WIENER ZUCKERL Geschichten zum genüsslichen Lutschen
Wiener Zuckerl, Cover, Verlag Ueberreuter
Ein Buch wie ein Sackerl voll verschiedener Fruchtbonbons
Gerhard Loibelsberger sagt selbst, dass die Vielfalt Thema seines jüngsten Buches ist. Zum Titel inspiriert haben ihn die „Wiener Zuckerl“, die jeder, der sie einmal gekostet hat, ob ihrer fruchtigen Füllung schätzt. Einmal ist es die Johannisbeere, dann die Ananas oder die Marille, die man sich bedächtig erlutschen muss. Ein ähnliches Vergnügen wünscht der Schriftsteller bei der Lektüre der „Krimis und anderen Geschichten“, die im Ueberreuter Verlag erschienen sind. Sie sind teilweise eine Reise ins alte Wien, in dessen dunkle Gassen, in denen Mordbuben, Räuber, leichte Mädchen oder Giftmischerinnen ihr Unwesen getrieben haben. Ihnen allen kommt der gemütlich dicke Inspector Joseph Maria Nechyba irgendwann auf die Schliche, um sie zu arretieren. Unterbrochen wird die Verbrecherjagd nur von kulinarischen Seitensprüngen in diversen Restaurants oder am heimischen Herd, wo sich der Polizeibeamte u. a. ein grandioses Szegetiner Gulasch zubereitet.
Angeregt wurde Loibelsberger dazu von Zeitungsberichten aus der „guten alten Zeit“, in der es nicht viel anders zugegangen als heutzutage. Kriminalität ist zeitlos, nicht aber die Sprache. Vor allem in den Dialogen leben noch Wörter, die längst aus unserer Umgangssprache verschwunden sind. Ein Beispiel gefällig? Am Wiener Naschmarkt schreit die rote Rosi, eine übel beleumundete Weibsperson, den Herrn Inspector respektlos an, als er ihrem „Freund“ eine kräftige Linke verpasst. Hier beginnt nun das Zitat: „Lassen´s den Turl in Ruah! Sie bamstiger Kiberer, Sie! ...“ „Rosi, kusch!“ knurrte Nechyba. Dann nahm er den Turl beim Krawattl und drängte ihn an die Wand eines Standes. „Bist wahnsinnig g´worden, Turl? Willst das Arbeitshaus wieder von innen sehen?“ Der Strizzi stotterte: „Aber Herr Inspector, der Gotthelf hat mei Madl bestohlen....“ Was war nun wirklich passiert? Weiter in der Moritat an späterer Stelle: Die Gaffer applaudierten und die Freihaus Mitzi verkündete: „Versteckt hat sie´s g´habt. Zwischen ihren Tuttln. Weils dem Turl nix abgeben wollt...“ Wenn das nicht ein literarisches Zuckerl ist, das man geruhsam lutschen, pardon, lesen sollte und ja nicht zerbeißen, damit der g´schmackige Kern in der Pointe wirklich erst am Ende aufgeht.
Einladung zu einer Wanderung auf den vielen Wegen zu natürlicher Gesundheit
Pater Johannes Pausch OSB leitete bis 2019 das Europakloster Gut Aich in St. Gilgen am Wolfgangsee. Es dürfte einer der schönsten Arbeitsplätze der Welt sein, wo der Benediktinermönch seit 1993 das uralte Wissen seines Ordens und das anderer Klöster für das allgemeine Wohlsein der Menschheit aufbereitet. Es ist die Natur, die hier ihren besonderen Platz hat und dem geistlichen Forscher als wucherndes Labor für allerlei Medizin dient. Es sind mehr als übliche Medikamente, die in der Küche dieses Hauses entstehen.
Gedacht sind sie als Hilfe für Körper, Geist und Seele, eben Klosterheilkunde, wie sie sie einst die schriftkundigen Mönche und Nonnen aus der Antike über die Zeiten herauf bewahrt haben. Mit ihm hat Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Facharzt für Anästhesiologie und Allgemeine Intensivmedizin, diese Art und Weise der Heilung im Licht der sogenannten Schulmedizin betrachtet. Aus dieser Zusammenarbeit, getragen von gegenseitiger Achtung, entstand das Buch „Säulen der Klosterheilkunde“, das auch Laien einen Zugang in diese nicht unkomplizierte Materie eröffnet, nicht zuletzt erleichtert durch die reiche Illustration mit ungemein ansprechenden Fotografien.
