jedoch die verbindliche Persönlichkeit von Dieter Ronte, dessen persönliche Überzeugung auch bei Hitzköpfen eine kühlende Nachdenklichkeit auslöste.

Ausstellungsansicht: Nie endgültig! Das Museum im Wandel Foto: Klaus Pichler © mumok

Ausstellungsansicht: Nie endgültig! Das Museum im Wandel, Nancy Graves, Fifty Hair Bones and Sun Disk, Foto: Klaus Pichler © mumok

Ausstellungsansicht: Nie endgültig! Das Museum im Wandel, Eva Aeppli, L’Aube, 1960 Eva Aeppli

Ausstellungsansicht: Nie endgültig! Eva Aeppli, L’Aube, 1960 Eva Aeppli, Les Juges, 1967 Foto: Klaus Pichler © mumok

Der Titel zur Ausstellung, die Dieter Ronte nun im momok bis 12. April 2026 gewidmet ist, stammt erstaunlicherweise von Ministerin Hertha Firnberg, die dem Museum die Devise „Nie endgültig!“ verpasst und damit ein Programm gegeben hat, das, um aktuell zu bleiben, ständigem Wandel unterliegen muss. Gemeinsam mit Kuratorin Marie-Therese Hochwartner wurde mit sorgsam ausgewählten Werken ein Überblick über das Wiener Kunstgeschehen der 1980er-Jahre gestaltet, der die Besucherscharen zwischen Nostalgie Bewunderung und einem Rest von Irritation pendeln lässt.

Zur Eröffnung war der ehemalige Direktor anwesend. In privaten Plaudereien öffnete Dieter Ronte dabei sein Schatzkästlein an Erinnerungen und gab etliche Anekdoten zum Besten. So erzählte er über ein Gerichtsverfahren, das ihm aufgrund eines Kunstwerks den Vorwurf der Herabwürdigung der röm. kath. Kirche eingetragen hat und konnte mit einem Schmunzeln – wohl eines Deutschen über die Wiener Mentalität – von einem glücklichen Ausgang des Verfahrens berichten. Dieter Ronte ist uns glücklicherweise auch nach seinem Abgang als Museumsdirektor erhalten geblieben. Unter anderem hatten Studierende an der Akademie der bildenden Künste und an der Hochschule für angewandte Kunst das Vergnügen, seinem anschaulichen Unterricht folgen zu dürfen. Ab 2007 übernahm Ronte das neu eröffnete Forum Frohner in Krems/Stein für einige Jahre und ist nach wie vor eine entscheidende Instanz, wenn es um große Fragen der modernen Kunst geht.

Maria Lassnig, Fliegen lernen, mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, erworben 1980

Maria Lassnig, Fliegen lernen, mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, erworben 1980 © Maria Lassnig Stiftung

Liliane Lijn Four Figures of Light, 1978 Courtesy Liliane Lijn and Sylvia Kouvali, London / Piraeus

Liliane Lijn Four Figures of Light, 1978  Foto: Georg Petermichl / mumok © Bildrecht, Wien 2024

LILIANE LIJN. ARISE ALIVE als „Wild Goddessses of the Space Age“

Liliane Lijn Liquid Reflections/ Series 2 (32"), 1968 Foto: Stephen Weiss © Bildrecht, Wien 2024

