Kultur und Wein

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MARATHON Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss © Bettina Frenzel

MARATHON Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss, Ensemble © Bettina Frenzel

MARATHON Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss

Alexander Rossi, Ensemble © Bettina Frenzel

Alexander Rossi, Ensemble © Bettina Frenzel

Die Bühne ist das Parkett, auf dem bis zu spürbarer Erschöpfung getanzt wird.

Tanzen bis zum Umfallen, heißt die gnadenlose Devise. Eigenartig, aber das Vergnügen, sich zur Musik zu bewegen, hat zu allen Zeiten seltsame Blüten getrieben. So berichtet eine Chronik von einer bis zum tödlichen Ende gehenden Tanzwut anno 1518 in Strassburg. Die Gründe für solche Choreomanien, nach den Schutzheiligen Veitstanz oder Antoniusfieber genannt, sind bis heute rätselhaft geblieben. Dass der hochgiftige Biss der Wolfsspinne für anhaltende tanzartige Verrenkungen gesorgt hat, wird als Grund für die rasende Tarantella genannt. Heute ist es eher die Sucht nach der Öffentlichkeit, die Halbpromis als sogenannte Dancing Stars dazu verleitet, sich mehr oder weniger gekonnt im Kreis zu drehen und von einer launig agierenden Jury lächerlich gemacht zu werden. Im Amerika des Jahres 1932, in der großen Rezession, war es hingegen eine Überlebensfrage, nach Hunderten von Stunden rhythmischer Bewegung nicht abgekratzt zu sein. Immerhin lockte neben der Entdeckung durch Hollywood ein stattliches Preisgeld, um sich in Zeiten großer Hoffnungen, aber geringer Chancen diese unverstellbare Tortur anzutun.

Paul Barna, Eva-Christina Binder © Bettina Frenzel

Paul Barna, Eva-Christina Binder © Bettina Frenzel

Anna Sophie Krenn, Paul Barna © Bettina Frenzel

Anna Sophie Krenn, Paul Barna © Bettina Frenzel

Der US-Amerikanische Schriftsteller Horace McCoy beschrieb ein solches Turnier in einem Roman und Bruno Max, Prinzipal des Theaters zum Fürchten, hat daraus eine packende Bühnenfassung geschaffen. Robert Notsch verwandelte dafür den Zuschauerraum in eine Arena, in der das heutige Publikum unmittelbar zu den sensationslüsternen Massen auf den Rängen eines Tanzpalastes à la Walkathon Stadium mutiert. Alexander Rossi als Master of Ceremonies namens Rocky Gravo moderiert virtuos ungerührt den Kampf von acht Paaren um den Sieg in diesem mehr und mehr unmenschlich werdenden Marathon als grandiose Show. Ihm zur Seite stehen der höchst aufmerksame Ringrichter Rollo (Marius Lackenbucher) und der am Flachmann hängende Arzt Doktor Elliot (Raimund Brandner). Zum Ehrengast ernannt wird Mrs. Layden (Lotte Loebenstein), die trotz vorgerückter Jahre einem der Burschen einen eindeutigen Antrag macht.

Teresa Renner, Christopher Korkisch © Bettina Frenzel

Teresa Renner, Christopher Korkisch © Bettina Frenzel

Marius Lackenbucher, Anaïs Golder © Bettina Frenzel

Marius Lackenbucher, Anaïs Golder © Bettina Frenzel

Bevor das Ganze losgeht, lernt man Gloria und Robert kennen. Sie, von Anna Sophie Krenn mit all ihrem Frust versehen, hat einen Selbstmordversuch hinter sich und reißt sich den zögernden Burschen (Paul Barna) kurzerhand als Tanzpartner auf. Eva-Christina Binder als Clarissa glänzt im wahrsten Sinn des Wortes mit ihren auffälligen Kleidern und wird vom angehenden Schauspieler Joe (Benjamin Spindelberg) zumindest anfangs zur Musik des eigens für dieses Turnier aufspielenden Orchesters geführt. Wer würde der hochschwangeren Ruby (Teresa Renner) ein extrem langes Durchhalten in den Armen ihres Gatten James (Christopher Korkisch) zutrauen.

