Kultur und Weindas beschauliche MagazinWurst, Obst, stirbst, Ensemble © Victoria Nazarova WURST, OBST, STIRBST Clowns haben ein Recht auf Wahrheit
Ihre Hässlichkeit lockt zum Hinschauen. Die Gebisse sind lückenhaft, die Kostüme scheinen einem Sandler entwendet zu sein und die Körper sind dank dicker Polsterung unförmig, als hätte Mutter Natur ihren großzügigen Tag gehabt, als sie diese erbärmlichen Kreaturen mit immensen Bäuchen, Busen und Ärschen ausgestaltet hat. In genau dieser Aufmachung wirbeln die Clowns des Buffontheaters in der Gastproduktion „WURST, OBST, STIRBST“ über die Bühne des TAG-Theaters. Es ist bereits der zweite Streich, mit dem das Herminentheater (so heißt die Heimanstalt der Buffons) in dieser Art ernste Themen mit schrägen Texten und einem penibel choreographierten Blödeln grell beleuchtet. War es beim ersten Mal ein Migrant, den die anderen zum Fressen gern hatten, ist es dieses Mal die Oma, die in ein Heim, besser in ein „Freudenhaus der letzten Tage“ abgeschoben wird. Wir dürfen miterleiden, wie sie gesund ernährt (wähhh!), von der Pflegerin bespaßt (gähn!) und vom Hausarzt bis zur Bewusstlosigkeit bzw. bis zum Exitus (uijegerlna!) untersucht wird. Unter der Regie von Thomas Toppler, der auch das Konzept entworfen und mit Hannelore Schmid plus Ensemble den Text verfasst hat, sind Ambra Berger, Peter Bocek, Anja Štruc, Ida Golda und Kristóf Szimán am Werk. Golda mit Ukulele und Szimán mit dem Kontrabass sind gleichzeitig das Orchester, das den Schicksalschor einigermaßen in Melodie und Rhythmus hält. Sie alle beherrschen die feine Klinge leiser Andeutungen und das breite Schwert für lauten Nonsens. Wenn das nicht reicht, müssen Russen her, naja, die von der literarischen Sorte. Für Sketches dienen Werke von Tolstoi, Tschechow oder Dostojewski. Sollte auch das den betagten Insassen, von denen eine der Damen eine aufblasbare Puppe ist, noch zu wenig Kurzweil bieten, erscheinen ein Bürgermeister mit dem Wunsch nach Spritzwein und – nicht zu verkennen – eine Landeshauptfrau, die sich liebend gern mit der entschlafenen Oma auf dem Gruppenfoto verewigen lässt. Apropos Haselnüsse: Sie werden den Eintretenden gereicht, von diesen genussvoll verzehrt, bis – ja, bis man weiß woher sie stammen: Sie wurden von der alten Frau im zahnlosen Mund vom Schoki säuberlich getrennt und zur freundlichen Weitergabe an das Publikum ausgespuckt. Michaela Kaspar (Elisabeth I.), Ensemble © Anna Stöcher MARIA STUART Ein Foul ohne Ball und Kopf ab-seits!
Friedrich Schiller nennt es ein Trauerspiel, das er zum Konflikt zwischen Elisabeth, Königin von England, und Maria Stuart, Königin von Schottland, verfasst hat. Gernot Plass, Prinzipal des TAG-Theaters, hat es in gewohnt gekonnter Manier überschrieben und dem Werk des Dichterfürsten eine Kleinigkeit hinzugefügt. Plass bescheinigt Schiller im Programmzettel, was die historischen Fakten betrifft, eine ausführliche Recherche. Doch ein entscheidendes Detail wurde seiner Meinung nach übersehen. Zur Zeit von Königin Elisabeth I. waren deren Freibeuter auf dem Atlantik unterwegs und brachten spanische Galeonen auf, die sie vor dem Versenken von schwerer Goldlast erleichterten. Bei einer solchen Gelegenheit fiel auch ein amerikanischer Ureinwohner in ihre Hände, der von einer Sportart berichtete, die in seiner aztekischen Heimat eine ganz große Sache war. Es ging darum, nur mit den Beinen einen Ball in ein gegnerisches Tor zu bugsieren.
