Kultur und Weindas beschauliche MagazinMasayu Kimoto, Hyo-Jung Kang, Brendan Saye, Ensemble © Ashley Taylor THE WINTER´S TALE als märchenhafte Verführung zum Träumen
William Shakespeare hat in seinen späten Jahren einen in der Antike angesiedelten Roman von Robert Greene zu einer Romanze umgearbeitet. „The Winters Tale“ hat nichts mit der kalten Jahreszeit zu tun, es geht darin eher um die Herzenskälte zweier Könige. Sie sind ursprünglich Jugendfreunde, werden aber durch die Eifersucht des einen entzweit und finden einander erst wieder, nachdem sie im jeweiligen Wahn durch Grausamkeiten ihre Liebsten beinahe verloren hätten. Das Märlein erzählt von einer zu Unrecht des Ehebruchs verdächtigten Königin und von deren Tochter, die im Land des anderen Königs ausgesetzt wird. Sie wächst bei einem Schäfer auf, erweckt aber die Liebe des dortigen Prinzen und muss mit ihm vor den lebensbedrohlichen Standesdünkel seines Vaters flüchten. Aufklärung und Happy End bringt ein Halsband, das einst dem Baby mitgegeben wurde. Handlungsstätten dieser so wunderbar moralisierenden Geschichte sind Sizilien und ein am Meeresgestade liegendes Böhmen; verbunden durch eine flott zu bewältigende Schiffsstraße. Der englische Choreograph Christopher Wheeldon erkannte in diesem eher selten aufgeführten Theaterstück die einmalige Möglichkeit für einen großen Ballettabend. Es sind fehlgeleitete Leidenschaften und mächtige positive Emotionen, hier ein Königshof und dort die pastorale Umgebung eines tanzfreudigen Volkes, die den optimalen Einsatz eines Ballettensembles und dessen Solisten ermöglichen. Die Musik dazu stammt vom britischen Komponisten Joby Talbot. Das Orchester schafft darin ein opulentes Klanggemälde, das die Handlung wahrhaft anschaulich begleitet. Dank häufig eingesetzter Pantomimen wähnt man sich streckenweise in der Stummfilmzeit, in der lediglich die Texteinblendungen fehlen. Stattdessen gibt es ein wirksames Szenario, gemeinsam entwickelt von Wheeldon und Joby. Videos und grandiose Lichtführung von Natasha Katz, (Projection Design: Daniel Brodie, Silk Effects Design: Basil Twist) zaubern düstere Landschaften, Schifffahrten und sogar einen gefräßigen Bären auf den Hintergrund. Die ländliche Szene vor einem malerisch hohlen Baum erhielt bei der Wiener Premiere sogar einen Sonderapplaus (Bühne & Kostüme: Bob Crowley).
Christoph Koncz stand am 19. November 2024 (Premiere) am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper und verband mit klarem Schlag das vielschichtige Geschehen zu einem – ohne Übertreibung – Gesamtkunstwerk. Das Wiener Staatsballett war mit seinen Damen und Herren der am Ende groß bejubelte Hauptdarsteller. Brendan Saye lässt als Leontes, König von Sizilien, in der Eifersuchtsszene mit faszinierend aggressiven Schrittfolgen keinen Zweifel an seinem Zorn aufkommen, der sich völlig zu Unrecht gegen seine schwangere Gattin Hermione (Hyo-Jung Kang) richtet. Er bessert sich nichteinmal, als m Zuge der Auseinandersetzungen sein Sohn Mamillius (ein großes Talent aus dem Ballettnachwuchs: Julius Urga) verstirbt. Masayu Kimoto verleiht dem böhmischen König Polixenes eine Bösartigkeit, die ihn sogar seinen Sohn töten ließe, weil der ganz unstandesgemäß mit einem Hirtenmädchen verbandelt ist. Doch Davide Dato hält als gefühlvoller Prinz Florizel eisern zu seiner liebreizenden Braut (Ionna Avraam), die sich ja schließlich als Prinzessin Perdita herausstellt. Seinen großen Auftritt hat das Ensemble, wenn es zur Wahl der Maienkönigin ausgelassen und scheinbar unermüdlich in einem wilden Reigen über den rustikalen Festplatz wirbelt, angefeuert von einer mit Trommeln, Akkordeon und Flöte besetzten „Tanzkapelle“ der Bühnenmusik der Wiener Staatsoper. Zu erleben ist also ein neuer Shakespeare als Ballettvorlage, der in dieser grandiosen Aufmachung durchaus in die Reihe der Klassiker einzuordnen ist. Jeunehomme, Ensemble © Ashley Taylor LES SYLPHIDES Ein Abend voller Tanzträume
Frédéric Chopin ist eher eine Angelegenheit für Pianisten. Dennoch hat Benjamin Britten einige seiner Klavierkompositionen für großes Orchester bearbeitet. Prélude op. 28/7, Nocturne op. 32/2, Valse op. 70/1, Mazurka op. 33/2 und 33/3, Valse op. 64/2 und Grande Valse brillante op. 18 dienen somit dem Wiener Staatsballett als volltönende Kulisse für „Les Sylphides“, das 1909(!) in der Choreographie von Michel Fokine (1880-1942) in Paris Premiere feierte. Brittens Orchestrierung aus 1941 galt lange als verschollen. Sie wurde nun mit einer Rekonstruktion von Fokines Tanzanweisungen zusammengeführt. Ido Arad stand am Pult des Volksopernorchesters und überraschte mit einer Interpretation, die ungewöhnlich getragen das klassische Erscheinungsbild der Tänzer unterstreicht. Das Corps de ballet besteht ausschließlich aus Frauen in weißen unterknielangen Tutus. Deren Aufgabe beschränkt sich zumeist darin, den Solistinnen und einzigen Solisten einen reizvollen statischen Rahmen zu bieten. Damit herrscht durchgehend molto tranquilo, das auch von einigen etwas lebhafteren Tempi nicht gestört wird.
