Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Die Meistersinger von Nürnberg, Ensemble, Bühne © Kirsten Nijhof

Die Meisstersinger von Nürnberg, Ensemble, Bühne © Kirsten Nijhof

DIE MEISTERSINGER VON der Satyr-Spielzeug-Stadt NÜRNBERG

Eva (Elisabet Strid), Magnus Vigilius (Walther von Stolzing) © Kirsten Nijhof

Eva (Elisabet Strid), Magnus Vigilius (Walther von Stolzing) © Kirsten Nijhof

Wagners Lächeln beherrscht Inszenierung und Interpretation

Wo sonst als in Leipzig sollte man Richard Wagner besser kennen?! Schließlich ist er ein Sohn der Stadt, dortselbst am 22. Mai 1813 geboren. Der Schöpfer von schicksalhaften Tragödien wie Tristan und Isolde oder einem vor mythologischer Erhabenheit triefenden Ring des Nibelungen besaß auch genug Humor, seine deutschen Landsleute mit sanfter Ironie auf die Bühne zu stellen. Mit einer durch und durch klaren Musik, aufbauend auf die reine fallende Quart und mitreißend melodiösem Aufstieg, setzte er in der komischen Oper, bzw. dem Satyrspiel „Die Meistersinger von Nürnberg“ ihnen und ihrer musischen Beflissenheit ein vielschichtiges Denkmal. Es mögen die Zeiten über das pedantische Regelwerk des Meistergesangs hinweggezogen sein, geblieben ist der Reiz dieser Rückschau in eine verklärte Vergangenheit, die von Wagner warmherzig hinterfragt und nicht zuletzt mit seinem Werk zeitlos gemacht wurde.

Magnus Vigilius (Walther von Stolzing), Matthias Stier (David) © Kirsten Nijhof

Magnus Vigilius (Walther von Stolzing), Matthias Stier (David) © Kirsten Nijhof

Matthias Hausmann (Beckmesser) © Kirsten Nijhof

Matthias Hausmann (Beckmesser) © Kirsten Nijhof

Wenn dazu ein Regisseur wie der Engländer David Pountney seine Sicht der Dinge in Bühnebild und Ensembleführung addiert, dann entsteht genau dieser Schwebezustand, der über die gesamte Dauer von fünf-dreiviertel Stunden (mit zwei Pausen) keine Sekunde lang ein Wegschauen und mit Ulf Schirmer am Pult des Gewandhausorchesters ein Weghören erlaubt. Auf der von Leslie Travers und einer bekannt soliden Technik (man denke nur an das sensationelle Geisterschiff beim Fliegenden Holländer) geschaffenen Bühne steht im Zentrum eines antiken Amphitheaters die Stadt Nürnberg, klein wie Spielzeug und später noch einmal geschrumpft als „Begrünung“ auf dem Dach von Sachsens Werkstatt. Alles zusammen bietet jedoch genügend Platz, um das Volk über die gesanglichen Qualitäten der einzelnen Kandidaten abstimmen zu lassen. Bei einem derart weiten zeitlichen Rahmen stört es nicht, wenn die Kostüme (Marie Jeanne Lecca) zwischen Reformationszeit und Gegenwart abgemischt sind.

Matthias Stier (David), Kathrin Göring (Magdalene) © Kirsten Nijhof

Matthias Stier (David), Kathrin Göring (Magdalene) © Kirsten Nijhof

James Rutherford (Hans Sachs), Elisabet Strid (Eva) © Kirsten Nijhof

James Rutherford (Hans Sachs), Elisabet Strid (Eva) © Kirsten Nijhof

Immerhin ist als Preis des Wettsingens Fräulein Eva, Tochter des Goldschmiedes Veit Pogner (mit mächtig schwarzem Bass: Sebastian Pilgrim) ausgelobt. Um zwei junge Leute dazumal heiraten zu lassen, waren, wenn man diversen Operntexten glaubt, derartige Proben an der Tagesordnung. Voraussetzung für die Teilnahme war das Meisteramt. Genau in diesem Punkt mangelt es aber bei Walther von Stolzing. Er ist ein verarmter Junker, der zwar eine unglaublich poetische Ader besitzt und diese auch in Gesang umsetzen kann, darüber hinaus Eva innig liebt, aber eben mit den Regeln des Meistersangs nicht vertraut ist. In Leipzig kämpfen Elisabet Strid und Magnus Vigilius um ihre gemeinsame Zukunft. Die beiden verfügen über alle die Eigenschaften, die ein Traumpaar ausmachen würde; in erster Linie große Stimmen und gutes Aussehen.