Mit der Ankunft des Fußballs auf der Insel gab es bald ein erstes Ländermatch mit dem Erzfeind jenseits des Kanals, mit den Franzosen, das diese haushoch verloren haben. Damit waren auch die Heiratsaussichten des jungen französischen Prinzen mit der bereits in die Jahre gekommenen Jungfrau auf dem englischen Thron verspielt. Man kann sich vorstellen, wie anders die Auseinandersetzung mit der gefangenen Maria Stuart ausgegangen wäre, wenn ein Landsmann der Witwe aus erster Ehe mit Franz II. zumindest neben dem englischen Thron gesessen wäre.
Die Mannschaften der wegen Verdachts des Mordes am zweiten Gatten, dem König von Schottland, vertriebenen Maria (Lisa Schrammel) und der mit zweifelhafter Würde ausgestatteten englischen Monarchin (Michaela Kaspar) sind jedoch ziemlich unverlässlich. Man weiß nie, auf welches Tor hin sie spielen. Ein Libero im wahrsten Sinn des Wortes ist der in seinem rüden Tackling wenig zimperliche Mortimer (Raphael Nicholas). Er nimmt sich die Freiheit, einmal auf diese Seite und dann wieder auf die andere seine Passes zu verteilen. Als brave Amme Kennedy und gleichzeitig als letztlich gescholtener Beamter Davison liefert Emese Fáy eine solide Partie ab, ebenso wie David Fuchs, der seinen Einsatz als Paulet, Bellievre und Wache rechtfertigt.
Raphael Nicholas (Nathanael), Daniela Kaspar (dessen Mutter) © Anna Stöcher DER SANDMANN Diverse bedenkliche Zukunftsvisionen
Die Maschinen! Seit Erfindung der ersten mechanischen Hilfe, die einem Steinzeitmenschen das Spalten eines Obsidians erleichterte, sind sie umstritten. Maschinenstürmer versuchten sie zu verhindern, um den Menschen Arbeit und Brot zu erhalten. Aber nichts hat geholfen. Der Fortschrittsgeist hat sich darüber hinweggesetzt und mit der Dampfmaschine die Pferdefuhrwerke unnötig gemacht, mit dem Auto die Lohnkutscher in die Arbeitslosigkeit geschickt und mit dem Computer samt World Wide Web Journalisten zu Influencern zweiter Klasse degradiert, gar nicht zu denken an die KI, die sogar Künstlern ihre Kreativität erfolgreich streitig macht. Die Menschheit – gemeint ist damit unsere westliche Gesellschaft, deren Überfluss derlei Überlegungen zulässt – hat dennoch überlebt und ist nicht beschäftigungslos geworden. Man kann aber auch schwarzsehen, wie Bernd Liepold-Mosser. Für den umtriebigen Regisseur, Intendanten und Autor fand sich der Prototyp der Zukunft fressenden Maschine in Olimpia, der Puppe im Schauerroman von E.T.A. Hoffmann. In einer Überschreibung, von wuchtigen elektronischen Klängen begleitet, hat er ein ungemein wirkungsvolles Stück Theater geschaffen, das eine verwirrende Vielzahl von Denkanstößen liefert.
Das bewährte Ensemble des TAG-Theaters macht sich mit Verve über dieses mit etlichen Songs garnierte „Musical“ her. Raphael Nicholas ist der Protagonist Nathanael, den der Sandmann als kindliche Schreckgestalt in das Erwachsenendasein verfolgt. Anfangs leisten ihm vier Polarbären, die letzten ihrer Art, Gesellschaft. Es geht aber weniger um den Klimawandel, der diese Tiere gefährdet, als eher um eine Methapher für die letzten realen Menschen.