„Allein im Gänseblümchen sind etwa 150 Wirkstoffe enthalten. So was kriegt keiner hin“, ist bereits eine Ansage, die für die Stärken dieser durchaus alternativen Behandlungsmethode spricht und Skeptiker überzeugen sollte. Es ist die unendlich große Erfahrung, die hinter einzelnen Rezepten steckt, angefangen vom Anbau der Kräuter und der richtigen Dosierung der Extrakte. Das allein wäre aber noch zu wenig. Einbezogen wird der Mensch als Ganzes im Sinne der Spiritualität, und es wird versucht, in dessen Leben wieder Ordnung zu bringen. Es sind fünf Säulen, auf denen die Klosterheilkunde ruht: Natur und Naturerfahrung, Bewegung, Beratung und gemeinsames Lernen, Therapie oder Behandlung und Lebensraum und Wohnen. „Bewegung und Ruhe gehören ganz eng zusammen. Jede Übertreibung ist Unfug“, ist eine der kleinen Hilfen zum Verständnis.
Das Buch beschränkt sich jedoch nicht auf Jahrtausende gepflegte Empirie der Benediktiner oder der Weisheit einer Hildegard von Bingen und eines Albertus Magnus. Vorgestellt werden auch Phänomene wie die „Wunderheilerin“ Krassimira Dimova, die ihre übernatürlichen Kräfte, die Energie, wie sie sie nennt, unerwartet mit einem grellen Licht erhalten hat.
Für sie ist es ebenso unerklärlich, aber eben Tatsache: „Ich spüre, wo im Körper Energiedefizite sind. Dort wird es brennend heiß.“ Breiten Raum nimmt auch die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) ein. Die Spezialistin Andrea Kainz erläutert die Prinzipien dieser fernöstlichen Methode, die neben der dadurch gewonnenen Heilung von Krankheiten die Bedeutung des gesunden Patienten unterstreicht. Wieder zurück im Europakloster finden sich abschließend probate Tipps zur eigenen Anwendung: zum Beispiel Ehrfurcht vor dem Leben haben, auf die Harmonie von Leib und Seele achten oder sich eine gesunde Lebensordnung schaffen. Es gibt etliche Möglichkeiten, im Sinn der Klosterheilkunde einer „Reparatur“ zuvorzukommen. Dazu eine wirkungsvolle Empfehlung von Pater Pausch: „Nehmen Sie sich Zeit für sich selbst. Zum Entspannen, zum Meditieren, zum Runterkommen“, in einer persönlichen Lesart der Regel des heiligen Benedikt: „ora et labora“.
Die Aufklärung eines Verbrechens am Hof Rudolf II. als Zeitreise ins Prag des 16. Jahrhunderts
Als Leser darf man den Schilderungen von Michaela und Karl Vocelka absolut vertrauen. Michaela (Mag.a.) studierte Geschichte und Kunstgeschichte, ihr Gatte Karl (Dr.) war bis zu seiner Emeritierung Außerordentlicher Professor für österreichische Geschichte an der Universität Wien. Nach einem reichen Werk an wissenschaftlichen Arbeiten hat die beiden Autoren offenbar der historische Roman gereizt. Es sollte ein Krimi werden. Zeit des Geschehens ist das Ende des 16. Jahrhunderts, Schauplatz in der Hauptsache Prag, die Stadt, in der Kaiser Rudolf II. über das Heilige Römische Reich regierte. Auch historisch weniger Gebildete wissen, dass dieser Habsburger einen Hang zum Sammeln von Kuriositäten hatte und gleichzeitig mit der Alchemie bestens vertraut war.
Damit war das ideale Umfeld für finstere Verbrechen gegeben, die in Konstantinopel ihren Ausgang nehmen und über ominöse Wege in das Zentrum des Reiches gelangen, um dort zu einem grausamen Ende gebracht zu werden.
