Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


brahms-schönberg quartet, Ensemble © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor © Balanchine Trust

brahms-schönberg quartet, Ketevan Papava, Alexey Popov, Ensemble © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor © Balanchine Trust

SHIFTING SYMMETRIES Triple Bill meisterlicher Choreographien

brahms-schönberg quartet, Ensemble © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor © Balanchine Trust

brahms-schönberg quartet, Davide Dato, Liudmila Konovalova, Ensemble © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor © Balanchine Trust

Drei Möglichkeiten, sich der abstrakten Idee eines Balletts anzunähern

Triple Bill ist eine Rechnung, auf die im Fall von SHIFTING SYMMETRIES Genießer von besonderem Ballett kommen. Im Rahmen eines Abends werden drei legendäre Meister mit ihren Werken zu einem Triptychon des Tanzes vereinigt. Als Klammer über den drei inhaltlich und stilistisch grundverschiedenen „Bildern“ steht das konsequente Zupacken in revolutionärer Auseinandersetzung mit der Kunstform Ballett, wie sie Hans van Manen, William Forsythe und George Balanchine in jeweils einem ihrer Schlüsselwerke vorgegeben haben. Dazu kommen im ersten und dritten Teil das Orchester der Wiener Staatsoper unter Matthew Rowe und dazwischen elektronische Klänge von Thom Williams, eingerichtet von Leslie Stuck.

Hans van Manen, concertante, Ensemble ©  Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Hans van Manen, concertante, Ensemble © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Drei goldene Kirschen, die unerreichbar hoch über der Bühne hängen, geben den Fluchtpunkt der Bewegungen an. Das ist das Grundschema von „in the middle, somewhat elevated“, in dem William Forsythe seine unkonventionellen Vorstellungen von Ballett umgesetzt hat. Kreiert wurde es 1987 im Auftrag von Rudolf Nurejew für das Ballet de L´Opéra de Paris. Getrieben von harten Rhythmen zwischen wuchtigen Hieben des Basses setzt das sportlich gekleidete Ensemble ein performatives Ereignis um, das mit (vergeblichem) Streben nach oben zwischen blitzartiger Bewegung und stroboskopisch anmutendem Stillstand fasziniert.

Davide Dato, Hyo-Jung Kang © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

in the middle, somewhat elevated, Davide Dato, Hyo-Jung Kang © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Kiyoka Hashimoto, Brendan Saye © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

in the middle, somewhat elevated, Kiyoka Hashimoto, Brendan Saye © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Wolkig schwerelos wirbelt das Corps de Ballet im „brahms-schoenberg quartet“ über die Bühne. Die Hommage an Marius Petiba stammt aus 1966. Georges Balanchine kreierte Miniaturballette für insgesamt 55 Tänzer (in fantasievollen, zum jeweiligen Thema passenden Kostümen) und Tänzerinnen (in hauchfeinen Tutus), die mit wundervoller Eleganz durch die einzelnen Sätze dieser romantischen Komposition schweben. Es sich dabei um das Klavierquartett g-Moll op. 25 von Johannes Brahms, das 1937 von Arnold Schönberg zu einer prächtigen Orchesterfassung (harmonisch auf der Tonika beruhend) instrumentiert und von ihm stolz zur „Fünften Symphonie“ von Brahms ernannt wurde. Einen emotionalen Höhepunkt schafft der letzte Satz. Das Rondo alla Zingarese steigert sich, wie es sich für ungarische Tänze gehört, vom melancholischen Largo zum feurigen Presto des Csárdás, in dem in folkloristischer Tracht Ketevan Papava und Alexey Popov die Seele dieser Musik mitreißend sichtbar zu machen verstehen.