ODYSSEE - EINE HEIMKEHR, Ensemble © Anna Stöcher ODYSSEE – EINE HEIMKEHR MM 60, Blutrausch Tempo larghetto
21 Metronome schaffen eine ticktackende dichte Klangkulisse – für eine ganze Weile, bis eines nach dem anderen die Federkraft verlässt. Übrig bleibt eines der hölzernen Türmchen, das im Tempo larghetto beharrlich weiter den Takt angibt. Seit der anfänglich kurzen Einführung in das Ende der Odyssee sind damit gefühlte 15 Minuten verstrichen. Gespannt wird auf das nächste Wort gewartet. Das Ensemble tritt auf, was sage ich? – es huscht auf leisen Socken in kleinen Schritten über die Bühne. Es formt sich ein Corps de ballett, aus dem jeweils eine Stimme ertönt. Es handelt sich dabei um eine der Gestalten aus der Heimkehr des Odysseus. Zum einen um den Helden selbst, um seinen Sohn Telemachos, um die Gattin Penelope, um die Amme Eurykleia, den Schweinehirten Eumaios und den Hund Argos. Odysseus richtet bekanntlich ein Gemetzel an, gegen die Einwände seines Sohnes. Er erschießt sowohl die Freier seiner Frau, die es sich bis dahin an seinem Hof recht lustig gemacht haben, als auch die Mägde, die sich den geilen Burschen hingegeben haben.
Lange bleibt die Frage offen, was Autor und Regisseur Joachim Schloemer mit diesem Text bezwecken will. Das Nichtgeschehen ist zwar ungemein spannend, weil das Tanzen des Schicksalschors und die textlichen Andeutungen vielversprechend sind. Eine die Nerven zerfetzende Stunde später wird alles klar. Nach einem abrupten Sprung in der Zeit ins Heute referiert ein Soldat über seine psychischen Probleme. Er ist nach vielen Jahren im Krieg nicht mehr imstande, in einem friedlichen Supermarkt keine feindliche Bedrohung mehr zu wittern. So ähnlich muss es Odysseus ergangen sein, nach zehn Jahren harten Kampf vor Troja und einer weiteren Dekade der Irrfahrten voller Gefahren und dem damit verbundenen Verlust seiner gesamten Mannschaft.
Heinrich 5, Ensemble © Anna Stöcher HEINRICH 5 Krieg ist auch im Theater angekommen
William Shakespeare war Engländer und damit auch der Geschichte seines Heimatlandes zutiefst verbunden. Nur so ist zu erklären, dass die Gestalt des jungen Königs Heinrich V. an einem schier unglaublichen Erfolg, der Schlacht von Azincourt, gemessen wird und im Gegensatz zu anderen gekrönten britischen Häuptern, wie beispielsweise Richard III., ausnehmend gut wegkommt. Dennoch sah sich Gernot Plass, Prinzipal des TAG-Theaters, veranlasst, sowohl diese Gestalt als auch mit der nötigen Respektlosigkeit den großen Dichter einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Mit seinem kleinen Ensemble, das locker eine Vielzahl an Rollen verwirklichen kann, wurde das Stück „HEINRICH 5“ just am 25. Oktober 2023, dem Tag besagter Schlacht anno 1415 uraufgeführt. Aus der Verbeugung vor englischer Kriegskunst, schließlich wurde eine gewaltige französische Übermacht vernichtend geschlagen, ist eine subtile Abrechung mit Aggressoren geworden. Sogar die fadenscheinige Begründung für die Gier nach der Herrschaft in einem Reich, das ganz gut ohne Krieg mit sich selbst auskommen kann, wurde deutlich herausgearbeitet. Wer denkt da nicht an die Gegenwart?! Raphael Nicholas ist ein König, wie er im Bilderbuch steht. Er wähnt sich der Mächtige zu sein und verdrängt gekonnt die Skrupel, die ihm eigentlich sagen müssten, dass er lediglich Spielball der Großen seines Reiches ist. So beginnt die Geschichte auch sehr heutig. Die konspirative Besprechung zwischen dem Erzbischof von Canterbury (Jens Claßen) und dem Bischof von Ely (Georg Schubert) und der anschließende Kronrat finden in grauen Businessanzügen statt.