Der Titel „Der Bezoar“ macht bereits neugierig. Aufgrund seiner Entstehung wird er auch als Magenstein bezeichnet und findet sich bis heute in den Schatzkammern von Adelshäusern und Museen. Es handelt sich um ein Wunderding mit vielfältiger Wirkung, wird ihm zumindest nachgesagt, und er war nicht zuletzt deswegen ein äußerst wertvoller Gegenstand, der zu kostbaren Schmuckstücken verarbeitet wurde. Die beiden Historiker zeigten in ihren Schilderungen keinerlei Berührungsängste mit blutigen Morden, der damals gepflogenen Folter und – Sex sells – einer unwiderstehlichen Weibsperson, die im Mittelpunkt dieser Machenschaften steht. Daneben werden Themen wie Protestantismus und Gegenreformation angeschnitten. Der „Detektiv“ ist ein junger Lutheraner aus dem Ausseerland, den es aufgrund administrativer Obliegenheiten nach Prag verschlagen hat. Mit ihm wandert man in der Stadt an der Moldau durch die Kleinseite und auf den Hradschin, besucht eine Apotheke dieser Zeit und erhält profunde Einblicke in das Wirken und Denken der Alchemisten, bevor man ihn zu einer Audienz bei Rudolf II. begleitet.
MYSTISCHES SALZKAMMERGUT Die andere Wirklichkeit hinter der Idylle
Begegnungen mit rätselhaften Phänomenen, geheimnisvollen Bräuchen und märchenhaften Plätzen
Beschaulich ruhende Seen, Berge, die zum Wandern verlocken, und zuckersüße Operettenmelodien, an all das denkt man zuerst, wenn vom Salzkammergut die Rede ist; eben an eine Sommerfrische, wie sie schon der Kaiser einst genossen hat. Etwas anders sieht die Sache aus, wenn eine Autorin wie Gabriele Hasmann ihren unbestechlichen Blick darauf richtet. Eine ihrer Domänen ist das – grob gesagt – Gruselige. Dazu zählen wahre Verbrechen, dunkle Flecken in der Geschichte und das Aufspüren von mysteriösen Phänomenen. Nichts ist davor sicher, auch nicht so anziehende Gegenden mit freundlichen Menschen, wie man sie beispielsweise in Bad Ischl in Oberösterreich, am Wolfgangsee im salzburgischen St. Gilgen oder im steirischen Bad Aussee findet.
In ihrem Buch „Mystisches Salzkammergut“ (Verlag Ueberreuter) lädt sie die Leserschaft ein, mit ihr hinter die Wände der gewohnten Wirklichkeit zu treten und zu staunen, was sich in dieser anderen Welt an Spannendem und Unerwartetem verbirgt.
Die Reise beginnt mit einer Umrundung des Mondsees. Wer genau hinschaut, sieht vielleicht noch das versunkene Dorf oder entdeckt eine Spur zum verborgenen Schatz im Kloster. Auch die Feiertage in dieser Region haben es in sich, wenn dabei alte Bräuche, zum Beispiel die Glöcklerläufe, wie vor Urzeiten noch gepflogen werden. Mysterien gibt es im Wasser wie am Land und lassen sogar die Queen of Crime Agatha Christie des Nachts in Hallstatt spuken. Bei Glücksplätzen, Kraftorten und Naturgeistern ist allerdings ein unerschütterlicher Glaube an derlei Phänomene unabdingbare Voraussetzung. Wenn man sich jedoch durch Handauflegung am „Nabel Österreichs“ gestärkt fühlt, dann kann daran nichts Unrechtes sein. Die Geschichten lesen sich fein und zügig, enthalten entsprechende Ortsangaben und machen Lust auf einen esoterischen Aktivurlaub. Schade, dass die Fotos fehlen. An ihrer Stelle finden sich größtenteils lediglich Aquarelle, wie sie die Künstler im 19. Jahrhundert angefertigt haben, um den Daheimgebliebenen einen Begriff von der Faszination des Salzkammergutes zu vermitteln.
LESERBRIEFE ANNO DAZUMAL Zeitlose Weltverbesserungsvorschläge
Hier sind es meistens die Frauen, die „ein bisserl schimpfen, ein bisserl räsonieren“.