Daniel Vizcayo © Ashley Taylor

Daniel Vizcayo © Ashley Taylor

LA FILLE MAL GARDÉE Entzückend komisch und romantisch

Sonia Dvořák, Herrenensemble © Ashley Taylor

Sonia Dvořák, Herrenensemble © Ashley Taylor

Ballett in der kostbaren Choreographie von Frederick Ashton

Nach dem Vorspiel mit Blick auf eine freundlich ländliche Gegend ist zuerst einmal der Hahn am Wort. Kristián Pokorný schüttelt sein morgendlich verdrücktes Gefieder zurecht und weckt seine vier Hennen (Giulia Cacciatori, Nina Cagnin, Marie Ryba und Carolin Sachernegg). Das Krähen besorgt das Orchester der Wiener Staatsoper unter Guillermo Garcia Calvo mit den musikalischen Einfällen des französischen Komponisten Ferdinand Hérold (1791-1833). Schauplatz ist ein Bauernhof, aufgebaut von Osbert Lancaster. Geführt wird das Gut, so will es das Libretto nach Jean Dauberval (1742-1806), von Simone, einer Witwe (in alter Tradition getanzt von einem Mann: François-Eloi Lavignac), die neben ihrer Arbeit alle Hände voll damit zu tun hat, ihre Tochter Lise auf dem Pfad der Tugend zu halten. Das junge Ding ist, wie sollte es bei einem so hübschen Mädchen wie Sonia Dvořák anders sein, verliebt. Der Auserwählte ist der junge Bauer Colas (Géraud Wielick), ein strammer Bursch, der sich von der Alten nicht so leicht vertreiben lässt. Lise ist jedoch Alain, dem Sohn des reichen Winzers Thomas (Igor Milos) versprochen.

Kristián Pokorný © Ashley Taylor

Kristián Pokorný © Ashley Taylor

Der Bräutigam ist jedoch dank der umwerfenden Komik seines Darstellers Daniel Vizcayo in keinem Moment ein ernster Konkurrent; er ist patschert, schreckhaft und ohne seinen roten Regenschirm hilflos. Dagegen sind auch Zsolt Török und Javier Gonzáles Cabrera als Dorfnotar und Gehilfe machtlos.

Géraud Wielick, Sonia Dvořák © Ashley Taylor

Géraud Wielick, Sonia Dvořák © Ashley Taylor

Dieses bezaubernde G´schichtl erzählt uns das oft und oft aufgeführte „La Fille mal gardée“ (das schlecht bewachte Mächen). Mit seiner Entstehung Ende des 18. Jahrhunderts ist es eines der ältesten Ballette im modernen Repertoire. Als Inspiration hat ein zeitgenössisches Gemälde von Pierre-Antoine Baudouin gedient. Es zeigt die mit der Tochter keifende Mutter, während sich im Dunkel dahinter ein junger Mann still und leise verdrückt. Das Stück enthält alles, um auch am 12. Dezember 2022 das Publikum der Wiener Staatsoper zu fesseln. Das Ensemble des Wiener Staatsballetts stellt als Corps de Ballett in gewohnter Perfektion Erntehelfer und Scharen junger Leute, die allein durch ihre betriebsame Anwesenheit ein Schaugenuss sind. Dazu kommen virtuose Soloauftritte von Lise und Colas, Pas de deux mit grandiosen Hebefiguren und als besondere Einlage ein Holzschuhtanz, oder besser eine Steppnummer von Simone. Allzugern lässt man sich von dieser Musik und dem Tanz einhüllen und die Zeit vergessen, schmunzelt über so manchen Gag und freut sich am Ende wie ein Kind, wenn die große Liebe gewonnen hat.

Yuko Kato, Daniel Vizcayo © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Yuko Kato, Daniel Vizcayo © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

DORNRÖSCHEN Der Choreograph als braver Märchenonkel

Claudine Schoch, Hyo-Jung Kang © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Claudine Schoch, Hyo-Jung Kang © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Martin Schläpfers Respekt vor der schlafenden Schönheit Tschaikowskys