Menschenfeind Jens Claßen © Anna Stöcher MENSCHENFEIND Viele gute Gründe, Misanthrop zu sein
Vom adeligen Gepränge zu Molières Zeiten sind Perücken, Andeutungen von Halskrausen, goldene Hosen und das nackte Gestell eines Reifrockes geblieben. Sie verkleiden Menschen des 21. Jahrhunderts, die im Grunde nichts anderes im Schilde führen wie damals. Wenn sie den Mund aufmachen, kommt ein ähnliches Kauderwelsch zur Sprache, wie es einst am königlichen Hof in Frankreich gepflogen worden sein mag, wenn man reden wollte, ohne etwas verbindlich sagen zu wollen. Erstaunlicherweise wird in gereimten Versen messerscharfe Konversation geführt und damit ein weiteres Versatzstück aus alter Zeit liebevoll gepflegt. Zu verdanken ist diese Meisterleitung am Text dem Schweizer Fabian Alder. Er hat die ans Zynische grenzende Komödie „Der Menschenfeind“ für das TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) überschrieben und damit die Glaubensgrundlage für überzeugte Misanthropen mit Labtop, USB-Stick und Bluetooth technisch aufgerüstet. Markus Hamele, Georg Schubert © Anna Stöcher Mit dem Ensemble dieses Hauses, dem kein Sattel zu schräg ist, um darauf nicht virtuos zu reiten, wird in fünf Viertelstunden dieses Plädoyer für unselbständiges Denken zum wahrhaften Vergnügen und zum heiteren Anstoß, die eigene Stellung in einem dicht verbauten Universum von Denkverboten, Verunglimpfungen von Wörtern und den von Selbstgerechtigkeit getragenen Folgen unkorrekten Handelns zu überdenken. Alceste ist Jens Claßen, der in einer gut diskutierten Partnerschaft mit der Karrierefrau Célimène (Lisa Schrammel) seine Tage genießt. Man versteht sein Hadern mit ihrem Engagement in der GÖP, der Grünen Ökonomischen Partei, die sich seiner Ansicht nach bereits in ihrer Bezeichnung widerspricht. Deren Generalsekretärin ist Ida Golda. Als Frau muss sie auf Power setzen und die Umfragewerte genau im Auge haben. Mit einem Kritiker wie Alceste und einer von ihm möglicherweise beeinflussten Partnerin ist dabei wenig anzufangen. Die beiden für Exekutionen scheinbar willfährigen Herren in ihrem Dunstkreis sind der stolze Oronte (Markus Hamele) und der originelle Clitandre (Georg Schubert). Wenn diese zwei Intriganten auf Rollschuhen einen sensationellen Pas de deux hinlegen, ist Sonderapplaus fällig.
Höllenangst, Ensemble © Anna Stöcher HÖLLENANGST Analoge Dummheit im digitalen Zeitalter
Die Geschichte vom leichtgläubigen Wendelin, der vermeintlich mit dem Teufel einen Kontrakt geschlossen hat, ist keineswegs eine Erfindung von Johann Nestroy. Vorher haben bereits die Franzosen über einen gleichermaßen einfältigen Dominique gelacht und die Wiener über „Peregrins Wahn“, einer Übersetzung von Josef Kupelwieser. Überlebt hat auf unseren Bühnen jedoch nur die Posse „Höllenangst“, was wir zweifellos der bekannt pointierten und in ihrer Bösartigkeit unverwechselbaren Sprache Nestroys zu verdanken haben. 173 Jahre nach deren Uraufführung im Carl-Theater und unzählbaren Inszenierungen gibt es nun im TAG eine neue Version des Stoffes mit dem Untertitel „No enlightment please!“ War Mitte des 19. Jahrhunderts der Begriff enlightment auch hierzulande als Aufklärung zumindest in geistvollen Kreisen gängig, so war er dem Volk – nicht zuletzt durch die in die Hose gegangene Revolution 1848 – aufgrund einer dafür wenig offenen Obrigkeit beileibe ein Fremdwort. Was hat nun den Theatermenschen Bernd Liepold-Mosser dazu veranlasst, aus dem nach Schwefel stinkenden Teufel einen Windowsman zu machen? Vielleicht war es der Ingrimm auf die Allmacht des Gottes Google, seiner Heerscharen geflügelter Algorithmen und dem allgegenwärtigen Beelzebub im World Wide Web. Die absolutistischen Allüren eines Kaisers wären gegen deren Machtfülle ein Klacks und könnten heutzutage mit einem Tippen auf die Taste Del vom Screen gelöscht werden.