„Bei der Fahrt in den Straßenbahnen treffen sich oft zwei Bekannte, welche in der gedrängten Zeit des Zusammenseins alle ihre ex- und internen Angelegenheiten möglichst ausführlich zur Sprache bringen wollen. Die armen Mitreisenden... sitzen dabei, rettungslos dem über sie flutenden Redestrom preisgegeben“, beklagte sich am 16. Februar 1913 eine Abonnentin der Zeitschrift „Wiener Hausfrau“. Wer denkt da nicht sofort an die lautstark telefonierende Sitznachbarin unserer Tage?! Ähnliches gilt für den „Schwatzkatarrh“ im Theater oder die Frischverliebten, die hemmungslos ihre Zärtlichkeiten in aller Öffentlichkeit austauschen, ohne nur den geringsten Gedanken an eventuelle Betretenheit ihrer Gegenüber zu verschwenden. An der Rücksichtslosigkeit gegenüber den jeweiligen Zeitgenossen hat sich also in den letzten hundert Jahren kaum Wesentliches geändert.
„Klaghansl“ hieß die Rubrik, die ihren Leserinnen ermöglichte, kleine, aber um nichts weniger störende Ärgernisse in Leserbriefen zur Sprache zu bringen. Es sind keine Reaktionen auf Artikel dieser Zeitschrift, sondern durchwegs persönliche Statements von Menschen, die sich mit ungezogenen Hunden im Restaurant, gefährlich spitzen Hutnadeln oder gedankenlosen Mistmachern nicht abfinden wollten. Medienprofi Stefan Franke hat darin geschmökert und im Verlag Ueberreuter eine Auswahl der originellsten und erstaunlich literarischen Aufsätze begabter Laien als Schmunzelbuch herausgegeben. Schnitt und Einband entsprechen in ihrer ansprechend altmodischen Aufmachung voll und ganz dem liebevoll umständlichen Titel „Ein bisserl schimpfen, ein bisserl räsonieren“, da man es damals – und das unterscheidet sich gewaltig von den Hasstiraden und Untergriffen in den Social Media – noch verstanden hat, sich mit Stil und ohne bösartiges Geschimpfe zu ärgern.
SÜNDIGES WIEN Schamlose Lebenslust durch alle Zeiten
Der Bericht über eine Stadt, die stolz ist auf ihre Skandale, auf Lust und Laster
Wenn es sie gibt, die biederen Damen und Herren, die noch nie in ihrem Leben Unkeuschheit getrieben haben, dann sollten diese um das Buch von Gabriele Hasmann einen weiten Bogen schlagen. Zu leicht könnten sie auf die Idee verfallen, zumindest einen vorsichtigen Schritt in die finsteren Abgründe sexueller Ausschweifungen, käuflicher Liebe und schmutziger Pornografie zu wagen. Versuchungen lauern auf Schritt und Tritt durch die dunklen Gassen mit den roten Laternen und vermögen auch den Standhaftesten vom Weg der Tugend in ihre Lasterhöhlen hinab zu zerren. Derlei moralische Verirrungen haben Tradition in unserer Stadt und trugen nicht zuletzt zum zweifelhaften Ruf des Wiener Blutes bei.
Schon die Römer trieben es toll im Lupanarium (Freudenhaus) am heutigen Michaelerplatz, wo die Soldaten die Liebesdienste mit eigens geprägten Bordellmünzen bezahlten. Die frühen Habsburger ließen die Venusdienerinnen ebenfalls wohlwollend gewähren, unter den Augen der Kirche, die das Puff, ein Würfelspiel, neben anderen Vergnügungen tolerierte. „Porzellanfuhren“, der „Mopsorden“ oder „Grabennymphen“ begleiten den Leser bis herauf in der Zeit, als Kaiser Franz Joseph inkognito seine Libido auslebte, die Leiche von Komtesse Mizzi aus dem Donaukanal gezogen wurde oder Wien im Fin de siècle zur Hauptstadt der Pornofotos avancierte.
