Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Kerstin Grotrian an der Querflöte © Rudolf Schar

Kerstin Grotrian ausnamsweise an der Querflöte © Rudolf Schar

DIRTY DIVA oder das Prickeln eines verliebten Duos

Frizz Fischer, Kerstin Grotrian © Rudolf Schar

Frizz Fischer, Kerstin Grotrian © Rudolf Schar

Musik, Sinnlichkeit und viel Spaß mit Kerstin Grotrian und Frizz Fischer

Angekündigt wird ein „komplett vögelfreier Abend“ unter dem Motto „Fingerfertigkeiten und Lippenbekenntnisse“, wobei die Sache mit den Fingern eher eine Angelegenheit für den Pianisten Frizz Fischer ist. Er holt das Publikum beim Warmspielen am frühen Morgen ab – keine Angst, die Aufführung beginnt wie üblich um 19.30 Uhr. Der Tagesanfang gibt jedoch seiner Frau die Chance, im Morgenrock auf die Bühne zu stürmen und mit einem Lamento in schönster Koloratur loszulegen. Kerstin Grotrian ist schließlich eine Diva, die viel, viel Schlaf braucht, um ihre grandiose, aber sensible Stimme zu pflegen. Frizz kennt die Allüren seines Herzblatts und erklärt deswegen gern, was denn eine Diva ist. Eine Göttliche! Oder anders gesagt: Eine Diva ist die Quintessenz des Weibes schlechthin. Sowas kann nerven, macht ihren Partner aber auch stolz. Nur mit ihr kann der Tastenvirtuose quer durch diverse Musikrichtungen eine Show auf die Beine stellen, die mit Gesang, laszivem Schmäh (strenges Jugendverbot), aber auch mit einer gehörigen Portion Herzenswärme ihr Publikum begeistert.

Frizz Fischer am Flügel © Rudolf Schar

Frizz Fischer am Flügel © Rudolf Schar

Frizz Fischer, Kerstin Grotrian © Rudolf Schar

Frizz Fischer, Kerstin Grotrian © Rudolf Schar

Nach Mozarts Weckruf mit der Königin der Nacht geht es zu Songs wie Teach Me Tonight, Du lieber Mond oder Tico, Tico. Berührend ist die Liebeserklärung, die Frizz seiner Kerstin mit der Komposition von „Jamain plus sans toi“ (Nie wieder ohne dich) geschaffen hat. Kerstin wird hingegen zwischen den Musiknummern zur Sexualtherapeutin, die das Liebesleben der ihr lauschenden Pärchen erforscht. Abgestimmt wird mit anonymem Summen, das dennoch einigermaßen verlässliche Aufschlüsse über diverse Bettaktivitäten anwesender Herrschaften zulässt. Dazu gibt es schlüpfrige „Vagina-Monologe“ neben beinahe wissenschaftlichen Ausführungen zur Klitoris und eher noch unbekannten Lustpunkten. Frizz und Kerstin müssen es ja wissen. Vor ein paar Jahren haben sie zueinander gefunden (in dritter Liebe, wie Frizz konstatiert) und beschlossen, bis zum Ende ihrer Tage beisammen zu bleiben – eine fast kitschige Ansage, die jedoch nach einem Abend mit der Dirty Diva und dem ihr ergebenen Pianisten absolut glaubwürdig erscheint.

SO ODER SO Was ist denn nun ein richtiger Jude?

Georg Kusztrich, Christoph Schobesberger © Peter A. Zirn

Georg Kusztrich, Christoph Schobesberger © Peter A. Zirn

Unterhaltsame Suche nach einer Antwort auf eine ewig offene Frage

Eingangsbereich eines Wiener Wohnhauses: Ein Mann in legerer Freizeitkleidung holt die Post aus dem Kasterl, wirft sauber getrennt Papier und Müllsackerl in die richtigen Tonnen und legt sich auf die Lauer. Er passt seinen Nachbarn im Stiegenhaus ab. Als der andere zum Ausgehen angezogen erscheint und nach ähnlichem Morgenritual bei der Tür hinaus will, wird er vom Mann im Homedress abgefangen und angesprochen. Das Anliegen dürfte diesem Mitbewohner auf der Seele gebrannt haben, denn nach kurzer unverbindlicher Begrüßung ist es schon heraußen: „Sie sind doch ein Jude?“ Warum er das weiß? Weil es seine Frau im Internet entdeckt hat. Und das Problem? Kein Problem, er begehrt lediglich eine Erklärung, was ein Jude ist. Nichts sonst, ganz ohne antisemitische Aggression, nur eine Definition. Damit wird die uralte Frage angesprochen, was einen Juden vom Goi so grundlegend unterscheidet, dass ein Zusammenkommen scheinbar unmöglich ist.

Christoph Schobesberger © Peter A. Zirn

Christoph Schobesberger © Peter A. Zirn

Ivan Bykov © Peter A. Zirn

Ivan Bykov © Peter A. Zirn

Der Franzose Jean-Claude Grumberg ist der Sache auf den Grund gegangen und hat dazu eine Komödie verfasst, jedoch ohne eine schlüssige Antwort zu geben. Ehrlich gesagt, es gibt gar keine. Schlussendlich ist es auch das Resümee dieses jüdischen Autors, wenn er die beiden ihre Rollen tauschen lässt. Aber dazu wird nichts mehr verraten. Um das überraschende Ende zu erfahren, gibt es noch genügend Gelegenheit im STELLA Theater im Prückl, wo dieses Stück bis 6. Februar 2025 immer wieder aufgeführt wird. Übersetzt hat den Text Birgit Leib. Regisseur Hermann J. Kogler hat das Geschehen nach Wien verlegt und lässt in dem von Anna Sagaischek vorschriftsmäßig eingerichteten Eingangsbereich die beiden Besitzer einer Eigentumswohnung ihr Frage- und Antwortspiel durchziehen, begleitet von Ivan Bykov, einem Musiker aus der Ukraine.

Er trägt ein ganzes „Orchester“ in Form eines elektronisch hochgerüsteten Akkordeons vor seiner Brust. Mit Musikstücken von Schostakowitsch und den Sträußen werden die jeweiligen Szenen klangvoll überbrückt. Christoph Schobesberger ist der Jude, der sich als Atheist outet, neben Bäckerei auch Schweinfleisch liebt und im Übrigen nichts von koscherer Ernährung und überkommenen biblischen Geboten hält. Er ist in Wien geboren und mit einer Bad Ischlerin verheiratet. Ihm gegenüber steht Georg Kusztrich, ein zugezogener Wiener und rührend hilfloses Opfer der Neugier seiner Frau, die sich die entsprechenden Ejzzes aus dem Internet holt, bis zu einem Chat mit einem Rabbi aus Übersee. Angesprochen wird alles, von der aktuellen Nahostkrise über die Beschneidung bis zum Talmud und den seltsamen Regeln orthodoxer Juden, jedoch stets mit einem erfrischenden Augenzwinkern, das über die Grenzen zwischen Juden und Nichtjuden hinweg dem Publikum, Konfession hin, Konfession her, ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Georg Kusztrich © Peter A. Zirn

Georg Kusztrich © Peter A. Zirn

Stella Theater im Prückl Logo 300