Bei einem Ballett wie Dornröschen sind die Zuschauer auf etlichen Ebenen gefordert. Man kennt vielleicht das Märchen „The sleeping beauty“, das sich von der Fassung der Brüder Grimm in etlichen Punkten unterscheidet, weiß damit um den Inhalt und bei einiger Vorbereitung auch um die einzelnen Stationen, die vom Librettisten Iwan Alexandrowitsch dem Komponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowsky vorgelegt wurden. Dennoch müssen Kulissen, Kostüme und der Tanz so weit Klarheit bringen, dass die Worte ersetzt werden. Martin Schläpfer, Direktor und Chefchoreograph des Wiener Staatsballetts, hat sich bisher in Wien mit tänzerischer Umsetzung von Musik präsentiert, die an sich für das Konzertpodium gedacht ist. Nun ging es aber um das Erzählen einer vertonten Geschichte. Er selbst sagt dazu: „Ich möchte das Märchen als Märchen erzählen, in seiner ganzen Schönheit, aber auch mit all den Fragen, die sich mir bei der Lektüre des Librettos und dem Studium der Musik stellen.“ In seiner Choreographie sollten also auch die Beweggründe der Figuren und deren Gefühle sichtbar werden. Mit „Dornröschen“ ist es ihm tatsächlich gelungen, die Phantasie des Publikums abheben und durch die Welt von Königen, Feen und einem verzauberten Wald fliegen zu lassen.

Olga Esina, Ensemble © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Olga Esina, Ensemble © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Jackson Carroll, Ensemble © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Jackson Carroll, Ensemble © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper stand am 26. Oktober 2022 Patrick Lange, der keine Scheu vor gewaltigen Klängen und noch weniger vor süßlich zarten Passagen zeigte. Einer der Höhepunkte war das Violinsolo im zweiten Akt, mit kraftvollem Gefühl ausgeführt von Konzertmeister Rainer Honek. Überraschende Spannung brachte ein Intermezzo von Giacinto Scelsi. Zu hören war eine CD-Zuspielung von „Anahit, das lyrische Poem über den Namen der Venus“, um flirrende Klangbilder zu den Träumen im Schlaf der Schönen mit Violine solo und 18 Instrumenten (Klangforum Wien, Leitung: Hans Zender) zu schaffen.

Brendan Saye, Hyo-Jung Kang © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Brendan Saye, Hyo-Jung Kang © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Kiyoka Hashimoto, Davide Dato © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Kiyoka Hashimoto, Davide Dato © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Zu den Solisten des Balletts: Olga Esina ist eine prächtige Königin an der Seite ihres Gatten Masayu Kimoto. Deren so sehr gewünschte Tochter Aurora ist anfangs ein rechtes Springginkerl, wenn sie den rabaukenhaft um sie werbenden Prinzen Rashaen Arts, Kristián Pokorný, Arne Vandervelde und Géraud Wielick unentschlossen zuschaut. Hyo-Jung Kang nimmt man die Schwerelosigkeit ihrer Jugend gerne ab, zumal sie bald darauf bekanntlich 100 Jahre schlafen muss, um von Brendan Saye als Prinz Désiré mit einem innig zarten Kuss geweckt zu werden.

Schuld an der exakt ein Jahrhundert dauernden Ruhephase sind Feen, die wohl nur von Tänzerinnen so luftig leicht und unwirklich verkörpert werden können. Die eine, die böse und in ihrer Eitelkeit gekränkte Carabosse (Claudine Schoch) verflucht sie und reicht ihr die tödliche Spindel. In den Schlaf umgewandelt wird das Ableben des Mädchens von La Fée des Lilas (Ioanna Avraam). An sich ist das Happy End bereits beschlossen, als mit Pas de deux, Pas de caractére und Pas berrichon das Wiener Staatsballett noch eine gute Stunde die Möglichkeit zu einer beeindruckenden Leistungsschau erhält. Die virtuosen Kurzauftritte von Davide Dato (Der blaue Vogel), Kiyoka Hashimoto (Prinzessin Florine), der Katze Eszter Ledán und dem Kater Marian Furnica, von Daniel Vizcayo als bocksbeinigem Faun und Yuko Kato als geheimnisvoller Waldfrau wurden mit Szenenapplaus bedacht. Nach Übergabe der Kronen und Apotheose durfte schließlich das gesamte Ensemble mit tänzersicher Grazie den Beifall eines ausverkauften Hauses entgegennehmen.

Ensemble © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Ensemble © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Statistik