Wer jedoch in dieser Beziehung nicht frei ist von Schuld, dem sei „Sündiges Wien. Skandale, Lust und Laster“, erschienen im Verlag Carl Ueberreuter, an das von Sinnlichkeit und Liebe übervolle Herz gelegt. Gabriele Hasmann hat gründlich recherchiert und erzählt in kurzweiliger Form aus der bemerkenswerten Historie unserer Stadt die unglaublichsten Geschichten. Und die Gegenwart? Nachtclubs und schummrige Bars sind mit voller Adresse angegeben und als Gebrauchsanweisung werden Ausdrücke aus der Halbwelt übersetzt. Es zählt schließlich zum verlässlichen Allgemeinwissen, dass man Zuhälter, Bereiter, Kuppler, Mittelsmänner oder Schläger auf ihren Sitzplätzen auf der Galerie auszumachen versteht, oder als einen Leckerbissen für Sprachkundler das Wort „füdenol“ in die schlüpfrige Unterhaltung einwirft. Damit erregen Sie, werter Herr, garantiert bewundernde Aufmerksamkeit der anwesenden Damen. In diesem Sinne verspricht der nobel altrosa gehaltene Rücken dieses feinen Bändchens (192 Seiten) anregende Lektüre und ist nicht zuletzt eine prickelnde Bereicherung der erotischen Abteilung in Ihrer Bibliothek.
DER DOZENT UND DER TOD Wissenschaft schützt nicht vor Mord
Ein wahrer Akademikerkrimi, mit Opfer, Täter und Autor aus dem Universitätsmilieu
Karl Vocelka, p. t. Univ.-Prof. Dr. Karl Vocelka, ist, sehr vereinfachend gesagt, Historiker. Natürlich ist er viel mehr: Professor für Österreichische Geschichte, u. a. Präsident des Wissenschaftsforums Tschechen in Wien, Autor bedeutender Bücher und und und... Einen für diese hochgelehrte Welt doch recht ungewöhnlichen Beitrag hat Volcelka nun vorgelegt. Im Verlag Ueberreuter ist kürzlich eine belletristische Arbeit von ihm erschienen, mit einem Titel, der sich schon in seiner Kürze von den meist ausufernden Wortkaskaden auf der ersten Seite wissenschaftlicher Publikationen unterscheidet: „Der Dozent und der Tod. Ein Universitätskrimi“. So liest sich auch der Text weit vergnüglicher als beispielsweise eine Abhandlung über „Habsburgische Hochzeiten 1550-1600“. Dazu kommt eine raffiniert aufgebaute Spannung, die ein „Rudolf II. und seine Zeit“ beim besten Willen nicht bieten kann.
Das Personal ist mit Bedacht ausgewählt. Jede und jeder ist verdächtig, den Mord begangen zu haben. Und das in der Universität, diesem für einen Außenstehenden so hehren Tempel der Lehre mit scheinbar durchwegs integren Mitgliedern. Man muss Vocelka bei seinem Blick in die tiefsten Abgründe dieser Institution brutale Ehrlichkeit konstatieren, wenngleich er die Tatzeit vorsichtshalber in die Vergangenheit rückt, quasi in sein Metier, in dem er das Geschehen historisch beleuchtet.
Worum geht es? Bei einem Probesingen, so wird im Insiderjargon der Probevortrag in einem Auswahlverfahren für einen Lehrstuhl genannt, fällt ein Kandidat nach kurzer Begrüßung einfach um und stirbt. Herzinfarkt oder Gift? Als Erzähler tritt der Dozent eines benachbarten Institutes auf. Da es sich um sogenannte Orchideenfächer – der Dozent ist Turkologe, der neue Professor wird für die Indologie gesucht – handelt, glauben die Beteiligten von zahllosen Auseinandersetzungen einander zu kennen. Damit gerät der Dozent als erster in das Visier von Chefinspektor Lietzmann. Wie er sich daraus befreit, wie viel Detektivarbeit seinerseits dafür nötig ist und wer schlussendlich als Täter überführt werden kann, ist die eine Ebene. Dazu kommt eine anregende Beschreibung des freien Sexual- und sonstigen Genusslebens eines Alt-Achtundsechzigers in den 1980er-Jahren. Literarisch wird es schließlich in einem inneren Monolog, mit dem der von Dämonen und Komplexen verfolgte Mörder den Roman einleitet und in der Folge immer wieder wortgewaltig auftritt. Man kennt also den Verbrecher und weiß dennoch nicht, wer sich hinter der von tödlichen Hass erfüllten Kreatur versteckt. Perfekt! Das nennt man akademische Akribie, wie sie wohl nur ein des vielseitigen Schreibens mächtiger Wissenschaftler zustande bringt.
