Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Wiener Blut, Chor der Bühne Baden © Christian Husar/Bühne Baden

Wiener Blut, Chor der Bühne Baden © Christian Husar/Bühne Baden

WIENER BLUT Die Mär vom spritzig leichten Lebenssaft

Beppo Binder, Verena Barth-Jurca © Christian Husar/Bühne Baden

Beppo Binder, Verena Barth-Jurca © Christian Husar/Bühne Baden

Mit Polka und Walzer in die freie Liebe singen und tanzen, und das anno 1815!

Als es darum ging, eine Kompilation aus Melodien von Johann Strauß Sohn zu einer Operette zu formen, fanden die Librettisten Victor Léon und Leo Stein im tanzenden Wiener Kongress die idealen Voraussetzungen, der angeblich unbeschwerten Lebensfreude der Gastgeber einen Namen zu geben. Es war das Wiener Blut, dem der Komponist in op. 354 bereits einen Konzertwalzer gewidmet hatte. Der 74-jährige Strauß selbst, bereits zu müde, ein neues Bühnenwerk zu schaffen, gab dem Kapellmeister des Theaters an der Wien, Adolf Müller jun., seinen Segen, Passendes aus einer Vielzahl seiner Kompositionen als Melodien über einer dem Auftrag der Leichtigkeit geschuldeten Handlung zu verwenden und mit singbaren Texten versehen zu lassen. Strauß selbst erlebte die Uraufführung am 26. Oktober 1899 nicht mehr, aber auch nicht das damit verbundene Fiasko, den dieser allseitige Blick zurück in der Kassa des Theaters hinterlassen hatte.

Franz Frickel, Clemens Kerschbaumer, Sieglinde Feldhofer, Verena Barth-Jurca, Ensemble © C.H.

Franz Frickel, Clemens Kerschbaumer, Sieglinde Feldhofer, Verena Barth-Jurca, Ensemble © Christian Husar / Bühne Baden

Beppo Binder, Andy Lee Lang © Christian Husar/Bühne Baden

Beppo Binder, Andy Lee Lang © Christian Husar/Bühne Baden

Letztlich hat „Wiener Blut“ doch die Bühnen erobert. So ist auch in Baden eine erfolgreiche Premiere am 4. August 2024 zu verzeichnen, vom Hausherren Michael Lakner genauso inszeniert, wie man sich das einstige Aufeinandertreffen von Gästen beispielsweise aus Sachsen und eingeborenen Wienern in amourösen Angelegenheiten vorstellen mag (mit einer praktisch hübschen Bühne von Erich Uiberlacker und stimmigen Kostümen von Friederike Friedrich).

Ein Fürst von Ypsheim-Gindelbach, Premierminister von Reuß-Schleiz-Greiz, muss sächseln. Franz Frickel kann es auch und darf sich wundern, dass sein Gesandter Balduin Graf Zedlau (Clemens Kerschbaumer) mittlerweile Wienerisch beherrscht. Der junge Mann ist schließlich mit der Wienerin Gabriele (sehr elegant: Sieglinde Feldhofer) verheiratet und versucht mit ihrem Vorwurf, ein Langeweiler zu sein, insofern fertig zu werden, dass er sich in diverse Affären stürzt. In seiner Villa logiert bereits die selbstbewusste Tänzerin Franziska Cagliari (Nicole Lubinger), sein Interesse erweckt aber auch die Probiermamsell Pepi Pleiniger (Verena Barth-Jurca als Temperamentsbündel). In den Adern dieser Damen fließt und kocht das Wiener Blut, das ihrem Umgang mit den blaublütigen Verehrern sehenswerten Schwung verleiht. Ein dadurch ausgelöstes Gspusi-Chaos lässt den Kammerdiener des Grafen verzweifeln. Beppo Binder als Josef und Bräutigam von Pepi bleibt trotz erstaunlich umgangreicher Gesangseinlagen meist nichts anderes übrig als die Resignation: „I sag´s, wia´s is!“

Franz Frickel, Mario Fancovic © Christian Husar/Bühne Baden

Franz Frickel, Mario Fancovic © Christian Husar/Bühne Baden

Um die Verwirrung zu komplettieren, gibt es auch noch den Ringelspielbesitzer Kagler, der sich um die Moral seiner Tochter Franziska kümmert. Mit Andy Lee Lang wurde aus dem in der Handlung vorgesehenen Klarinettisten ein für 1815 erstaunllich visionärer Klavierspieler.

Nach ein paar Tönen klassischen Walzers erfährt man umgehend, wie sich das in 150 Jahren auf dem Piano anhören wird, nämlich als mitreißender Rock-´n´-Roll, der einen Sonderapplaus verdient hat. Andy Lee Lang kann aber auch Wiener Lieder singen, mit dem Akkordeonisten Christian Höller, und nicht zuletzt als Komiker unbändige Freude an seinem Auftritt über die Rampe bringen. Solcherlei Begeisterung steckt an, nicht zuletzt das Ballett und den Chor der Bühne Baden, die solide und voll klingend vom Orchester unter Michael Zehetner begleitet werden.