Liliane Lijn Liquid Reflections/ Foto: Stephen Weiss © Br. Wien 2024

Eine „kosmische“ Künstlerin als Filter, Spiegel, Prisma & Energiespule

Zum Schauen und Staunen gibt es genug, sobald man das teils faszinierende, teils verstörende Universum von Liliane Lijn betritt. Dem MUMOK gereicht es zur Ehre, der 1939 in New York geborenen und seit 1966 in London lebenden Künstlerin die bislang umfassendste Einzelpräsentation ausgerichtet zu haben. Mit „Arise Alive“ (bis 4. Mai 2025) wird ihr vielseitiges Schaffen zum Leben erweckt, mit Skulpturen und Installationen, Collagen und Malereien, Videos und Performances als die wichtigsten Stationen einer Frau, die wie sie es selbst definiert, dem Weg ihrer Sinne folgt und keine oder kaum vorgegebene Schablonen akzeptiert. Die Manifestation dieser wenig Kompromisse duldenden Einstellung beginnt bei der Wahl unkonventioneller Materialien und mündet in einer Sprengung der Grenzen zwischen den einzelnen Gattungen der Kunst bis hin zu Sprachexperimenten, die Teil ihres bildnerischen Ausdrucks werden.

Liliane Lijn Get Rid of Government Time, 1962 Foto: Richard Wilding © Bildrecht, Wien 2024

Liliane Lijn Get Rid of Government Time, 1962 Foto: Richard Wilding © Bildrecht, Wien 2024

Liliane Lijn Conjunction of Opposites: Woman of War and Lady of the Wild Things, 1983–86

Liliane Lijn Conjunction of Opposites: Woman of War and Lady of the Wild Things, 1983–86 Foto: Thierry Bal © Bildrecht, Wien 2024

Was darunter konkret zu verstehen ist, wird am einfachsten klar, wenn man an einer der rotierenden Poem Machines vergeblich versucht, die darauf gedruckten Wörter zu lesen und auf die unbewusst wahrgenommenen Schwingungen dieser Art von Poesie abgewiesen bleibt. Ob man in diesen Versuchsanordnungen tatsächlich kosmischen Prinzipien auf den Grund gehen kann, bleibt der einzelnen Betrachtung überlassen; folgt man aber den Titeln der Arbeiten wie „Cosmic Flares“, „Act As Atom“ oder „E=mc3“, sind diese Hinweise auf Technologie und Wissenschaft klare Verbündete, um in Regionen jenseits des Sichtbaren vorzudringen. In den „Echo Lights“ wird mit Plexiglas ein ästhetisch ansprechendes Gewirr aus Reflexion, Bewegung, Licht und Schatten erzeugt, das wiederum zu den eigenwilligen Frauengestalten Lijns hinführt.

Staubwedel, Kunstfasern, durch optische Prismen in seine Spektralfarben aufgebrochenes Licht und Laser lassen weibliche Gottheiten wie „Lady of the Wild Things“ oder „Woman of War“ entstehen und erklären patriarchalen Strukturen und der Reduktion der Frau auf ihren Körper schonungslos den Krieg. Ihre Göttinnen des Weltraumzeitalters sind überlebensgroß und computergesteuert, ausgestattet mit der Möglichkeit eines Dialoges, der von Gesang, 250 LED-Lichtern, Laser und künstlichem Rauch bereichert ist. Diese von Lijn unter dem Begriff „Cosmic Dramas“ zusammengefassten interaktiven Skulpturen verbinden, so die Künstlerin, das Kosmische mit dem Persönlichen und Mythologie mit High-Tech, um weiblichen Archetypen eine zeitgenössische Gestalt zu verleihen. Liliane Lijn dazu im OT: „I was interested in dematerialization – in the idea of losing the body. And that was related in a way to being a woman“, auf Deutsch gesagt, interessiert an Entmaterialisierung, am Verlust des Körpers, womit in gewisser Weise verbunden ist, eine Frau zu sein; umgesetzt in Filtern, Spiegeln, Prismen & Energiespulen („She is a filter, a mirror, a prism, an energy coil“).