Magnus Vigilius (Stolzing), James Rutherford (Hans Sachs), Ensemble © Kirsten Nijhof

Magnus Vigilius (Stolzing), James Rutherford (Hans Sachs), Ensemble © Kirsten Nijhof

Wäre da nicht der Merker, besser bekannt als Sixtus Beckmesser, der ebenfalls um die Hand des Evchens singen will. Wer ihn kennt, weiß dass Matthias Hausmann ein wunderbarer Bariton ist; am Premierentag jedoch musste aufgrund von Stimmproblemen an der Seite Ralf Lukas den Gesangspart übernehmen. Hausmann war auf sein schauspielerisches Talent reduziert, das er aber überwältigend komisch umsetzte. Fast hat man Mitleid, wenn ihm der Lehrbub David (Matthias Stier) im Zuge der sehenswerten Rauferei im Finale des zweiten Aktes schmerzhafte Blessuren zufügt und er am Ende vor dem Spott der Zuhörer fliehen muss. Aber man darf eben nicht so dumm sein und der falschen Dame ein Ständchen geben, in diesem Fall Magdalene (Kathrin Göring), die anstelle von Eva am Fenster Platz genommen hat. Nur ein einziger kann die Meister mit ihren durchwegs nicht zu verachtenden Stimmen von der Qualität des Neuen überzeugen, das mit Stolzing Einzug halten soll. Hans Sachs (der beeindruckende Bassbariton James Rutherford) hat erkannt: „Kein Regel wollte da passen, und war doch kein Fehler drin.“ Man spürt deutlich das Lächeln Wagners, wenn er die Kontrahenten mit seinen eigenen musikalischen Ideen aufeinander prallen lässt und Walther von Stolzing eine Arie geschenkt hat, bei der auch dem verstocktesten Traditionalisten das Herz aufgehen muss.

Szenenfoto aus Rheingold © Tom Schulze

DER RING DES NIBELUNGEN Zu Wagner nach Leipzig

Szenenfoto aus Rheingold © Tom Schulze

An vier Opernabenden in den geheimnisvollen Bauplan der Welt eintauchen

Richard Wagner schrieb am 25. August 1872 in der Widmung an seinen Förderer König Ludwig II. den Text, mit Wotan angesichts das ihm erbaute Walhall bejubelt: Vollendet ist das ewige Werk! Mit dem Zyklus „Der Ring des Nibelungen“ hatte er tatsächlich etwas geschaffen, das es weder vor ihm und bisher auch nach ihm nicht mehr gegeben hat. Mit einem Vorabend und drei Tagen steht es einzigartig in der Operngeschichte da. Seine Umsetzung auf einer Opernbühne verlangt enormen Einsatz an allem, das dieses Genre ausmacht. Es braucht eine bestens funktionierende, aufwändige Technik, ein Orchester mit ausgezeichneten Instrumentalisten, das die gewaltigen Herausforderungen der Partitur umsetzen kann, dazu einen Dirigenten, der in den mächtigsten Klangstürmen den Überblick bewahrt, und für die 34 Solistenrollen die jeweils besten Sänger ihres Fachs, die nicht nur wunderschön singen, sondern auch über eine an sportliche Spitzenleistungen heranreichende Kondition Stimme verfügen sollten.

Tuomo Pursio, Christiane Libor (Götterdämmerung) © Tom Schulze

In Leipzig, wo man heuer den Ring zu Ehren des großen Sohnes (Wagner wurde am 22. Mai 1813 hier geboren) erfolgreich produziert hat, sind alle diese Voraussetzungen im besten Maße erfüllt. Am Pult steht Ulf Schirmer, ein Routinier, der bereits in den bedeutendsten Opernhäusern, so auch in der Staatsoper Wien als Hausdirigent, gewirkt hat. Geleitet wird von ihm das Leipziger Gewandhausorchester, dessen Mitglieder auch mit den schwierigsten Passagen spielend fertig werden und die klanglichen Intentionen ihres Dirigenten umzusetzen vermögen. Die Gesangssolisten wechseln immer wieder ab. Auch große Interpreten sind dem Markt unterworfen.

Ein solcher erlaubt es offenbar nicht, eine derart umfangreiche Produktion und die Folgevorstellungen durchzusingen. Es wurden aber immer wieder solche Sänger gefunden, die sowohl schauspielerisch als auch stimmlich das Publikum, wenn auch nur für einen Abend, zu frenetischen Beifallsstürmen hinreißen. In den einzelnen Artikeln zu den Aufführungen vom 1. bis 5. Mai werden die wichtigsten von ihnen, so Wotan, Brünnhilde, Siegfried oder Mime, mit Namen vorgestellt.

Szenenfoto aus Siegfried © Tom Schulze
Christiane Libor, Thomas Mohr, Marika Schönberg © Tom Schulze

Für die Inszenierung zeichnet Rosamund Gilmore verantwortlich. Sie hat ihre Ausbildung im klassischen Ballett absolviert und die Tanzkunst nun auch in den Ring eingeführt. Kurz gesagt: Man merkt deutlich die sanfte weibliche Hand, das Feminine, das Wagner ein vollkommen neues, ungewohntes Erscheinungsbild verleiht. Tänzer interpretieren die Musik. Es beginnt bereits mit der Einleitung des Rheingolds, in denen das Tanzensemble die Wasserbewegung sichtbar macht, sie übernehmen die schmiedenden Zwerge oder stellen bei der Walküre grazile Widder, die den Wagen Frickas durch das Himmelsgewölbe ziehen. Nicht immer sind die Tanzeinlagen so einfach zu erklären. Einem ausgewiesenen Wagnerfan mögen sie sogar störend erscheinen, wenn er sich beispielsweise im Finale von Siegfried in die von brausenden Klängen gemalte Zweisamkeit des Helden und der Walküre fallen lässt und das aufwallende Gefühl von einer Truppe unmotiviert herein springender Gestalten irritiert wird. Es mag alles zu erklären sein, ist aber für den Musikgenuss nicht immer hilfreich.