Aber die beiden tanzen noch, nachdem weit sportlichere Konkurrenten längst ausgeschieden sind. Larry, ein Veteran der Navy, ist zwar nicht mehr der Jüngste. Mathias Kahler-Polagnoli gibt sich aber fit wie ein Turnschuh, legt eine heiße Sohle aufs Parkett und nimmt sich nach dem Zusammenbruch von Shirley (Stephanie-Christin Schneider) umgehend die nächstbeste frei gewordene Dame an die Brust. Als Bess und deren blinder Bruder Mack tanzen Prisca Buchholtz und Robert Max Elsinger ebenso unverdrossen wie der durch den Tonfilm nun stellungslose Kinopianist Freddy (Michael Fischer) und die laut Gesetz zu junge Liz (Anaïs Golder), was ihm eine Verhaftung durch die Polizei einbringt. Neben Ausbrüchen von Verzweiflung und heftig ausgetragenen zwischenmenschlichen Spannungen wird allgemeine Erschöpfung dabei zum tragenden Element einer Handlung, die nicht nur unvorstellbare Strapazen beschreibt, sondern mit einem überaus zynischen Ende bis zum erlösenden Gnadenschuss aufwartet.

Mathias Kahler-Polagnoli und Ensemble © Bettina Frenzel

Mathias Kahler-Polagnoli und Ensemble © Bettina Frenzel

Die Krise, Ensemble © Bettina Frenzel

Die Krise, Ensemble © Bettina Frenzel

DIE KRISE als harsche Chance Weisheit zu gewinnen

Boris Popovic, Alexander Lutz © Bettina Frenzel

Boris Popovic, Alexander Lutz © Bettina Frenzel

Ein bitterer Spaß um die Ignoranz gegenüber dem Unglück der anderen

Es nimmt sich wie die Fortsetzung eines Albtraums aus, in dem die französische Autorin Coline Serreau ihren Helden Victor eines Morgens aufwachen lässt. Der Platz neben ihm im Ehebett ist leer; keine Spur von Gattin Marie, die offenbar mit irgend einem Typen bei Nacht und Nebel verschwunden ist. Nach hektischer Organisation der Abreise ihrer zwei Kinder in die Winterferien prolongiert sich der Schrecken im Büro. Dort erfährt der Jurist, dass er aufgrund eines Megaerfolges in einem Prozess zu teuer geworden und deswegen gekündigt ist. Zu allem Überfluss an Widrigkeiten hängt sich der Clochard Michou an den ohnehin Verzweifelten. Er wird zum seltsamen Begleiter auf dem Weg durch Victors Bekanntenkreis. Es wird eine Wanderung durch die Abgründe, in denen unsere Gesellschaft im Moment unterzugehen droht, angefangen beim Arzt im Spannungsfeld zwischen Schul- und Alternativmedizin über einen Wendehals als Abgeordneten und dessen Probleme mit Rassismus samt militant alternativem Nachwuchs bis zur Mutter, die mit einem jungen Liebhaber versäumte Sinnlichkeit nachholen will. Klar, dass niemand nur die Spur von Verständnis für den vom Schicksal geprügelten Victor hat.

Christina Saginth, Hendrik Winkler © Bettina Frenzel

Christina Saginth, Hendrik Winkler © Bettina Frenzel

Die Krise, Ensemble © Bettina Frenzel

Die Krise, Ensemble © Bettina Frenzel

Babett Arens hat „DIE KRISE“ für das Theater zum Fürchten inszeniert. Bis zur Pause unterhält sie das Publikum köstlich mit der dem Stück immanente Bösartigkeit. Im zweiten Teil geht jedoch ein Riss durch das Geschehen. Coline Serreau haben offenbar Mut oder Ideen verlassen, menschliche Niedertracht auf die Spitze zu treiben. Mit Gewalt und wenig Logik wird auf ein Happy End zugesteuert, das sich weder die kaltherzigen Zeitgenossen noch der mehr und mehr wehleidige Victor verdient haben. Der einzige, dem man den Aufstieg eventuell gönnt, ist Michou.