Ganz anders präsentierte sich „Eden“, eine Arbeit der jungen Adi Hanan, die selbst Mitglied des Wiener Staatsballetts ist. Eine Sammlung von bunten Ideen versucht eine Erklärung dafür zu geben, wie Mann und Frau im Paradies nebeneinander lebten, um mit dem Genuss der verbotenen Frucht zueinander zu finden. Vier Frauen und vier Männer interpretieren den ersten Satz aus dem Streichquartett Nr. 14 d-Moll D 810 „Der Tod und das Mädchen“ von Franz Schubert. Ihre Bewegungen, die über weite Strecken an moderne Dance Perfomances erinnern, drehen sich um ein in einer geheimnisvollen Hülle verstecktes Paar. Eine Wächterin des Gartens erlöst die beiden schließlich aus ihrem elastischen Gefängnis. Damit ist der Weg für Claudine Schoch und Marcos Menha frei, zu den besinnlichen Klängen von „Spiegel im Spiegel“ für Violine (Anne Harvey-Nagl) und Klavier (Chie Ishimoto) von Arvo Pärt die Sexualität zu entdecken und in fühlbarer Weise ungemein sinnlich umzusetzen.
„Jeunehomme“ ist der frühere Name des Konzerts Nr. 9 für Klavier (am Flügel: Johannes Pirto) Es-Dur KV 271 und Orchester von Wolfgang Amadé Mozart. Im ersten Satz, dem Allegro, ist es Davide Dato, der mit seinem Körper musiziert, anders kann man dazu nicht sagen, wenn er die Klänge in atemberaubende Schrittfolgen und Sprünge umsetzt und dabei mit der Musik so in eins verschmilzt, dass man die Noten der Partitur daraus zu lesen glaubt. Ähnlich faszinierend schaffen es Ioanna Avraam und Marcos Menha in einem grandiosen Pas de deux im Andantino des zweiten Satzes. Der dritte Satz besteht aus Rondo, Presto – Menuetto cantabile und lässt neben Kiyoka Hashimoto mit Alexey Popov und dem Quartett Sveva Gargiulo, Aleksandra Liashenko, Gaia Fredianelle und Sinthia Liz das Ensemble in fantastischen Konstellationen – und vor allem in den Kostümen, wie sie einst (1986) der legendäre Modeschöpfer Karl Lagerfeld für die Choreographie von Uwe Scholz entworfen hat – diesen Mozart auf eine völlig neue, wunderbare Weise erleben. Wiener Staatsballett, Ensemble © Ashley Taylor DIE KAMELIENDAME eingehüllt in den Plüsch Frédéric Chopins
Alexandre Dumas d.J. hat mit dem Roman „La dame aux camélias“ die Franzosen am Herzen gerührt und einen gewaltigen Erfolg gefeiert. Giuseppe Verdi hat unter dem Titel „La traviata“ eine der meist gespielten Opern komponiert und viele Jahre später John Neumeier mit seiner Choreographie von „Die Kameliendame“ dasselbe Thema kongenial für das Ballett umgesetzt. Seine Inszenierung wurde von Jürgen Rose mit einem gleichermaßen stimmungsvollen wie praktischen Bühnenbild und romantischen Kostümen ergänzt. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein Buch, das Tagebuch von Marguerite Gautier, einer der begehrtesten Kurtisanen von Paris. Im Rahmen einer Auktion wird die luxuriöse Einrichtung ihres Apartments versteigert. Neben Monsieur Duval erscheint auch dessen Sohn Armand, der von seinen Erinnerungen überwältigt zusammenbricht.