Liliane Lijn Electric Bride, 1989 Foto: Georg Petermichl / mumok © Bildrecht, Wien 2024

Liliane Lijn Electric Bride, 1989 Foto: Georg Petermichl / mumok © Bildrecht, Wien 2024

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur, Foto: Markus Wörgötter

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur, Foto: Markus Wörgötter

MEDARDO ROSSO Wegbereiter der klassischen Moderne

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso

Ein Bildhauer mit einem darüber weit hinausgehenden vielschichtigen Werk

„Es gibt keine Malerei, es gibt keine Plastik, es gibt nur ein Ding, das lebt“, ist das bedingungslose Vermächtnis von Medardo Rosso (1858-1928), einem französischen Künstler, den mit Wien eine rege Ausstellungstätigkeit verbindet. Seinen ersten Auftritt in Österreich hatte er 1903 in der Wiener Secession und 1905 in einer Einzelausstellung im Kunstsalon Artaria, mit dem er in der Presse ein gewaltiges Echo fand. Umso größer ist die Begeisterung von MUMOK-Direktorin Karola Kraus und Kuratorin Heike Eipeldauer, diesem Universalgenie an der Schwelle des 19. zum 20. Jahrhunderts eine umfangreiche Personale (bis 23. Februar 2025) ausrichten zu dürfen – und es damit aus der Vergessenheit zu holen. Wurde Rosso einst in einem Atemzug mit Auguste Rodin genannt und tauschte mit ihm Werke für diverse Ausstellungen, sagt heute sogar Experten sein Name nichts oder wenig; wenngleich dieser Franzose (mit italienischen Wurzeln) einer der wesentlichen Wegbereiter der klassischen Moderne war.

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur, Foto: Markus Wörgötter

Ausstellungsansicht: Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur, Foto: Markus Wörgötter

Der Beweis ist offensichtlich, vor allem in seinen Zeichnungen, die weit über die damaligen Strömungen hinaus bereits an die Abstrakte denken lassen. Schritt für Schritt sind seine fortschrittlichen Ideen zu entdecken, nicht nur anhand der Plastiken, denen er mit einem Eisen gerahmten Glaskäfig und elektrischer Beleuchtung eine „alarmierend lebendige“ (© Phyllida Barlow) Präsenz verlieh. Rosso gilt als Erfinder der modernen Skulptur. Er beschränkte sich auf einige wenige Sujets, die er jedoch in verschiedensten Materialien ausführte, nicht nur Stein und Bronze, sondern auch in „armen“ Materialien wie Gips und Wachs als endgültige Form. Sie wurden von ihm selbst fotografiert und Abzüge sowie Negative zu neuen Kunstwerken übermalt. Wichtig war Medardo Rosso daneben auch die Gemeinschaft, die er bei Ausstellungen schätzte.

Diesem Bedürfnis wurde insofern Rechung getragen, als sein Werk mit Arbeiten u. a. Edgar Degas, Louise Bourgeois, Jasper Jones oder Andy Warhol in Resonanz gebracht wurde. So wird ein Jahrhundert Kunstgeschichte um eine Person herum abgehandelt, an einem Pionier, der sich vom Monumentalen zum Anti-Monumentalen, von der Form zum Material, von der Einzigartigkeit zur seriellen Wiederholung und vom abgeschlossenen Werk zum Veränderlichen wandte. Genaues Hinschauen auf die ausgestellten Dokumente zeigt sogar die Vorwegnahme der Perfomance. Rosso liebte die Öffentlichkeit bei seiner Arbeit und veranstaltete in seinem Atelier Schaugießen, nicht zuletzt um sich in der Doppelrolle als Künstler und Handwerker bewundern zu lassen. Er beherrschte all das, wozu andere seines Fachs Spezialisten heranziehen mussten. Dieser von ihm erweckte Geist ist nach wie vor zu spüren, auch dank zweier Abgüsse, die bereits von Werner Hofmann, dem Gründungsdirektor des Museums in weiser Vorrausicht 1964 angekauft wurden.

Medardo Rosso  Bookmaker, 1894  übermaltes Glasnegativ © Museo Medardo Rosso, Barzio

Medardo Rosso, Bookmaker, 1894 übermaltes Glasnegativ © Museo Medardo Rosso, Barzio

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