ANSTOSS zu einem besinnlichen Spiel im Leistungssport
Der große Jammer hinter und mit den bewunderten Idolen
Ist Sport wirklich so traurig, wie ihn Jakub Kavin im Stück „ANSTOSS“ in seinem brandneuen TheaterArche darstellt? Kommt drauf an, sollte man sagen. Denn: Bewegung schadet nicht und Aktivitäten wie Laufen oder Schwitzen im Fitnessstudio sind zwangsläufig mit Sportausübung verbunden. Genau das ist aber nicht gemeint, wenn einstige Größen wie Lance Armstrong (Bernhardt Jammernegg) oder Tonya Harding (Saskia Norman) aus ihrem Leben teils unfassbare Geschichten erzählen. So was drückt natürlich die Stimmung und könnte ein ganzes, mit übermütig brüllenden Fans gefülltes Stadion zum Weinen bringen. Da hilft´s auch nicht, wenn der dem Alkohol verfallene Eisenfuß Uli Borowka (Jörg Bergen) geflügelte Fußballerweisheiten immer und immer wiederholt, beispielsweise, dass es egal ist, ob Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien! Derlei Gags, die solchen Ballkünstlern unfreiwillig entschlüpfen, schaffen zwar einige Lacher, können aber nicht darüber hinweg trösten, dass Johan (Nicolas Buitenhuis) in seiner Mannschaft außer Problemen nur Probleme hat.
Er ist schwul und findet paradoxerweise in einer reinen Männergesellschaft keinerlei Verständnis für seine Neigungen. Welche Rolle im Spitzensport Sex spielt, und zwar selten freiwilliger, weiß die Schifahrerin Nicola Werdenigg (Eszter Hollosi). Rücken an Rücken mit Heidi (Maksymilian Suwiczak), einer gequälten DDR-Athletin, die sich später zu einem glücklichen Mann umwandeln ließ, schildern die beiden Sportopfer die Torturen, denen sie während ihrer aktiven Zeit unterworfen waren. Werdenigg konnte Jahrzehnte lang nicht über die massiven Zudringlichkeiten der Funktionäre reden, Heidi (später Andreas) war rigorosen Staatsinteressen und der erzwungenen Einnahme von bedenklichen Medikamenten ausgesetzt. Beide haben überlebt. Zumindest ein Beweis für diese frohe Kunde: Die wirkliche Frau Werdenigg war bei der Premiere anwesend und spendete Ensemble und Stück großes Lob.
Für diesen Anstoß braucht man allerdings gut trainiertes Sitzfleisch. Er dauert mindestens so lang wie ein ganzes Fußballmatch mit Nachspiel und Elferschießen. In der ersten Halbzeit ist es eher ein Ballgeschiebe mit langen Pässen ohne Tore. Nach der Pause wir das Spiel wesentlich rasanter und steigert sich zu einem spannenden Finale, das die Zuschauer auf den Rängen mitzureißen versteht. Während des ganzen Matches wird einem jedoch der Sport im Fernsehen madig gemacht.
Will man wirklich einer von denen sein, die sich am spektakulären Sturz eines Hermann Maier delektieren? Oder mitfiebern, wenn es in der 90. Minute noch 0:1 für die eigene Nationalmannschaft steht und unser aller Ehre auf dem Spiel steht. Harmloser ist da schon ein Tennismatch, das ein nach seiner Verletzung wieder genesener Thomas Muster (Florian-Raphael Schwarz) gegen Michael Stich (Johannes Scherzer) bestreitet. Wie knapp die Bergsteigerin Gela Allmann dem Tod entronnen ist, macht eindrucksvoll Johanna König mit einer artistischen Einlage an einer Stehleiter begreiflich, nachdem Elisabeth Halikiopoulos vom Hochsitz aus wortreich das Training der amerikanischen Torfrau Hope Solo (Tabea Stummer) kommentiert hat. Gnadenlos drischt Corinna Orbesz als Boxerin Ronda Rousey auf den Sparringpartner ein, ohne was auf den abgeklärten Senf zu geben, den Peter Matthias Lang als Shaolin Mönch zwischendurch absondert.
Ganz wie im echten Leben treibt der Trainer Nagy Vilmos seine Schützlinge zu Höchstleistungen an. Bei Manami Okazaki braucht es jedoch keinerlei Motivation. Ihre Koloratur als Puppe Olympia aus Hoffmanns Erzählungen setzt sich locker gegen die dröhnenden elektronischen Klänge durch, unter deren Begleitung die düstersten Phantasien eines E- T. A. Hoffmann von den Utopien des perfekt gestylten Menschen – und solche sind ja auch die Sportler – in den Schatten gestellt werden.