DREIZEHN LEBEN Frauen, die man kennenlernen sollte
Wunderkind, Friedenaktivistin, Migrantinnen-Rap oder Architektin, in jedem Fall bedeutend
Dem Menschen scheint es ein großes Bedürfnis zu sein, sich in den Niederungen seines unbedeutenden Lebens an einigen wenigen Vorbildern zu orientieren, zu anderen aufzuschauen und an deren Größe die eigene Kleinheit und das alltägliche Versagen zu vergessen. Biographien sind deswegen meistens Renner auf dem Buchmarkt. Sie bieten dem Leser Einblicke in eine Welt, die er außerhalb der gedruckten Zeilen nie betreten darf. Lebensbeschreibungen können aber durchaus auch einen Anstoß geben, sich selbst am Riemen zu reißen und mit der erlesenen Inspiration couragiert neue Wege in Angriff zu nehmen.
Sie zeigen Möglichkeiten auf, aus dem persönlichen Schlamassel, in dem sich 99 Prozent unserer Gesellschaft gefangen wähnt, einen Ausbruchsversuch zu wagen. Diese Intention liegt dem Buch „Dreizehn Leben“ (erschienen im Verlag Carl Ueberreuter) von Anna Badora, hierzulande als Direktorin des Volkstheaters noch in guter Erinnerung, laut Untertitel „Frauenporträts, inspirierend und wegweisend“ zugrunde. Bei den Kurzbiographien bedeutender Frauen dürfen sich gerne auch Männer eine Scheibe abschneiden und erkennen, dass nicht nur sie mit ihren Misserfolgen allein dastehen, sondern diese Schicksal durchaus mit Frauen teilen. Hier dürfen sie tröstlich erfahren, dass auch mancher der in diesem Buch vorgestellten Heldinnen der Aufstieg zu Spitzenpositionen nicht in die Wiege gelegt war.
Und trotzdem haben sie es geschafft, wie Lotte Ingrisch. Sie erinnert sich bitter an die ständigen Streitereien ihrer Eltern, die nicht selten in Handgreiflichkeiten und Schlägen mündeten. Von der Mutter wurde ihre Ambition zum Schreiben verspottet und ihre Erziehung durchlitt sie in einem sadistisch geführten Klosterhort. Dennoch ist sie heute die Ingrisch, wie ihre Freunde sie achtungsvoll nennen, unter anderem neben anerkannten literarischen Arbeiten Autorin von Libretti für ihren über alles geliebten Gatten Gottfried von Einem. Zu gerne wird sie auch als Geisterseherin abgestempelt; eine Fähigkeit, die sie in der Biographie von Anna Badora mit gesundem Menschenverstand und Quantenmechanik zu erklären versteht. Ihre 1993 gegründete „Schule der Unsterblichkeit“ ist eine praktische Anleitung, der Angst vor dem Tod gelassen zu begegnen, und damit für alle Menschen zweifellos höchst relevant.
Ganz anders verlief der Werdegang von Brigitte Bierlein, der charmanten Bundeskanzlerin in einer Zeit, als am Ballhausplatz nichts mehr zu gehen schien.
Lotte Ingrisch, Foto Thomas Finkenstädt
Brigitte Bierlein Foto: Thomas Finkenstädt
Ihr verlässlicher Wegbegleiter war der griechische Gott Kairos. Man kann ihn der Legende nach im Vorbeigehen nur an der Stirnlocke festhalten. Greift man nicht rechtzeitig zu, hat man nur mehr seinen kahlen Hinterkopf vor sich und die Chance ist vertan. Bierlein hat stets im richtigen Moment am rechten Ort zugepackt, wurde Juristin und als solche schließlich Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes. Sie ist damit eine Pionierin wie auch viele andere der Frauen, die sich was zugetraut haben, wie man so schön sagt, und in diesem Buch auf wunderbar erzählte Weise kennengelernt werden können.
Warum gerade dreizehn? Es kann banale verlagstechnische Gründe haben. Unglückszahl, Glückszahl, jedenfalls ist die Dreizehn geheimnisvoll und mystisch aufgeladen und lässt damit eine allem Weiblichen immanente Botschaft durchschimmern. Die Fotoporträts zu den einzelnen Frauen stammen von Thomas Finkenstädt, Ehemann von Anna Badora und Betreiber des Internetproviders, auf dem Sie gerade diesen Artikel lesen.
