SIMON BOCCANEGRA Make Genova Great Again! – mit Verdis Musik
Der groß besungene Kampf zwischen Patriziern und Plebejern wird in Salzburg Gegenwart
Kann ein Korsar, in diesem Fall Flottenkommandant der Durchlauchtigsten Republik Genua, auch zur hohen Ehre des Dogen aufsteigen? Das Volk, also die Plebejer, angeführt von den Verschwörern Paolo und Pietro, ist durchaus dieser Meinung. Schließlich hat er die Hafenstadt von Piraten befreit. Die Handys glühen, bis ein Twitter-post nach dem anderen die Wahl von Simon Boccanegra bestätigt. „Make Genova Great Again!“ ist am Vorhang mit den Projektionen zu lesen. Während die Menschen draußen jubeln, muss dieser jedoch im Palast des Patriziers Jacobo Fiesco den Tod seiner Geliebten Maria feststellen. Mit dem politischen Aufstieg ist eine herbe persönliche Niederlage verbunden, zumal das Kind der beiden jungen Leute spurlos verschwunden ist. Von nun an regiert der Hass des Fiesco auf den Emporkömmling das teils verwirrende Geschehen, das nach fatalen Verwicklungen mit dem Tod von Boccanegra endet. Die Botschaft des Dogen, der sich immerhin 25 Jahre an der Macht hält, lautete stets Friede und Liebe, geht aber in den Umtrieben seiner Umgebung unter.
Regisseur Andreas Kriegenburg hat aus der historisch nicht näher verorteten Geschichte (Genua im 14. Jahrhundert) also Gegenwart gemacht. Warum soll der Chor dann nicht mit Smart-Phones twittern, um klar zu machen, was sich das Volk gerade denkt?! Nach dem Prolog sind die Telefone ohnehin ziemlich verschwunden und machen einer Bühne Platz, die von Harald B. Thor karg, aber effizient eingerichtet wurde und damit trotz eines schwer erklärbaren Flügels und einem grünen Buschwerk nicht von der Klangwucht der Verdischen Komposition ablenkt. Das Bedrückende der Jetztzeit bleibt auch ohne die elektronischen Spielereien der Social Media erhalten. Dazu tragen nicht zuletzt die Kostüme (Tanja Hofmann) bei, die Amelia Grimaldi, eigentlich Maria und Tochter von Boccanegra, mit einem hellblauen Kleid als die einzig wahre Gute in die Handlung einführen.
Der Doge selbst ist mit einem weinroten Anzug gewandet. Die finsteren Gestalten wie Paolo, der Emporkömmling Pietro und der am Ende bekehrte Gabriele Adorno hingegen erscheinen im elegant lockeren Schwarz bzw. Dunkelblau modebewusster Manager. Ähnlich zeitgemäß gekleidet sind die von Ernst Raffelsberger bestens einstudierten Damen und Herrn des Wiener Staatsopernchors, der nicht nur großartig singt, sondern als Volk von Genua zum exakt choreographierten Bestandteil der Szenerie wird.
Wenn die Wiener Philharmoniker unter Valery Gergiev aufspielen, dann beginnt die Musik von Giuseppe Verdi ganz von selbst zu glänzen. Allein die nicht selten als unbedeutend erachtete Begleitung der Sänger wird zum Hörgenuss, mit dem man sich in den fein auskomponierten Details im Orchester zu gerne verliert. Dass dabei das Mitlesen der Textübersetzung über der Bühne leidet, ist das geringste Problem. Wer kann schon so gut Italienisch, um den Sängern sprachlich folgen zu können?! Man bekommt jedoch allein vom Ausdruck der durchwegs großen Stimmen so viel mit, um zu wissen, wer gerade wen um die Ecke zu bringen versucht und wohin eine solche Politik zu führen imstande ist. André Heyboer ist ein sicherer Bariton, der nicht die geringste Scheu hat, sich als Fiesling Paolo Albiani zu präsentieren und dem Dogen Gift ins Wasser zu schütten.
Auch der aus dem Volk emporgekommene Pietro ist mit Antonio Di Matteo ein ganz im Gegensatz zu seiner Rolle erfreulicher Bariton. René Pape als Fiesco ist mit der Macht seines Basses die dunkle Verkörperung der tödlichen Unversöhnlichkeit und bricht erst in Tränen aus, als er seine Enkeltochter wieder findet und erkennt, was seine Standesdünkel und der Hass Boccanegra gegenüber angerichtet haben. Charles Castronovo ist mit seinem strahlenden Tenor der geborene Liebhaber, dem letztendlich auch der Doge verzeihen kann. Bariton Luca Salsi ist der stimmgewaltige Ausdruck eines wohlmeinenden Mächtigen. Der Augenblick, in dem er seine Tochter erkennt, gehört zum Berührendsten dieser Inszenierung. Man spürt die lang entsagte Liebe ihr gegenüber und die Wehmut über ihre zu früh verstorbene Mutter. Sopran Marina Rebeka ist auch eine Amelia, die man einfach lieb haben muss, nicht nur wegen der warmherzig und mitreißend gesungenen Arie „Come in quest’ora bruna“, in der sie wehmütig von einer dämmrigen Stunde schwärmt, in der sich die Sterne und das Meer zulächeln.