Dazu zählen auch Regieideen wie eine Stehlampe und das Fahrrad in Mimes Schmiede oder der weiße Flügel, auf dem nicht gespielt wird. Es handelt sich dabei erstaunlicherweise um die Aufbahrungsstätte des toten Siegfrieds. Beeindruckend gelöst ist hingegen der Wurm, der als überlebensgroßer, wabbernder Fafner aus dem Untergrund auftaucht und damit die monströse Hilflosigkeit dieser Schreckensgestalt unterstreicht.

 

Der Ring des Nibelungen ist ein hehres Werk und Richard Wagner hätte sich jeden Scherz dazu verbeten. Er musste aber schon zu Lebzeiten Kritik einstecken, vor allem zu seiner Sprache, die ihre Altertümlichkeit mit Alliterationen zu gewinnen versucht. Er musste auch damit leben, dass die Handlung zwar tiefsinnig ist, aber in ihrer bedingungslosen Heldentümelei ungewollte Komik birgt.

So darf auch in dieser Kritik einiges davon mit einem Augenzwinkern erwähnt werden, ohne die Verehrung dieses großen Komponisten und Dichters auch nur im Geringsten zu schmälern. Immerhin hat er uns mit diesen vier Opern eine Ahnung vom Bauplan der Welt mitsamt der damit verbundenen Hoffnungslosigkeit gegeben, in der Verträge wie Wotans zersplitterter Speer zu Makulatur werden und Falschheit am Ende zu ihrem Untergang, der Götter- und Menschendämmerung führt.

Szenenfoto Walküre © Tom Schulze

DAS RHEINGOLD Vorabend des Untergangs eines Vertragsbrüchigen

Szenenfoto Rheingold Ensemble © Tom Schulze

Klang- und stimmvolles Gerangel um einen verhängnisvollen Ring

Es beginnt mit einem ppp-Es in den Bässen, zu dem sich nach einigen Takten ebenso leise die Kontrabasstuba gesellt, bis ein Horn mit der Naturtonreihe klarstellt, dass es sich um die schönste jemals komponierte Darstellung unberührter Schöpfung handelt, dem Wiegenlied der Welt (© Richard Wagner). Der Kanon der Hörner wird mehr und dichter von Streichern übermalt und bleibt anschwellend so lange auf dieser einen Tonart, bis die Rheintöchter mit ihrem dreistimmigen Jubel beginnen. Es gibt auch einen Eindringling, Alberich, der allzu gern eines der drallen Wassermädel vernaschen möchte. Freilich nehmen ihn diese nicht ernst. Der Alb ist hässlich und kann ihnen im nassen Terrain nicht folgen. Als aber die Sonne aufgeht, den Boden des Rheins golden färbt, wendet sich das Blatt. Angelockt von der Versprechung, dass derjenige, der jeder Lust entsagt, dieses „Edelmetall“ rauben und daraus eine Ring schmieden könne, der ihm jede Macht der Welt verleiht, vergisst Alberich blitzschnell seine Geilheit und raubt den drei Grazien das Gold. Von ihrem Jammer lässt er sich nicht erweichen.

Karin Lovelius, Tuomas Pursio © Tom Schulze

In den lichten Höhen der Götter hat derweil Wotan von den beiden Riesen Fasolt und Fafner einen Palast erbauen lassen; allerdings mit dem Versprechen, ihnen nach getaner Arbeit dafür Freia zu geben. Gerade diese Göttin ist aber für die ewige Jugend zuständig, indem sie goldene Äpfel pflegt, die ihre Mitgötter vor dem Altern schützen. Also was tun, ohne die Abmachung zu brechen? Für Wotan eine besonders peinliche Situation, da er mit dem Schaft seines Speeres der Hüter der Verträge ist. Rat weiß wie immer der listige Loge, der für das Feuer zuständig ist. Mit einem Trick lässt sich von Alberich Hort und Ring besorgen und damit Freia zurück kaufen. Der Fluch, der auf der Preziose liegt, erfüllt sich an Ort und Stelle, wenn Fafner Fasolt erschlägt und, nicht unwichtig für die folgenden drei Abende, die Tarnkappe mit sich nimmt. Fürs erste darf also nach Donners Einsatz ein Regenbogen als Brücke nach Walhall dienen und Wotan seine Frau Fricka einladen, ihm dorthin zu folgen. Die Jammerei der Rheintöchter, dass es traulich und treu nur in der Tiefe sei, ist zwar beeindruckend, wird aber von den Göttern nur belächelt.

Jürgen Linn, Dan Karlström © Tom Schulze

Allein der Beginn, der unter Wasser spielt, stellt eine Herausforderung für Regisseure und Bühnentechniker dar. Rosamund Gilmore, ausgebildet im klassischen Ballett, hat sich an ihre eigentliche Stärke gehalten und die Wogen des Rheins mit Tänzern dargestellt. Dem Erscheinen des Rheingolds hat sie eine Kathedrale errichtet, die sich in der Folge allerdings als Mehrzweckbau herausstellt. Sowohl Ballett als auch die Bühnenarchitektur erweisen sich vielseitig einsetzbar.