Ausgehend von diesem Prolog wird die süß-schmerzliche Handlung nun vom Wiener Staatsballett erzählt. Es ist angeraten, sich jeweils mit dem Inhalt der drei Akte im Programmheft vertraut zu machen. Dank der klaren Inszenierung werden jedoch die einzelnen Szenen auch ohne das detaillierte Wissen nachvollziehbar. Im buntbewegten Wechsel von Corps de ballett und Solisten taucht man genussvoll in die leichtlebige Gesellschaft von Paris ein, bis ein Hustenanfall der Lebedame Marguerite auf den Ernst der Lage hinweist und Schlimmes schwanen lässt. Bei der Premiere am 24. März 2024 wurde Ketevan Papava zu Marguerite Gautier. Anfangs hängt an ihr noch Géraud Wielick als Graf N., der allerdings mit einer klatschenden Ohrfeige abserviert wird. Armand Duval (Timoor Afshar) hat mit seiner Sorge für die kränkelnde Dame schließlich deren Herz gewonnen. Marguerite kann sich vom hektischen Treiben der Bälle und der Zudringlichkeit ihrer Verehrer lösen. Sie zieht auf ein Landgut, das ihr ein Herzog (Rashaen Arts) zu Erholungszwecken zur Verfügung stellt. Dort trifft sie sich mit Armand und nach heftigen Auseinandersetzungen mit dem Besitzer leben die beiden für kurze Zeit eine Idylle. Stocksteif erscheint Monsieur Duval (Eno Peçi), um seinen Sohn aus den Fängen dieser Hure zu lösen. Sie kehrt zu ihren Ausschweifungen zurück, um nach einem kurzen Aufflackern ihrer Lebenslust einsam zu sterben. Timoor Afshar, Ketevan Papava © Ashley Taylor Als zweite Ebene wurde das Ballett „Manon Lescaut“ eingebaut. Es begleitet Marguerite wie ein Kommentar zu ihrem eigenen Leben und vermischt sich immer wieder in ihrer phantastischer werdenden Vorstellung mit der sie umgebenden Realität. Die stärksten Momente sind der berührende Pas de deux, in dem Marguerite und Armand einander in einem Liebesakt begegnen, und das Solo von Timoor Afshar, in dem er sein gesamtes Können in wilde Verzweiflung umsetzt. Die Musik dazu stammt von Frédéric Chopin, dem idealen Komponisten für gewaltige Emotionen und melancholischen Ausdruck, immer abgefedert von weichem Plüsch in Harmonie und Melodien. An den Klavieren sitzen Michał Białk (im Graben) und Igor Zapravdin, der an einem Flügel auf der Bühne zum fröhlichen Tanz aufspielt. Am Pult steht Markus Lehtinen, der Teile der beiden Konzerte und weitere Stücke für Klavier und Orchester mit dem Orchester der Wiener Staatsoper begleitet und damit diesen Chopin-Ballett-Abend musikalisch zu einem Erlebnis der Sonderklasse ergänzt. Elena Tschernischova, Giselle, Ensemble © Ashley Taylor GISELLE und ihr fast zu Tod getanzter Liebhaber
Eine düstere (deutsche) Sage um enttäuschte Liebe und den gespenstischen Willis hat die Franzosen Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges und Théophile Gautier zu einem Libretto inspiriert, das von Adolphe Adam vertont und von Jules Perrot und Jean Coralli erstmals in eine Choreographie umgesetzt wurde (Uraufführung in Paris am 28. Juni 1841). Vom ersten Moment an geht es darin um das Tanzen. Man sollte meinen, eh klar bei einem Ballett. Hier trägt die Bewegung zur Musik jedoch die Handlung und stellt sich als ein Vergnügen heraus, das auch tödlich sein kann; für die tanzwütigen Franzosen tatsächlich ein schwer nachvollziehbarer Umstand. Aufgeschrieben hatte den Stoff ursprünglich Heinrich Heine. Darin wird erzählt, dass bei jungen Frauen, die vor ihrer Hochzeit gestorben sind, in den von treulosen Geliebten gebrochenen Herzen die Tanzlust weiter schlägt. Als Willis steigen sie des Nachts aus ihren Gräbern, um an Wegkreuzungen zu tanzen und zufällig anwesende Männer so lange wild mit sich zu drehen, bis diese vor Erschöpfung tot umfallen. Das Bauernmädchen Giselle, sensibel und vom Tanzen besessen, wurde eine von ihnen, da ein inkognito erschienener Herzog, nachdem er ihr seine Liebe geschworen hatte, bei Erscheinen seiner Braut nichts mehr davon wissen wollte. In der Wiener Staatsoper kehrte das Ballett „Giselle“ in der Choreographie und Inszenierung von Elena Tschernischova (1939-2015) mit der 90. Aufführung auf die Bühne zurück. Allein das romantisch realistisch gemalte Bühnenbild (Ingolf Bruun) holt das Publikum in die entsprechende Stimmung, das vom „genre villageois“ mit ausgelassenen Tänzen der Landbevölkerung zu den Gräbern im nächtlichen Wald, bevölkert von bleichen tanzwütigen Geistwesen, mitgerissen wird. Wolfgang Heinz am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper lässt die Farben des französischen Komponisten Adam leuchten und damit die Musik zu einer weiteren Erzählerin werden.
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