Geschichten und Anekdoten über die gekrönten Habsburger
Fast 650 Jahre hat das Geschlecht der Habsburger europäische Geschichte geschrieben. Man hat sie geliebt und gehasst, hat ihnen zugejubelt oder sie gar aus ihren Residenzen verjagt. Die letzte und endgültige Vertreibung fand im Oktober 1918 statt, als der letzte Kaiser von Österreich, Karl I., der Republik Deutsch-Österreich weichen musste. Bis dahin hatte sich das Volk immer wieder mit ihren Herrschern abgefunden und ihnen zumindest den Thron nicht streitig gemacht. Wenn es hierzulande Revolutionen gab wie anno 1848 wurden nicht die Untertanen nach ihrem Willen gefragt. Viel mehr entschieden Familienmitglieder, in diesem Fall die Erzherzogin Sophie, die Mutter des späteren Kaisers Franz Joseph, und deren Ratgeber, wie es mit der Monarchie weitergehen sollte. Eines durfte auf keinen Fall aufgegeben werden: Der von Gottes Gnaden legitimierte Anspruch auf die Herrschaft. Das bedingte freilich eine heutzutage unvorstellbare Erbfolge, die keine Rücksicht auf die jeweiligen Fähigkeiten nahm und Menschen die Krone aufsetzte, die nicht dafür geeignet waren.
Dazu kam eine Heiratspolitik, die sich in einem unbegreiflichen Standesbewusstsein keinen Deut um Degenration und Inzucht kümmerte; Hauptsache, die Kandidatinnen entsprachen dem Rang, der einem Kronprinzen würdig war und waren entsprechend gebärfreudig. Dass damit auch Kretins, Idioten oder Lustmolche auf den Thron gelangten, war das traurige Ergebnis, unter dem die Bevölkerung zu leiden hatte, sich aber kaum wirksam wehren konnte.
So stellt sich nun die Frage, wie und warum sich das Haus Habsburg dennoch über so lange Zeit in der Spitze der gekrönten Häupter halten konnte. Eine Antwort darauf hat die Historikerin Sigrid-Maria Größing gesucht, indem sie angefangen von Rudolf I. bis zu Karl I. dem Leben aller zu Königen oder Kaisern gekrönten Habsburger nachgegangen ist und von jedem einzelnen ein ausführliches und in vielen Fällen ernüchterndes Bild seiner Persönlichkeit gezeichnet hat. Der Titel „Kaiserlicher Glanz. Habsburgs Herrscher in Geschichten und Anekdoten“ (Verlag Ueberreuter) mag daher irreführend sein, denn von Glanz ist selten die Rede. Abgesehen von diesem unbedeutenden Mangel ist ihr Buch jedoch ein erfrischender Kontrapunkt zu vielen Werken, die nicht selten in Reminiszenzen einer großen Zeit schwelgen und einer falschen Romantik huldigen. Nach der letzten Seite ist man überzeugt, dass wir uns glücklich schätzen müssen, in einer demokratischen Republik zu leben, unseren Bundespräsidenten alle sechs Jahre wählen zu dürfen und eine Verfassung zu besitzen, die auch über Krisen wie in jüngster Zeit „elegant“ erhaben ist.
So schreibt Größing über Friedrich III. unter „Die Krone war ihm eine Last“, dass „die sieben Kurfürsten einen schwachen Mann zu wählen beabsichtigten. Friedrich kam ihnen dabei sehr entgegen, Gerüchte besagten, dass er saft- und kraftlos, entschluss- und energielos wäre.“ Bei Ferdinand I., einem Opfer der Familientradition, wird die Autorin noch deutlicher. Ihrer Meinung nach hätte dieser Mann „niemals die Nachfolge seines Vaters (Franz II./I.) antreten dürfen, viel wäre ihm und der Monarchie erspart geblieben, aber die Gesetze der Primogenitur wurden peinlichst eingehalten, wenn ein Stammhalter in der Kaiserfamilie geboren war.“ Einige Lichtgestalten wie Maria Theresia oder Maximilian I. hellen das über weite Strecken düstere Bild etwas auf. Aber auch sie müssen sich im hellen Licht dieser strengen historischen Beurteilung einige Rügen gefallen lassen – was allerdings ihre ewige Ruhe in der Kapuzinergruft kaum stören dürfte, wo sie nach wie vor die Verehrung von Menschen genießen, die sich unverdrossen nichts weniger als eine Rückkehr der Monarchie mit den Nachfahren just dieser gekrönten Häupter erträumen.