Wo anfangs Alberich auf wässriger Oberfläche herumrutscht, wird später eifrig am Ring geschmiedet und gleich darauf von den lichten Göttern mit den Riesen knallhart verhandelt. Damit kennt man sich aus und weiß genau, wo man gerade ist, ob im Wasser, ob tief unten bei den schwarzen Alben oder am Fuße von Walhall, zu dem im Finale Neonröhren in angedeuteten Regenbogenfarben feierlich empor führen.

 

Ulf Schirmer und das Gewandhausorchester sind ein Garant für große Wagnerische Klänge, die Leipzig ihrem großen Sohn schuldig ist. Es werden alle die Farbnuancen dieser Musik liebevoll herausgearbeitet, bis das Orchester mit der Wucht eines Tutti überwältigende Naturerscheinungen als meisterliche Großgemälde ausführt. Dennoch wird auf die Sänger große Rücksicht genommen. Man freut sich, Dan Karlström als Mime am dritten Tag wieder zu hören, ebenso Tuomas Pursio als einen Wotan ohne Augenbinde. Ein mächtiger Donner ist Anooshah Golesorkhi und ein blonder hellstimmiger Froh mit Golfschläger Sven Hjörleifsson. Martin Winkler wird als Alberich bekanntlich übel mitgespielt, das Mitleid hält sich aber in Grenzen. Sowohl die Rheintöchter (Woglinde: Magdalena Hinterdobler, Weilgunde: Sandra Maxheimer, Flosshilde: Sandra Fechner) als auch Loge, dem Thomas Mohr alle Verschlagenheit der Welt angedeihen lässt, dürfen mit dieser Kreatur ihre Scherze treiben. Fricka wird zur eleganten Göttergattin durch Kathrin Göring.

Es zerreißt einem das Herz, wenn man sich vorstellt, dass die so sensible Freia (Gabriela Scherer) den beiden Ungetümen Fasolt (Sebastian Pilgram) und Fafner (James Moellenhoff) als Gattin den Haushalt schupfen sollte. Zu den drei anderen Teilen des Rings des Nibelungen käme es gar nicht, gäbe es Erda (Henriette Gödde) nicht, die Wotan rechtzeitig und mit eindrucksvoller Stimme die Leviten liest und ihn überzeugt, das verhängnisvolle Schmuckstück für sein weiteres Bestehen gegen Freia einzutauschen.

Stephan Klemm, James Moellenhoff, Sandra Trattnigg, Karin Lovelius © Tom Schulze

DIE WALKÜRE Die Angst der Götter vor dem Wälsungenblut

Die Walküre Szenenfoto © Tom Schulze

Das loderne musikalische Feuer um die schlafende Brünnhilde

Inzest zeugt Helden, zumindest in Wagners Ring. Sieglinde und Siegmund sind ein Zwillingspaar, das nach der Geburt nicht ganz ohne göttliche Mitwirkung getrennt wurde. Sie wurde in der Zwischenzeit an den groben Hunding vergeben und ist darob unglücklich. Er ist ständig auf der Flucht vor diversen Zeitgenossen, die ihn lieber tot als lebend sehen wollen. Dabei stolpert er in das Haus von Hunding, just einem dieser Feinde. Sieglinde verliebt sich in den Fremden, verabreicht ihrem Gatten ein Schlafmittel und zeugt mit Siegmund den späteren Helden namens Siegfried. Das Erstaunliche daran, zum Zeitpunkt des Beischlafes wissen beide bereits, dass sie Bruder und Schwester sind. Als es am nächsten Tag zum Zweikampf mit Hunding kommen soll, mischen sich die Götter massiv ein. Wotan, der heimliche Vater der beiden, hält natürlich zu Siegmund und setzt seine ebenfalls außereheliche Tochter Brünnhilde zu dessen Schutz ein. Das sieht wieder seine Gemahlin Fricka nicht gern. Sie ist nicht umsonst Hüterin der Ehe und verlangt entschieden als solche von ihrem Gemahl Wotan, dass Siegmund fallen muss.

Grane und Brünnhilde in der Walküre © Tom Schulze

Richard Wagner beweist in dieser Szene ungemein viel Humor. Er lässt die beiden Götter ganz menschlich streiten und den Herrn Wallhalls nach einer Gardinenpredigt einknicken. Die Lebensbeichte des selten treuen Göttergemahls ist eine der aufschlussreichsten Passagen dieser Oper. Wie soll sich Brünnhilde da noch auskennen? Da ihr der Halbbruder Siegmund von Natur aus mehr am Herzen liegt als Hunding, ergreift sie glatt die falsche Partei. Wotan kann nur mehr durch Einsatz seines Vertragsspeeres den Kampf entscheiden. Zu Bruch geht dabei Nothung, das Schwert, das er höchstpersönlich in eine Esche gesteckt hat, aus der es nur Siegmund herausziehen kann.

 

Am Anfang des dritten Akts ist es endlich so weit, die Walküren mit ihrem wilden Ritt über die Bühne toben zu lassen. Die Musik ist bekannt, aber ein ganz besonderes Erlebnis, wenn man sie wie in Leipzig direkt aus dem Orchestergraben in vollem Tutti hört und spürt.