Worum geht es nun in dieser aus TikTok und Instagram gesourcten Version der Höllenangst? Im Prinzip um das Gleiche wie ehedem (Inhalt siehe Wikipedia). Lediglich die Sprache bedient sich der in der Community von Social Media u. ä. Plattformen verwendeten Ausdrücke, die jedoch analog, also mit einem fantasievoll kreativen Hirn, auf Nestroy umgelegt, erstaunlichen Witz zu entzünden vermögen. Freilich braucht es dazu das entsprechende Ensemble, mit dem das TAG allerdings gesegnet ist. Der böse Kapitalist Stromberg (Jens Claßen) will sein Mündel Adele (Lisa Schrammel auch als Zofe Rosalie) um ihr Vermögen bringen, hat aber nicht mit deren heimlich geheirateten Gatten, dem Richter Thurming (Emanuel Fellmer), gerechnet.
Iphigenie im TAG, Ensemble © Anna Stöcher IPHIGENIE Priesterin im Puff der Göttin Artemis
„Ich gebe mich frei!“ ist die Kernbotschaft dieser sehr freien Überschreibung von Wolfgang von Goethes Versdrama „Iphigenie auf Tauris“. Die Heldin ist der Tatsache überdrüssig, dass immer irgendwelche Männer über sie und ihr Schicksal bestimmen wollen. Schon im alten Griechenland zog diese Tragödie die hellenischen Völkerschaften in die Amphitheater. Euripides hatte diese Dame ins Land der Taurer entführen lassen, auf die heutige Krim, die seinerzeit von Barbaren bevölkert war. So primitiv können die jedoch nicht gewesen sein, denn sie verehrten die olympische Göttin Artemis. Genau diese holte Iphigenie einst zu sich über das Schwarze Meer als Priesterin, nachdem sich deren Vater bereit erklärt hatte, seine Tochter zugunsten guter Winde gen Troja zu opfern. Über der Familie liegt ein Fluch, beginnend mit Tantalus (Näheres nachzulesen in griechischer Mythologie) über Agamemnon bis zu dessen mörderischer Frau Klytämnestra und Orest, der als Muttermörder von den Erinnyen zur Verzweiflung getrieben wird. Das böse Ende ist abzusehen und wird auch konsequent verwirklicht.
Angelika Messner, Librettistin, Dramaturgin und Regisseurin, hat konsequent die feministischen Aspekte dieser traurigen Geschichte herausgearbeitet und mit dem Dichterfürsten gnadenlos abgerechnet. Sie hat ordentlich den Quirl angesetzt, sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Für das Ensemble des TAG sind derlei zeitliche und logische Bocksprünge jedoch kein Problem. Der Tempel wird umgehend zum Bordell und Iphigenie (souverän: Michaela Kaspar) die mitfühlende Puffmutter.
Michaela Kaspar (Elena) © Anna Stöcher ONKEL WANJA Steinheben in allgemeiner Sinnlosigkeit Während Jens Claßen über ein Minimegaphon das Chanson „Tombe La Neige“ in all seiner Melancholie krächzt, tauchen aus wabernden Nebeln schemenhaft Gestalten auf. Die erste klare menschliche Manifestation ist der Arzt Astrov, der mit einer Pantomime atemlose Stille in einem darob verblüfften Publikum auslöst. Die zweite Person ist die alte Njánjá Marina. Sie hat alle Schicksale in diesem Haus miterlebt und verfügt über entsprechende Abgeklärtheit. Aber bereits dieser erste Versuch eines Dialogs erschöpft sich in den drei wesentlichen Themen dieses Dramas: Saufen, das Fehlen der Sinnhaftigkeit des Lebens und eine allgemeine Unfähigkeit zu wahren Emotionen. Anton Tschechow hat diesen Mangel bereits Ende des 19. Jahrhunderts für seine Gesellschaft diagnostiziert und dafür das Stück „Onkel Wanja“ in ein Landgut in den Weiten Russland verlegt. Dort konnte er sich sicher sein, dass keine überraschende Kurzweil die lähmende Langeweile im stets gleichen Einerlei ablaufender Tage unterbricht. Für das TAG hat der geborene Litauer Arturas Valudskis eine Überschreibung geschaffen, haargenau auf das Theater an der Gumpendorfer Straße zugeschnitten. Er hat ihm dabei alles das belassen, was den merkwürdigen Reiz eines solchen Stückes ausmacht. Dazu zählen die Fadesse, wehleidiges Hadern mit allem und jedem und der kategorische Ausschluss jeder Art von Glück.