HABSBURGS KAISERINNEN Mehr als nur Mütter des Nachwuchses
Die Frauen an der Seite der Kaiser: unbekannt, rätselhaft oder übermächtig
Ihre Namen sind großteils nur Historikern bekannt, sie scheinen im Stammbaum der Habsburger zwar auf, aber sie wurden zumeist von der Forschung nicht mehr als eine Randnotiz behandelt. Manche von ihnen waren selbst zur Kaiserin gekrönt worden, andere erhielten diesen Titel aufgrund ihrer Ehe mit einem Kaiser und die berühmteste von allen, Maria Theresia, war überhaupt nie Kaiserin und blieb doch als solche bis heute im Gedächtnis Österreichs erhalten. Die Habsburg Spezialistin Sigrid-Maria Größing ist dem Phänomen Kaiserin nachgegangen und hat diese Frauen in ihrem jüngsten Buch „Habsburgs Kaiserinnen, Rätsel und Schicksale der geheimen Herrscherinnen“ (Ueberreuter 2017) aus dem Dunkel der Geschichte herausgeleuchtet. Das Erstaunliche dabei: Auch etliche ihrer Gatten, die zu ihrer Zeit ein riesiges Reich beherrscht haben, sind mittlerweile dem allgemeinen Vergessen anheim gefallen. Wer außer einem Historiker kann sich auf Anhieb mit Friedrich III. etwas anfangen, abgesehen vielleicht von seinem Wahlspruch AEIOU, mit dem er der Welt bis heute ein ungelöstes Rätsel aufgegeben hat.
Oder mit Maximilian II., von dem man hier erfährt, dass er vor der Heirat ein zügelloser Lüstling war, von seiner Frau Maria von Spanien aber zur Räson gebracht wurde und die beiden in einer durchaus harmonischen Ehe lebten.
Es ist wohl dem erzählerischen Können der Autorin zu verdanken, dass sich die Geschichten um die einzelnen Kaiserinnen auch für einen Laien kurzweilig lesen. Man trifft die arme reiche Kaiserin Bianca Maria Sforza von Mailand, die das Unglück hatte, mit dem viel älteren Maximilian I. verheiratet zu werden. Sie galt, so Sigrid-Maria Größing, als Goldmädchen, das der sich stets in Geldnot befindliche Kaiser nicht ausschlagen konnte. Sie schreibt, dass das Aussehen dieser jungen Frau dem Brautwerber einigermaßen bedeutungslos war. „Er sehnte sich nicht nach einer neuen Frau, ihm ging es lediglich um die blanken Dukaten.“ Er kümmerte sich nicht um seine Gattin und trug dazu bei, dass sie sich, nachdem ihr Vermögen verbraucht war, zu vernachlässigen anfing.
„Halb verhungert, fristete sie ihr Dasein, ohne Mann und Kind zog sie im Lande umher und nirgendwo erkannte man in der heruntergekommenen Frau mit dem eisgrauen Haar die einstmals steinreiche Gemahlin des Kaisers.“
Das Kapitel, das Elisabeth, kurz Sisi, gewidmet ist, erscheint erstaunlich kurz im Vergleich zu allen den Mythen um diese Kaiserin, mit denen ganze Bibliotheken gefüllt worden sind. Sigrid-Maria Größing zieht kurz und lapidar den Schluss, dass Elisabeth nur im Film eine Märchenkaiserin war und dass „es herzlich wenig war, was diese Frau zu ihren Lebzeiten für das Land, in dem sie Kaiserin war, bewirkt hat.“ Feststellungen wie diese bergen natürlich Sprengstoff in sich und dürften nicht unwidersprochen bleiben. Aber was könnte einem Buch besseres passieren, als diskutiert zu werden, um auf diesem Weg ein bisher eher unbearbeitetes Kapitel der nicht unwesentlichen Geschichte der Habsburger einer breiten Öffentlichkeit nahe zu bringen.
Sigrid-Maria Größing: Habsburgs Kaiserinnen, Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2017, IBN 978-3-8000-7681-8-9, Preis € 21,95