Alexander Lutz tauscht sein Sandleroutfit gegen einen Businessanzug und wird vom nunmehr erstarkten Victor als Assistent angelernt. Eigentlich schade, denn als herabgekommenes und lästiges, aber treues Anhängsel seines Herrn war er wesentlich liebenswürdiger und sympathischer. Christina Saginth vereint in ihrer Person locker drei grundverschiedene Charaktere: die kühle Oma, eine Mutter auf Erotiktrip und die im Sterben liegende Araberin Djamila, die Victor (allerdings nur unhörbar hinter der Szene) das Geheimnis ewiger Gattenliebe und Leidenschaft verrät. Sophie Prusa und Selina Ströbele schaffen virtuos eine Reihe von jungen Frauen, an denen Victor vergeblich Mitleid haschend sehenswert abprallt, bis seine Marie (Ströbele) auf wundersame Weise zurückkehrt. Eine Unzahl von Rollen bewältigen auch die Herren Anselm Lipgens, Hendrik Winkler und Felix Frank. Sie alle tragen schließlich dazu bei, aus einem vom Leben für was immer Bestraften einen Weisen zu formen; eine Wandlung, die Boris Popovic subtil seinem Victor letztendlich angedeihen lässt.

Sophie Prusa, Boris Popovic © Bettina Frenzel

Sophie Prusa, Boris Popovic © Bettina Frenzel

Stolz und Vorurteil, Ensemble © Bettina Frenzel

Stolz und Vorurteil, Ensemble © Bettina Frenzel

STOLZ UND VORURTEIL Dienstmädchen interpretieren Jane Austen

Clara Lou Kindel, Henrietta Rauth, Soi Schuessler © Bettina Frenzel

Clara Lou Kindel, Henrietta Rauth, Soi Schuessler © Bettina Frenzel

Erfrischend heutige Bearbeitung eines plüschigen Gesellschaftsromans aus dem frühen 19. Jahrhundert

Hätten die Hausmädchen damals lesen können, wäre von ihnen das von der englischen Schriftstellerin Jane Austen 1803 veröffentlichte Buch „Pride and Prejudice“ bestimmt in ihrer skandalös kurzen Freizeit heimlich verschlungen worden. Es beschreibt immerhin in romantischer Herzschmerz-Manier das Treiben derjenigen Menschen, denen sie täglich um einen Hungerlohn zu Willen sein mussten. Sie hätten mit den wohlhabenden jungen Damen und Herren deren Liebesleid geteilt und bei den Bällen nicht nur den Champagner serviert, sondern danach im Traum mit einem Verehrer getanzt und geküsst. Im Grund geht es „Stolz und Vorurteil“ um die Probleme auf dem Heiratsmarkt in den oberen Schichten, die sich erstaunlicherweise gegeneinander in seltsam anmutenden Standesdünkel abschotteten. Ein Erbe darf nur von einem Mann angetreten werden, was in diesem Fall bei Mrs. Bennet mit fünf ledigen Töchtern erstaunliche Aktivität auslöst. Zumindest eine muss unter die Haube, bevor Mr. Bennet den Löffel abgibt und das kleine Vermögen dahin ist. Liebe? Unnötig, Hauptsache es wird geheiratet.

Stolz und Vorurteil, Ensemble © Bettina Frenzel

Stolz und Vorurteil, Ensemble © Bettina Frenzel

Clara Lou Kindel, Henrietta Rauth © Bettina Frenzel

Clara Lou Kindel, Henrietta Rauth © Bettina Frenzel

Isobel McArthur hat in ihrer originellen Dramatisierung des Romans dem Titel die Bemerkung (*oder so, treffender im Original *sort of) beigefügt. Es sind fünf Hausmädchen, die sich in einer „gewissen Art“ über die komplizierten Verwicklungen in den Kreisen ihrer Herrschaft hermachen und Jane Austens etwas verstaubte Geschichte zum Anliegen eines Publikums unserer Tage verwandeln. Das Quintett hat sichtlich Spaß an diesem Unternehmen. Mit Verve werden poppige Schnulzen aus den Hitparaden ab den 1970ern geträllert, es wird getanzt, dass die Kittel nur so fliegen, und die Rollen werden mit kleinen Veränderungen der Kostüme derart virtuos gewechselt, dass trotz einer verwirrenden Vielfalt an Namen meistens Klarheit über die im Moment agierenden Personen herrscht. Für das Theater zum Fürchten hat Rüdiger Hentzschel Inszenierung und einen seiner Zeit angepassten Raum geschaffen, praktisch mit Treppen, Balkonen und sogar Aborten.