Das Jauchzen der kämpferischen Damen findet umgehend ein Ende, wenn Brünnhilde mit Sieglinde auftaucht und hinter ihr her der zornige Wotan. Er kann zwar nicht schlüssig erklären, warum er so böse ist, aber nach langem Hin und Her verurteilt er Brünnhilde zu einem Schlaf geschützt von Feuerwänden. Daraus kann sie nur ein großer Held erwecken. Abschließend muss Wotan zugeben, dass es um die Macht des unsel´gen Ewigen geschehen ist, wenn das Pfand, das in Sieglinde heranreift, also das Wälsungenblut, ihn einst überwinden wird.

Die Walküre Szenenfoto mit Siegmund, Sieglinde und Hunding © Tom Schulze

Freilich hat Richard Wagner wesentlich mehr und tiefere Weisheit in seinem Ring verpackt, als hier angedeutet werden kann. Die eigentliche Botschaft vermittelt dem Zuhörer weniger der Text mit seinen Alliterationen, die mancherseits respektlos komisch empfunden werden. sondern die Musik, die durch das Anklingen der Leitmotive und deren jeweilige Verarbeitung Gefühle, Stimmungen und Gedanken andeutet. In der Walküre erteilen warme und weiche Akkorde der Blutschande die Absolution und schieben die Schuld auf den Wonnemond, der nicht nur auf Sieglinde unwiderstehlich wirkt. Was für ein derber Lackel dieser Hunding (Randall Jakobsh) ist, machen die rauen Stierhörner klar, mit denen er seine Hunde ruft und die hinter der Szene mit ihrem Staccato erklingen. Die stimmgewaltigen Walküren (Gerhilde: Gabriela Scherer, Ortlinde: Magdalena Hinterdobler, Waltraute: Monica Mascus, Schwertleite: Sandra Fechner, Helmwige: Daniela Köhler, Siegrune: Sandra Maxheimer, Grimgerde: Karin Lovelius, Rossweisse: Sarah Alexandra Hudarew, Grane: Ziv Frenkel) müssen ihren Ritt nicht unbedingt hoch zu Ross absolvieren.

Hier sind sie zu Fuß unterwegs, anstelle von Lanzen Bajonettgewehre schwingend. Unterstützt werden sie vom Ballett, das mit symbolischen Bewegungen dem Zuschauer einmal mehr Rätsel aufgibt. Siegmund ist Simon O´Neill und Sieglinde Simone Schneider, zwei zu Herzen gehende Stimmen, denen man die Emotionen gerne abnimmt, mit denen sie ihr eigenes Unglück und das von Wotan und Brünnhilde (Vladimir Baykov und Christiane Libor setzen sich souverän auch gegen brausende Orchesterklänge durch) heraufbeschwören.

Fricka mit den Widdern in der Walküre © Tom Schulze

SIEGFRIED ohne Respekt vor dem göttlichen Großvater

Siegfried Szenenfoto mit Waldvöglein © Tom Schulze

Eine B-Tuba mit hörbarer Lust an schrecklichen Würmern

„Nur wer das Fürchten nie erfuhr“ kann laut Richard Wagner gegen Ungeheuer und Götter bestehen. Gegen Monster wie den in einen Drachen verwandelten Fafner hat Siegfried sein Schwert Nothung, das er diesem nur ins Herz zu stoßen braucht, um an den Hort zu gelangen. Was die Götter betrifft, so sind diese im dritten Teil des Rings ohnehin bereits ordentlich ramponiert. Ausgerechnet Wotan, der mit seinem Speer die Verträge hütet, hat am öftesten gegen sich selbst verstoßen. Zuerst wollte er die Riesen austricksen, nachdem diese ihm seine Burg gebaut haben, danach mit Loges Hilfe Alberich und zu guter Letzt ist er vor seiner Frau in die Knie gegangen und hat seinen Sohn Siegmund vom betrogenen Ehemann Sieglindes erschlagen lassen. In seiner Not hat er die einzig wirklich Getreue, seine Tochter Brünnhilde in einen Dauerschlaf mit Feuerbewachung versenkt, um sie von einem Helden aufwecken zu lassen. Er weiß, dass es sein Enkelsohn, Siegfried, erledigen wird, ein junger Mann, der ein recht einfältiger Tor ist, über schier übernatürliche Kräfte verfügt und sich vor nichts fürchtet.

Soiegfried mit dem Kuhhorn © Tom Schulze

Darum geht es nun in Siegfried, das mit einem seltsamen Familienidyll beginnt. Der hinterlistige, aber patscherte Mime, der Bruder des Zwergen Alberich, ist der Ziehvater des heranwachsenden Kraftlackels und sieht in diesem die Chance, an Ring, Tarnkappe und Goldschatz zu kommen. Diese Wertgegenstände werden derzeit noch von Fafner als Wurm sicher bewacht. Siegfried seinerseits hält überhaupt nichts von seinem Ernährer, dem er überdies noch beweist, dass er der bessere Schmied ist. Nur er schafft es, die Trümmer von Nothung wieder zu einer optimal funktionierenden Waffe zu schmieden. Dan Karlström als Mime jubelt mit hellem Tenor, erfreulicher Textverständlichkeit und subtiler Komik seine Bosheiten hinaus, die Michael Weinius als Siegfried versteht, weil er vom Drachenblut gekostet hat. Mit seiner überzeugenden Stimme lässt er vergessen, dass er älter als sein Ernährer ist. Wotan, der nun als Wanderer auftritt, ist Simon Neal, eine Erfurcht gebietende Erscheinung mit einem dem Gott würdigen Bariton.