Verena Barth-Jurca, Ensemble © Christian Husar, Bühne Baden

Verena Barth-Jurca, Ensemble © Christian Husar, Bühne Baden

Die Csárdásfürstin, Ensemble © Christian Husar/BuehneBaden

Die Csárdásfürstin, Ensemble © Christian Husar/BuehneBaden

DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN Das jüdische Erbe der silbernen Operette

Iurie Ciobanu, Tania Golden, Alma Sadé, Ensemble © Christian Husar/BuehneBaden

Iurie Ciobanu, Tania Golden, Alma Sadé, Ensemble © Christian Husar/BuehneBaden

A jiddisches Festl beim Life Ball im Budapester Orpheum

Die beiden Librettisten Leo Stein und Bela Jenbach waren wie der Komponist Emmerich Kálmán Juden. Engagierte Jüdin ist auch Ruth Brauer-Kvam. Damit ist klar, dass ihre Inszenierung der Operette „Die Csárdásfürstin“ für die Bühne Baden diesbezüglich einen deutlichen Einschlag erhält. Die Varietésängerin des Budapester Orpheums Sylva Varescu (hinreißend emotional gesungen von Alma Sadé) ist damit ebenfalls Jüdin, in die sich Edwin Ronald von und zu Lippert-Weylersheim (ein überzeugender Tenor: Iurie Ciobanu) verliebt hat. Abgesehen davon, dass er ein Goi und damit für eine Jüdin an sich tabu ist, stammt er aus großem Haus, was die Angebetete für ihn wiederum unmöglich macht. Dass die beiden Ehehindernisse am Ende doch erfolgreich beseitigt werden, ist das Verdienst von Feri von Kerekes. Der gute Mann ist ebenfalls jüdischen Geblüts und in Baden dazu eine Frau (Tania Golden mit Schnurrbart und ungarischem Akzent), die als Conférencier in ihrem Orpheum die Gäste – in ihrer queeren Erscheinung erinnern sie an den Life Ball – mit jüdischen Witzen unterhält. Anstelle des üblichen Primas leitet Sándor Jávorkai mit seiner virtuos gespielten Geige eine Klezmer Band. Kurz gesagt, man ist auf ein jiddisches Festl eingeladen und dürfte auch ohne bestimmte Konfession, einfach als Mensch, willkommen sein.

Verena Scheitz, Oliver Baier, Ensemble © Christian Husar/BuehneBaden

Verena Scheitz, Oliver Baier, Ensemble © Christian Husar/BuehneBaden

Anna Overbeck, Ricardo Frenzel Baudisch © Christian Husar/BuehneBaden

Anna Overbeck, Ricardo Frenzel Baudisch © Christian Husar/BuehneBaden

Mit der absolut ohrgängigen Musik von Emmerich Kálmán aus dem Orchestergraben, einem sattelfesten Chor und einer temperamentvollen Choreographie auf einer geschickt ausgestatteten Bühne wird aus dem Liebesdrama eine schwungvolle Revue, die vom Premierenpublikum begeistert gefeiert wurde. Es sollte eigentlich keine Probleme geben, wäre da nicht eine (unnötige) Zeitverschiebung. 1915, also im Ersten Weltkrieg, wurde „Die Csárdásfürstin“ uraufgeführt. Damals gab es noch die Aristokratie mit ihrem Standesdünkel und Juden waren trotz teils enormer Vermögen und kultureller Großtaten in der Monarchie eher scheel angesehene Mitbürger. Es hätte alles so wunderbar gepasst. Aber Ruth Brauer-Kvam hat das Ganze in das Jahr 1934 versetzt.

Offenbar wollte sie die Judenfrage angesichts des (damals) wachsenden Antisemitismus´ verschärfen. – allerdings ein historisch sehr problematischer Eingriff. Abgesehen davon, dass in diesem Jahr die Heimwehr mit dem Schutzbund einen blutigen Bürgerkrieg ausgefochten hat und die verarmte Bevölkerung wahrhaft andere Sorgen als eine solche Liaison hatte, ist seit 1919 das Führen von Adelstiteln in Österreich verboten. Trotzdem wirbt der junge Graf Boni Kancsianu (ein akrobatischer Ricardo Frenzel Baudisch) um die hübsche Komtesse Stasi (eine flotte junge Frau mit toller Stimme: Anna Overbeck). Ebenso wenig dürfte es Edwins Eltern, Fürstin Anthilde von und zu Lippert-Weylersheim und deren p.t. Gemahl Leopold Maria, geben. Aber wenn sie schon einmal da sind, sollte man sich an ihnen auch erfreuen. Verena Scheitz ist die von der „roten Hilda“ zu hochadeliger Würde hinauf geheiratete Provinzprimadonna, die mit einem würdevollen, wenngleich sich harthörig gebenden Oliver Baier der seltsamen Geschichte in gekonnt komischer Manier ein Happy End ermöglicht.

Ricardo Frenzel Baudisch, Florian Stohr © Christian Husar/BuehneBaden

Ricardo Frenzel Baudisch, Florian Stohr © Christian Husar/BuehneBaden

Sommerarena in Baden

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