Das Ensemble besteht aus fünf Personen, die teils in Doppelrollen die originale Besetzungsliste ausfüllen. Aus der greisen Njánjá wird im Aufstehen von ihrem Sessel die junge, aber (nach eigenem Empfinden) hässliche Sonja (Ida Golda), die zwar als eine der wenigen auf ihr Leben mit einem Lächeln zurückblicken will, jedoch aussichtslos in den jungen Arzt (Andreas Gaida) verliebt ist. Astrov sollte ein Idealist sein, einer der – sehr aktuell – Wälder schützt und Vegetarier ist. Der Wodka ist jedoch stärker und lässt ihn an seinem Beruf verzweifeln.
Glaube Liebe Hoffnung Ensemble © Anna Stöcher GLAUBE LIEBE HOFFNUNG Ein dramatisches Zeitdokument der 1930er-Jahre Arbeitslosigkeit ist eine stets aktuelle Geißel der wirtschaftlich zivilisierten Menschheit. Dank eines doch hervorragend funktionierenden Sozialsystems hat der Verlust des Jobs und des damit verbundenen Einkommens seine größten Schrecken verloren. Als Ödön von Horváth Anfang der 1930er-Jahre das erschütternde Drama um die ausweglose Situation einer jungen Frau geschrieben hat, war ein solcher Zustand jedoch die Existenz bedrohend. War jemand ausgesteuert, dann gab es nichts mehr, nichts, außer vielleicht Gelegenheitsarbeiten oder die Prostitution gleichermaßen von Frauen wie Männern bei den wenigen, die von dieser Not nicht betroffen waren. Von ewiger Gültigkeit sollten auch die drei Begriffe Glaube, Liebe und Hoffnung sein, waren damals aber bestenfalls eine Angelegenheit derjenigen, die sich den Luxus von Moral leisten konnten. Elisabeth, so heißt die erbarmungswürdige Kreatur, hat lediglich harmlose Schwindeleien begangen, um den Wandergewerbeschein zu erhalten. Ungeschickt, wie sie ist, fasst sie deswegen eine Geldstrafe aus. Um das Geld dafür aufzutreiben, versucht sie ihren Körper im anatomischen Institut zu verkaufen. Der dort beschäftigte Präparator fasst Zuneigung zu ihr. Er streckt ihr die Summe vor, allerdings unter dem Vorwand, dass sie damit ihre Lizenz als Vertreterin bezahlen wolle. Sie wird wegen Betruges zu zwei Wochen Arrest verurteilt. Durch diese Vorstrafe hat auch die Liebe zwischen ihr und dem jungen Polizisten Alfons keine Chance. Es bleibt nur der Gang ins Wasser...
Horváth und sein Koautor Lukas Kristl nennen das Stück einen kleinen Totentanz in 5 Bildern. Als solcher wird er mit dem Ensemble des TAG-Theaters zum bitter komischen Ballett in der kompromisslosen Choreographie von Georg Schmiedleitner. Rahmenhandlung ist die TV-Show DALLI DALLI mit Jens Claßen als stets lustigen und zynisch aufmunternden Moderator und Gesangseinlagen in Form von deutschen Schnulzen. Ein Versatzstück jüngster Fernsehunterhaltung gibt es mit „Die Höhle des Löwen“, als die Investoren Michaela Casper, Andreas Gaida, Petra Strasser und Georg Schubert mit der ratlosen Elisabeth ihre reinste Hetz haben. In dunkle Mäntel gehüllt treten dieselben als Kriminaler auf. In den übrigen Rollen sind Casper die knallharte Chefin für den Versand von Mieder und Reizwäsche, Schubert der Präparator und Petra Strasser die wohlmeinende Frau Amtsgerichtsrat. Der junge Schupo Alfons (Andreas Gaida) hätte gute Lust, das sympathische Mädel Elisabeth zu heiraten, stünden nicht die bekannten Gründe dagegen. Eine großartige Lisa Schrammel konfrontiert letztlich jedoch die ganze Gesellschaft mit deren Verlogenheit und Lieblosigkeit, wenn die von ihr mit mächtigem Einsatz verkörperte Elisabeth den einzigen Ausweg in einer Flucht aus ihrem Leben sieht. Ödipus, Ensemble © Anna Stöcher ÖDIPUS Endlich einmal lachen in der ganzen Misere