Siegfreid Szenenfoto mit Fafner © Tom Schulze

Der zweite Akt gehört im (Gewandhaus) Orchester (unter Ulf Schirmer) der Kontrabasstuba. Wagner hat diesem Blasinstrument, das er eigens dafür entwickeln ließ, die musikalische Verkörperung des Wurms übertragen. Mit langen, knurrenden, tiefen und vor allem Luft raubenden Tönen windet sich das höllische Untier aus seiner Höhle heraus. Der Bassist Randall Jakobsch gibt dem aus finsterer Grotte auftauchenden Ungeheuer die Singstimme und das Tanzensemble die Gestalt.

Dieser furchtbaren Truppe gegenüber stehen der furchtlose Siegfried und das Waldvöglein, das von Sandra Lommerzheim reizend getanzt und von Bianca Tognocci wahrhaft lieblich gesungen wird. Chapeau auch dem Hornisten, der hinter der Szene mit dem virtuosen Siegfriedsruf den Wurm herauslockt, während Siegfried vorne mit einem Kuhhorn so tut als ob. Mime, dessen schnöder Plan mit dem Schlaftrunk nicht aufgeht, wird übrigens von Siegfried kurzerhand umgebracht. Die Schätze gehören damit dem jungen Helden, der aber noch keine Ahnung hat, was er damit anfangen soll.

 

Es ist nun an der Zeit, die schlafende Walküre zu wecken. Zuvor geht Wotan noch seiner Lieblingsbeschäftigung nach und legt auch Erda, die nicht so weissagen will wie er es sich vorstellt, in einen ewigen Schlaf. Nach all den Erlebnissen, die Siegfried bis dahin furchtlos bestanden hat – unmittelbar zuvor hat er im Vorbeigehen noch Wotans Speer und damit dessen Macht zerschlagen –, erwischt nun auch ihn der Schrecken. Beim Aufschneiden von Brünnhildes Brünne und angesichts eines Busens entdeckt er mit ihm ungewohnten Entsetzen: „Das ist kein Mann!“

Aber er fängt sich schnell und beginnt mit der zu einem jungen Mann und Naturburschen seines Zuschnitts passenden ungestümen Brautwerbung. Anders ergeht es Brünnhilde (Katherine Broderick), die im ersten Moment schockiert ist, nicht mehr mit schützendem Erz gewappnet zu sein. In einem besinnlichen Duett mit Siegfried erarbeitet sie nicht ohne gedankliche Mühen (aber stimmlich überragend) ihre neue Identität, die immerhin von der Kriegerin zur minniglichen Maid zu führen hatte.

Wotan als Wanderer in Siegfried © Tom Schulze

GÖTTERDÄMMERUNG Das brausende Ende von Wallhall und seinen Helden

Götterdämmerung Szenenfoto © Tom Schulze

Wenn die Weltesche zu Brennholz zerkleinert wird…

Richard Wagner hatte offenbar Verständnis für die Vergesslichkeit seines Publikums. So setzt er an den Anfang des letzten Abends ein Vorspiel. Drei stimmgewaltige Nornen (in Leipzig waren es Karin Lovelius, Kathrin Göring und Olena Tokar) geben eine kurze Zusammenfassung des bisherigen Geschehens, während sie an einem Seil flechten, das die Welt zusammenhält und es just auch zerreißen. So gerüstet kann es Richtung Welt- und Götteruntergang gehen, die in der Halle der Gibichungen mit einem bösen Trick seinen Ausgang nehmen. Dort sitzen die Halbbrüder Gunther (Tuomas Pursio) und Hagen (Sebastian Pilgrim) zusammen mit ihrer ebenfalls noch unvermählten Schwester Gutrune (Gabriela Scherer). Der Bösewicht Hagen wurde vom Schwarzalben Alberich (Martin Winkler) gezeugt und ist scharf auf den Ring, geschmiedet aus dem Rheingold und versehen mit zwei wesentlichen Eigenschaften: Erstens verschafft er seinem Träger alle Macht dieser Welt, zweitens aber ist er von einem Fluch belegt, den ihm sein Vater mitgegeben hat.

Gunther und Brünnhilde in der Götterdämmerung © Tom Schulze

Das damit verhängnisvolle Schmuckstück ist beim Abschied Siegfrieds (Thomas Mohr) an Brünnhilde (Iréne Theorin) als Morgengabe übergegangen. Die Rheintöchter (Magdalena Hinterdobler, Sandra Maxheimer, Sandra Fechner) beschwören sie zwar, ihnen den Goldreif zu überlassen, aber wie eine liebende Frau eben reagiert, will sie sich nicht vom Liebesbeweis ihres Mannes trennen. Der Fluch wird umgehend wirksam, und zwar auf eine mehr als grausame Weise. Er führt zum Tod von Siegfried und ihr und schließlich zum Ende der Götter und der Welt.

