Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Wirklichkeit als Haltung. Wiener Realismus nach 1960, Ausstellungsansicht

Wirklichkeit als Haltung. Wiener Realismus nach 1960, Ausstellungsansicht

WIRKLICHKEIT ALS HALTUNG oder kritische Definition der Realität

Wirklichkeit als Haltung. Wiener Realismus nach 1960, Ausstellungsansicht

Wirklichkeit als Haltung, Ausstellungsansicht

Eine Ausstellung von Kunst, die anfangs abgelehnt und missverstanden war

Ein Name lässt aufhorchen: Alfred Hrdlicka. Der 2009 verstorbene Künstler war durch seine mächtige Pranke berühmt geworden, für Skulpturen, aus denen die Kraft ihres Schöpfers strömte. Aber Hrdlicka war mehr als ein Bildhauer, mehr noch als ein Zeichner, Maler, Grafiker. Er war ein großer, zumeist aber unverstandener Denker, der seiner extrem links gelagerten politischen Überzeugung so fest anhing, dass er randalierend von den Zuhörerrängen des österreichischen Parlaments mit Gewalt entfernt werden musste. Was war das für ein Mann?! Gewiss einer, dem dafür ewige Bewunderung zusteht. Als er im Wien der Nachkriegszeit mit Georg Eisler, Hans Escher, Fritz Martinz, Rudolf Schönwald und Rudolf Schwaiger als Gruppe der Wiener Realisten an die Öffentlichkeit trat, war Gegenwind vorprogrammiert. In der Galerie nächst St. Stephan scharten sich Vertreter der Abstrakten um Monsignore Otto Mauer, die figuratives Bildwerk als Rückschritt in Zeiten sozialistischer und nationalsozialistischer Darstellungsweise desavouierten. Mit auf der Strecke sollte der in Nachfolge des Surrealismus praktizierte „phantastische Realismus“ bleiben, dem mit erstaunlicher Überheblichkeit seitens einiger sogenannter Experten rundweg sein Wert als Kunstrichtung abgesprochen wurde.

Erna Frank: Liegende im Bett, 1988, © Bildrecht, Wien 2025, Foto: Maximilian Hochstätter

Erna Frank: Liegende im Bett, 1988, © Bildrecht, Wien 2025, Foto: Maximilian Hochstätter, Wien Museum

Ausstellungsansicht „Wirklichkeit als Haltung. Wiener Realismus nach 1950“, Foto: Klaus Pichler

Ausstellungsansicht „Wirklichkeit als Haltung. Wiener Realismus nach 1950“, Foto: Klaus Pichler, Wien Museum

Bei diesen Attacken wurde jedoch übersehen, dass hinter dem Begriff Realismus nicht die Abbildung einer gesehenen Wirklichkeit, sondern die Realität der politischen und sozialen Situation selbst im Fokus stand, also wesentlich mehr als das rein Augenfällige. Die verschiedenen Denkweisen und Ausrichtungen der Kunst haben sich mittlerweile versöhnt. So sind gegen die Ausstellung im MUSA mit dem Titel „Wirklichkeit als Haltung. Wiener Realismus nach 1960“ (bis 17. August 2025) kaum ernsthafte Protestaktionen durch streitbare alte Herren zu erwarten. Vielmehr ist es eine Schau, die bis heute neue Sichtweisen auf die uns umgebende Realität eröffnet. Wenig bekannt dürfte die Grafikmappe „Soldatentreffen“ sein, die schon 1954 den erst neun Jahre zurückliegenden Nationalsozialismus mit düster anklagenden Linolschnitten thematisierte.

Er eröffnet den Rundgang durch eine durchaus grotesk verzerrte Wirklichkeit, die sich in erster Linie dem menschlichen Körper widmete, indem sie ihn verunstaltete, bis hin zum ramponierten Torso. „Sunset Strip“ und „Peeping Tom-Show“ von Georg Eisler sind eben so wenig pornographisch-erotisch wie die spärlich bekleideten Frauen in quälend lustvollen SM-Stellungen von Adolf Frohner, der sich den Realisten bald angeschlossen hat. Fritz Martinz ist darüber hinausgegangen, als er sich vom „Großen Liebesgarten“ in einen Schlachthof gewandt hat, um mit Tierschädel und toten Tieren zu schockieren. Zu sehen ist auch deren Nachfolge mit Wilhelm Helfert, Anneliese & Alfred Karger oder Josef Kern, der im Frauenakt „Schlaf“ einem gewissen Maß an Voyeurismus durchaus abhold ist, ganz im Gegensatz zu Rainer Wölzl, der den Geschlechtsakt in bewusst abstoßender Weise gemalt hat. Kuratiert wird diese Ausstellung von Brigitte Borchhardt-Birbaumer und Berthold Ecker, die auch für den Katalog verantwortlich zeichnen. Das Buch ist ein Plädoyer für den Realismus, dessen Anfänge bereits in der Vorgeschichte, der Antike und im Mittelalter verortet und der damit zu einem wesentlichen Element aller Kunst erklärt wird.

Fritz Martinz: Geschlachteter Ochse, 1955, © Bildrecht, Wien 2025, Foto: Wien Museum

Fritz Martinz: Geschlachteter Ochse, 1955, © Bildrecht, Wien 2025, Foto: Wien Museum

Musa Logo 300

Statistik