Etliche Jahrhunderte nach Sophokles haben sich nun zwei Theatermenschen des zutiefst tragischen Stoffes um den vom Schicksal geschlagenen König Ödipus angenommen. Kaja Dymnicki und Alexander Pschill haben haarscharf erkannt, dass all das scheinbar Unausweichliche nur deswegen passiert ist, weil sämtliche Beteiligte in einer Form des Kadavergehorsams die an sich schrecklichen Aussichten ernst genommen und ihr gesamtes Handeln darauf ausgerichtet haben. Die daraus entstandene Tragödie wird umgehend zur Komödie, wenn man sich von dieser Zukunftsangst löst und den ganzen Krempel von Weissagungen einfach im großen Mistkübel mit der Aufschrift „Das Unnötigste im Leben“ entsorgt. Wenn die beiden Autoren dazu noch über kabarettistischen Wortwitz verfügen, dann wird daraus eine flotte „lachhafte“ Posse, die im Verlauf von gut zwei Stunden auch dem ernsthaftesten Altphilologen zumindest ein Schmunzeln entlockt. Mit dem Ensemble des TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) ist es das geringste Problem, eine stattliche Reihe von Rollen und sogar den Chor des antiken Theaters zu bestreiten. Die Damen und Herren sind es gewöhnt, sich in Sekundenschnelle in eine andere Person zu verwandeln und das Publikum mit dieser nahezu affenartigen Behändigkeit zu verblüffen. So gelingt es auch im Falle von „Ödipus“, die illustre Gästeschar einer Party mit einem Quartett zu bestreiten. Florian Carove und Julia Edtmeier sind in der ersten Hälfte das lästige Ratepaar Janus und Isabella Sphinkt, um später in seinem Fall als blinder Seher Theresias mit enormem Einsatz seiner Komik einen nie geschehenen Mord aufzuklären und sie als pubertierende Tochter Antigone mit dem peinlichen Verhalten ihrer angeblichen Eltern zu hadern. Dazu muss gesagt werden, dass sich das Ganze in der Gegenwart abspielt. König Laios (Georg Schubert) ist ein ganz normaler Politiker – äh – Herrscher, der aus Korruption, subtiler Brutalität und entsprechendem Koks-Konsum kein Hehl macht. Mit seiner Gattin Iokaste (Michaela Kaspar) veranstaltet er im Beisein seines coolen Schwagers Kreon (Raphael Nicholas) ca. 18 Jahre nach Weglegung des Kindes eine Fete. Unter den Gästen befindet sich auch ein Ehepaar namens Mayer (Jens Claßen als Polybos, Lisa Schrammel als Merope), das irrtümlich eingeladen wurde, da eigentlich Korruptions-Staatsanwalt Meyer gemeint war. Doch die beiden sind zufällig die guten Leutchen, die das auf einer Parkbank ausgesetzte Baby einst bei sich aufgenommen und als ihren Sohn aufgezogen haben. Während sich die Tische unter Platten mit Fingerfood und Bowle biegen, haben die Zuschauer Gelegenheit, sich unter ihren FFP2-Masken vor Lachen zu krümmen. Einer der Gründe dafür ist Ödipus, ein schlaksiger junger Mann, der mit Begeisterung Rätsel löst und damit die Begehrlichkeit der ihres Gatten längst überdrüssigen Iokaste erweckt. Stefan Lasko spielt erfrischend natürlich den jugendlichen Neurotiker, der ein Abo beim Orakel hat und wenn er nicht mehr weiter weiß, auch das Publikum befragt. Nachdem aufgrund eines Stromausfalls und einer irrtümlich abgefeuerten Kugel Laios leblos am Boden liegt und nach dessen Entsorgung Iokaste den Burschen ehelicht, scheint sich die düstere Prophezeiung erfüllt zu haben. Aber was ist der Schein? Er kann trügen, und wie! Sonst wäre es ja keine lustige Tragödie. Statistik |