Die drei Nornen in der Götterdämmerung © Tom Schulze

Schaut man genau hin, wie es zu diesem fatalen Schwindel gekommen ist, entdeckt man im Ring einige ordentliche Ecken, die ihm Wagner höchstpersönlich geschlagen hat. Siegfried gelangt auf der vom Gewandhausorchester unter Ulf Schirmer in den prächtigsten Farben gemalten Rheinfahrt an den Hof von Gunther. Hagen hat vorausschauend bereits einen Zaubertrank bereitstellen lassen, der den neidlichen Gast seine Braut vergessen und die Liebe zu Gutrune erwecken soll.

Der eher schwächliche Gunther ist einverstanden. Er steht es sich nämlich auf Brünnhilde, die zwar alles andere als seine Kragenweite ist, mit der sich aber großartig Staat machen ließe. Man geht kurzerhand zur Sache. Kaum ist Siegfried eingetreten, schluckt der arglose Depp auch schon den Trunk des Vergessens. Sein Gedächtnis ist gründlich gelöscht, denn er lässt sich von Gunther sogar dazu einspannen, in dessen Gestalt (mittels Tarnkappe) den Flammenring zu durchdringen und die kräftige Walküre zu freien. Siegfried entreißt ihr dabei den Ring und steckt ihn unvorsichtigerweise an seinen eigenen Finger. Das Unlogische daran ist bis jetzt kaum noch einem Wagnerfan aufgefallen. Was hat Brünnhilde noch auf ihrem Felsen verloren? Siegfried hat sie doch längst befreit und dabei wohl auch die Flammen gelöscht. In der Götterdämmerung lodern sie aber noch frisch fröhlich, obwohl sie auch die Walküre Waltraute (Karin Lovelius) nicht hindern, zu Brünnhild vorzudringen und ihr mit dramatischem Mezzosopran vom miserabeln Zustand auf Walhall zu berichten. Um die Burg türmen sich die Scheiter der zu Brennholz zerkleinerten Weltesche. Der Lohn für deren Überwinder muss also neuerlich ausbezahlt werden. Brünnhilde sollte nun Gunther heiraten. Der Einwand, dass Siegfried das kriegerische Mädchen nicht entjungfert hat, schlägt fehl.

Der Chor der Oper Leipzig als Krieger von Gunther in der Götterdämmerung © Tom SChulze

Er hat es auch bei seinem zweiten Besuch nicht getan, aus Eidestreue dem Blutsbruder Gunther gegenüber. Deutlich macht er es durch Vorhalten seines Schwertes Nothung. Jetzt kommt das nächste Problem. Brünnhilde merkt trotz deutlicher Anzeichen nicht, dass hier etwas faul ist und der geliebte Siegfried nicht Herr seiner Sinne ist. Die naheliegende Frage wäre, was mit dem armen Kerl passiert ist. Stattdessen lässt sie ihn voller Hass und aus blinder Enttäuschung von Hagen umbringen.

Hätte Wagner seine Personen schlüssig handeln lassen, wäre ihm jedoch die Gelegenheit zu ganz großer Musik verwehrt geblieben. Der Trauermarsch, mit dem der bei der Jagd erstochene Held aus dem deutschen Wald abtransportiert wird, ist in seiner tragischen Intensität eventuell noch mit dem zweiten Satz der Eroica von Ludwig van Beethoven zu vergleichen, sonst aber steht er mit seinen wuchtigen Schicksalsschlägen einzigartig da. Ergreifend ist auch die Klage Brünnhildes am Katafalk (ein weißer Flügel), auf dem Siegfried zur Verbrennung aufgebahrt ist. Sie erkennt ihren Irrtum, überlässt den Rheintöchtern den Ring und geht in den Flammen mit ihrem Geliebten in den Tod.

Regisseurin Rosamund Gilmore hat die bühnentechnischen Herausforderungen des Weltenbrandes und einer Überschwemmung des Rheins toll gelöst. Sie lässt die Säulen der Welt auseinander reißen und zur überirdisch schönen Musik Wagners das Licht (Michael Röger) Lohe und Flut über die Bühne ergießen. Was dann die kleine Figur, die sich vergeblich bemüht, einen Pullover auszuziehen, mitten auf der Bühne verloren hat, wissen wohl nur die Götter dieser rundum beeindruckenden  Dämmerung.

Die dei Rheintöchter und Siegfired in der Götterdämmerung © Tom Schulze

Christiane Libor, Karin Lovelius, Chor der Oper Leipzig © Tom Schulze

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER auf dem Wahnsinns-Geisterschiff

Geisterschiff © Tom Schulze

Mit einem Augenzwinkern lustvolles Pathos oder einfach – Wagner pur

Der Teufel hat ihn auf die Weltmeere verbannt, weil er gar so gotteslästerlich geschworen hat, nicht abzulassen, das Kap der Guten Hoffnung zu umrunden. Die einzige Chance, die ihm in Aussicht gestellt wurde, war recht geschickt formuliert. Alle sieben Jahre darf er an Land gehen. Wenn er dabei eine Frau findet, die ihn so kompromisslos liebt, dass sie mit ihm in den Tod geht, ist der Fluch behoben. Satan hat um die Beschaffenheit von Weibertreue recht gut Bescheid gewusst und war sicher, den bedauernswerten holländischen Kapitän in alle Ewigkeit in seinen Fängen zu haben. Er konnte nicht damit rechnen, dass sich die Tochter eines norwegischen Schiffers bereits so innig in den Verdammten verliebt hat, dass sie auch das gemeinsame Ableben nicht vor dessen Erlösung abschrecken würde. Richard Wagner war von der Geschichte fasziniert und hat daraus eine der mächtigsten Opern der Musikgeschichte geschaffen. Da es sich bei der Sage vom Fliegenden Holländer um einen volkstümlichen Stoff handelt, waren die Popularität dieses Werks vorbestimmt und volle Häuser garantiert.