Darin kann sich das Ensemble spielfreudig entfalten. Vor jeder Schauspielerin steht im Programmheft eine Reihe von Namen, wie bei Anaïs Marie Golder Clara (Dienstmädchen), Jane Bennet (die unglücklich Verliebte), George Wickham (Ein Soldat) und die überhebliche alte Lady Catherine de Bourgh. Clara Lou Kindel ist Effi und die selbstbewusste Elisabeth Bennet, die sogar dem stinkreichen Fitzwilliam Darcy (Henrietta Rauth auch als Flo und Mrs. Bennet) einen Korb gibt. Die fünf teils höchst unterschiedlichen Charaktere Tillie, Charlotte Lucas, den in Liebe entflammten Charles Bingley und Miss Bingley mit knallendem Fächer bewältigt Soi Schüssler mit erfrischender Leichtigkeit. Für komische Einlagen sorgt der dienstbare Geist Anne (Katharina Stadtmann), wenn sie als Lydia und Mary Bennet, Mister Collins und Mrs. Gardiner die Gesellschaft aufmischt. Was bleibt, ist die Gewissheit, dass am Ende alles gut ausgeht, da ausschließlich Frauen am Werk sind, die ganz genau spüren, wo es sich einst gespießt hat und wo man noch heute den Hebel zum Besseren ansetzen könnte.

Clara Lou Kindel, Henrietta Rauth, Soi Schuessler © Bettina Frenzel

Clara Lou Kindel, Henrietta Rauth, Soi Schuessler © Bettina Frenzel

Volpne, Ensemble © Bettina Frenzel

Volpne, Ensemble © Bettina Frenzel

VOLPONE List kontra Gier als „lieblose Komödie“

Johannes Terne, Goldtruhe, Sebastian von Malfèr © Bettina Frenzel

Johannes Terne, Goldtruhe, Sebastian von Malfèr © Bettina Frenzel

Eine amüsante Untersuchung im Unterbauch der menschlichen Natur

Das Venedig des 17. Jahrhunderts wird zum Schauplatz zeitlos übler Machenschaften. Volpone ist reich. Er hat keine Nachkommen und scheinbar auch kein Eheweib. Wer soll die mit Zechinen bestens gefüllte Truhe einmal erben? Der gute Mann will es wissen und gibt vor, in den letzten Zügen zu liegen. Drei „gute Freunde“ mit den sprechenden Namen Voltore (Geier), Corvino (Rabe) und Corbaccio (böse Krähe) versuchen sich beim Sterbenden einzukaufen, um nach dem letzten Schnaufer des Erblassers ihren Namen in einem bis dahin blanko Testament zu finden. Aber sie haben nicht mit dem schlauen Diener Mosca gerechnet. Den drei Erbschleichern ist keine Untat zu mies und keine Erniedrigung zu schmutzig, dass sie darauf nicht einstiegen, ohne zu erkennen, dass sie sowohl der Fliege als auch dem Fuchs auf den Leim gehen.

Florian Lebek, Peter Fuchs, Benjamin Spindelberg © Bttina Frenzel

Florian Lebek, Peter Fuchs, Benjamin Spindelberg © Bttina Frenzel

Viktoria Hillisch, Christoph Prückner © Bettina Frenzel

Viktoria Hillisch, Christoph Prückner © Bettina Frenzel

Als Urheber der Idee zu dieser Commedia dell´arte zeichnet erstaunlicherweise der englische Bühnenautor Ben Jonson (1572-1637). Stefan Zweig hat dessen Klassiker neu bearbeitet. Für das Theater zum Fürchten hat daraus wiederum Sam Madwar die jüngste Version geschaffen. Nachdem Madwar auch für Regie und Raum zuständig ist, entstand eine bis ins Detail schlüssig inszenierte Komödie, mit dem erhellenden Zusatz „lieblos“ zu sein. Schauplatz ist die einstige Serenissima. In die Palazzi der Vermögenden wird ebenso Einblick gewährt wie in Kerker und Gerichtssaal. Das Gleiche gilt für die Beteiligten, die ausnahmslos alle ihre Abgründe offen legen und das Publikum keinen Moment darüber im Unklaren lassen, dass es keine moralisch unantastbaren Menschen gibt, wenn es um Geld und Gold geht.