Randall Jakobsh, Iain Paterson © Tom Schulze

Seit der Uraufführung 1843 stellen der Seesturm, die Liebe von Senta und die gruselige Show der toten Mannschaft des Holländers eine Herausforderung für die besten Regisseure dar. Gleichzeitig erfordern die Solopartien ausgezeichnete Sänger, die sich auch gegen ein üppig besetztes Orchester mit dem typischen Wagner-Sound durchsetzen können. Wenn das alles zusammenpasst, steht einem tief beeindruckenden Opernabend nichts mehr im Wege.

Christiane Libor mit Ensemble © Tom Schulze

Richard Wagner wurde am 22. Mai 1813 in Leipzig geboren. Allein daher hat diese Stadt und ihr Opernhaus eine hohe Verpflichtung, dem Meister gerecht zu werden. Am 30. März 2019 feierte man ebendort die Premiere von „Der Fliegende Holländer“ und schuf eine maßgebliche Produktion, die in ihrem offenen Bekenntnis zur Schauderromantik, aber auch einem damit verbundenen schelmischen Augenzwinkern den berühmten, aber selten erreichten goldenen Mittelweg gefunden hat.

Ulf Schirmer leitet das Leipziger Gewandhausorchester und hat damit einen Klangkörper zur Verfügung, der mit den nicht unkomplizierten Wagnerianischen Kompositionen – man möchte fast sagen – spielerisch fertig wird. Die Abstimmung von dominierend tiefem Blech, Holz und Streichern ist absolut gelungen und lässt keine Wünsche offen. Chor und Zusatzchor der Oper Leipzig stellen das Personal für wuchtige Männerstimmen, die gefährlich hoher See ebenso trotzen, wie die Damen, die an ihren Spinnrädern mit wohligem Gruseln die Sage vom verdammten Kapitän besingen. Senta, die um keinen Preis der Welt das Bild dieses geliebten Mannes aus der Hand geben würde, ist Christiane Libor, ein dramatischer Sopran mit überwältigender Höhe. Das müsste auch der Jägerbursch Erik mitkriegen. Ladislav Elgr mit hübschem Tenor setzt dennoch alles dran, das Mädchen zu gewinnen, vor allem, um es dem ihm verhassten Gespenst abzujagen. Der Steuermann Dan Karlström hat es diesbezüglich weniger schwer. Mit seinem fröhlichen Naturell, einem Geschenk, das er mit dem Südwind gebracht hat, und nicht zuletzt mit seiner strahlenden Stimme, so darf man annehmen, dürfte er es beim anderem Geschlecht wesentlich leichter haben. Dass Mary (Mezzosopran Karin Lovelius) mit einer Augenbinde a la Mosche Dajan ihre Warnungen vor unüberlegter Liebe abgeben muss, birgt ein charmantes, aber ungelöstes Geheimnis.

Iain Paterson © Tom Schulze

Michiel Dijkema hat inszeniert und dabei für eine gewaltige Überraschung gesorgt. Aber zuerst zu den ansprechenden Details: Auf ein Segel projiziert lässt er die Geschichte des Fliegenden Holländers von Heinrich Heine erzählen, der wiederum auf die Memoiren des Herren von Schnabelewopski zurückgreift. Dazu kommen Pottwale mit errigiertem Glied, die wie der Holländer einst vom Meer ausgespuckt wurden, und immer wieder eine altertümliche Ansicht des Innenraums eines Theaters.

Es gibt also ein Menge zum Nachdenken, auch über dieses Seemannsgarn, dem der Regisseur im dritten Akt noch eins draufsetzt. Die Mannschaft des Holländers, die ja an sich schon tot ist, wird zum Fest geladen, bei dem der Steuermann die Wacht halten soll. Irgendwann erheben sich die Zoombies, wanken zurück ins Dunkel und erscheinen mit ihrem Schiff.

Der Applaus war spontan, als brennend rote Segel, zerfetzt von unzähligen Stürmen, ein Schiffsgerippe weit über das Publikum nach vorne trieben. Gänsehaut und Atem anhalten! Es wurde also an nichts gespart, nicht an den Kostümen, die der Entstehungszeit dieser Oper nachempfunden sind (Jula Reindell), nicht an Effekten, die mit der Musik Wagners ein geschlossenes Ganzes ergeben, und nicht an Pathos, das im Augenblick, als der Holländer zu Staub zerfällt, seinen Höhepunkt erreicht.

Der Fliegende Holländer mit seiner toten Mannschaft © Tom Schulze
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