Sebastian von Malfèr, Johannes Terne, Randolf Destaller © Bettina Frenzel

Sebastian von Malfèr, Johannes Terne, Randolf Destaller © Bettina Frenzel

Benjamin Spindelberg, Ildiko Babos © Bettina Frenzel

Benjamin Spindelberg, Ildiko Babos © Bettina Frenzel

Randolf Destaller ist der windige Notar Voltore, der für seine Interessen sogar einen goldenen Kelch aus einer Kirche mitgehen lässt. Einer seiner Rivalen ist der Geschäftsmann Corvino (Christoph Prückner), krankhaft eifersüchtig auf seine liebe Gattin Colomba (Viktoria Hillisch) und dennoch bereit, sie dem todkranken Volpone als Gespielin zu überlassen. Eine der originellsten Figuren ist der vom Geiz zerfressene Corbaccio. Peter Fuchs wird zum uralten Zausel, der trotz seiner 85 Lenze auf das Vermögen des wesentlich Jüngeren spitzt und dafür seinen Sohn Capitano Leone (Benjamin Spindelberg) schäbig grinsend enterbt. Klar, dass dieser prächtige Soldat entsprechend ausrastet. Im Grunde die ehrlichsten Absichten hat die stadtbekannte Hure Canina (Ildiko Babos).

Sie hat sich eine Schwangerschaft eingefangen und – wenn das nicht an eine aktuelle Begebenheit erinnert?! – will den bald Dahingeschiedenen noch zu dessen ausklingenden Lebzeiten heiraten. Verwaltet werden die dargebrachten Geschenke von Mosca. Niemand kann der Überzeugungskraft eines Sebastian von Malfèr widerstehen, wenn er im Auftrag seines Herrn tätig wird und für ihn jedes noch so unwahrscheinliche Ansinnen verwirklicht. Ein grandioser Johannes Terne genießt sichtlich das üble Spiel als Volpone, wenn er hustend und rotzend dahinsiecht, um gleich darauf voller Leben die Zudringlichkeit seiner „Freunde“ mit Hohn und Verachtung zu strafen. Er weiß, was sich im „Unterbauch der menschlichen Natur“ so tut und zieht daraus freudig seinen Nutzen. Dass er kurzfristig hinter Gitter muss, eingesperrt von Florian Lebek als obersten der Spirren, ist das geringste Problem. Denn als passender Gag der Regie darf Terne auch als Richter über Volpone Recht sprechen, um die allseits blühende Korruption in diesem hinreißenden Spiel von Gier und List dick zu unterstreichen.

Sebastian von Malfèr, Johannes Terne © Bettina Frenzel

Sebastian von Malfèr, Johannes Terne © Bettina Frenzel

Burke & Hare, Ensemble © Bettina Frenzel

Burke & Hare, Ensemble © Bettina Frenzel

BURKE & HARE Eine tiefschwarze schottische Ballade

Thomas Marchart, Bernie Feit, Stephanie-Christin Schneider mit Opfer © Bettina Frenzel

Mord auf offener Bühne © Bettina Frenzel

Leichenhandel? Eine todsichere Geschäftsidee und mörderischer Einsatz für die Wissenschaft.

Prof. Monro (Jörg Stelling) unterrichtet Chirurgie am Royal College of Surgeons in Edinburgh, sein Kollege Dr. Knox (Christopher Korkisch) eben dort an der privat finanzierten Barclay School of Anatomy. Das Wichtigste für ihre Vorlesungen sind verwertbare Leichen, die jedoch Anfang des 19. Jahrhunderts nicht nur in Schottland Mangelware sind. Die einzigen (erlaubten) Objekte dieser Art fallen nach Hinrichtungen an. Es herrscht also ein richtiges Griss um Erhängte. Knox hat Geld und kann kaufen, Monro muss dagegen eine Intervention an höherer Stelle bemühen, um den Konkurrenten auszuschalten. Wie vom Himmel gesandt erscheinen die beiden Habenichtse William Burke (Thomas Marchart) und William Hare (Bernie Feit) mit einem in der eigenen Pension entschlafenen Bewohner bei Knox, der sich nicht kleinlich zeigt. Hare sieht darin eine grandiose Geschäftsidee, denn nichts scheint leichter zu sein, als Leichen aufzutreiben. Allerdings wird der Friedhof von einem Police Inspector (Paul Barna) und dessen Constable (Max Kolodej) streng bewacht. Also müssen Tote auf andere Weise besorgt werden, nicht zuletzt durch kräftiges Zuhalten des Mundes, das bald nach seinem Erfinder Burking genannt wird.

Christopher Korkisch, Robert Notsch, Jörg Stelling © Bettina Frenzel

Christopher Korkisch, Robert Notsch, Jörg Stelling © Bettina Frenzel

Burke & Hare, Ensemble © Bettina Frenzel

Burke & Hare, Ensemble © Bettina Frenzel

Ein mörderischer Reigen hebt an, ein Totentanz, der in einer Ballade unsterblich geworden ist. Bruno Max hat den düsteren Stoff für sein Theater dramatisiert und es geschafft, aus dem Grauen eine wahrhaft makabre Komödie zu formen; in erster Linie unter den ökonomischen Vorzeichen von Angebot und Nachfrage, gleichzeitig aber auch als historischen Abriss der Geschichte der Chirurgie. Mit Leichenöffnungen begann damals die wissenschaftliche Entwicklung zum modernen Einsatz des Skalpells. Dazu kommen Nebenstränge wie die Karrieren von Liston (Paul Barna), einem angehenden Arzt, und einem gewissen Charles Darwin (Max Kolodej), der sich bei Knox als Assistent ständig angespieben und deswegen auf Biologe umgesattelt hat. Mit der „Art Schauspielerin“ Helen McDougal (Lisa-Carolin Nemec) gibt es bereits Anklänge an den viel später aufflammenden Feminismus, wenn diese „vermutliche Tänzerin“ das Shakespeare-Drama MacBeth nur mit Frauen auf die Bühne stellen will. Nicht zuletzt werden die sozialen Missstände angesprochen, denen Stephanie-Christin Schneider als Lucky, die dem Alkohol verfallene Ehefrau von Hare, ein verhärmtes Gesicht verleiht.

Thomas Marchart, Bernie Feit © Bettins Frenzel

Thomas Marchart, Bernie Feit © Bettins Frenzel

Trotz allseits grinsender Totenschädel in einem durchgängigen Memento mori darf von Herzen gelacht werden. Dafür sorgt die Regie des Prinizpals, der sich dafür von Robert Notsch eine praktische Bühne bauen ließ: Galgen, Grabsteine, nächtlich finstere Gassen, ein Etablissement oder die armselige Wohnung von Hare sind nur einige der Schauplätze, an denen mit Wortwitz und subtiler Komik Produktion und Fledderei von Leichen betrieben wird. Da Notsch auch Schauspieler ist, wurde er unter anderem für die Rolle des Dummerleins Jamie engagiert und hinkt dabei bis zu dessen gewaltsamen Ableben ungemein berührend durch das Geschehen.

Raimund Brandner ist als Henker Freeman für todsichere Exekutionen und als ehrenwerter Lord Provost für das nicht ganz astreine Vermeiden eines Skandals zuständig. Eine richtige Moritat braucht auch Musik, die von Klaus Weissenböck/Roxanne Szankovic & Hartmut Kamm/Gerhard Zapletal mit Gitarre, Banjo & Co beigesteuert wird. Voraussetzung für den Besuch einer Aufführung von Burke & Hare ist zweifellos ein gutes Nervenkostüm, aber es wäre nicht die Skala Wien, gäbe es dort nicht verlässlich Theater zum Fürchten.

Lisa-Carolin Nemec, Katharina Krause © Bettina Frenzel

Lisa-Carolin Nemec, Katharina Krause © Bettina Frenzel

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