Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Wasserspeicher am Rosenhügel, Bild v. S. 43

Wasserspeicher am Rosenhügel, Bild v. S. 43

WIEN UND SEINE BERGE Bilderreicher „Großstadt-Alpinismus“

Wien und seine Berge, Cover 900

Wien und seine Berge, Cover 900

Vom Konstantinhügel bis zum Hermannskogel über die Höhepunkte einer Weltstadt

Es ist stets eine Auslegungssache, was als Berg bezeichnet werden kann. Kommt es auf die Höhe an? Oder auf die äußere Erscheinung mit Abhängen und Gipfel? Oder genügt die Tradition, die eine Erhebung welcher Art auch immer als Berg benamst? In Wien werden wohl alle drei Fragen mit einem Ja beantwortet werden müssen.

Kulturwissenschaftler Matthias Marschick und der Journalist Edgar Schütz haben in diesem Sinn die Berge der Großstadt „bestiegen“, ganz ohne Seil und Pickel, sondern eher über Aufstiegshilfen wie Bezirksmuseen oder topographische Archive, in denen die Geschichte der jeweiligen Bodenerhebung entdeckt wurde. Dazu wurde von der Edition Winkler-Hermaden in gewohnt großartiger Manier historisches Bildmaterial zusammengetragen, um mit dem Buch „Wien und seine Berge. Weltstadt mit vielen Höhepunkten“ einesteils zu einer bequemen Lesetour, andererseits zu einer möglicherweise schweißtreibenden, letztlich aber glücklich machenden Wanderung einzuladen.

Die eiserne Jubiläumswarte am Gallitzinberg Bild v. S. 72

Die eiserne Jubiläumswarte am Gallitzinberg, Bild v. S. 72

Kahlenbergbahn 1874, Gemälde von Emanuel Baschny, 1918 Bild v S. 11

Kahlenbergbahn 1874, Emanuel Baschny, 1918 Bild v S. 11

Was fällt einem Wiener als erstes ein, wenn er einen Berg seiner Heimatstadt benennen soll? Berühmt ist der Kahlenberg, ehedem Sauberg, und Nachbar des Leopoldsberges, dem ursprünglichen Kahlenberg, mit seinem unvergleichlichen Blick über die Stadt. Schon in der Schule wurde erzählt, dass von dort oben das christliche Abendland vor der osmanischen Eroberung gerettet wurde.

Gemälde und Fotos illustrieren die Vergangenheit bis in die jüngste Gegenwart. Anlässlich der Weltausstellung 1873 wurde eine Zahnradbahn für den Aufstieg von Nussdorf her geboten, ab 1935 konnte von den Terrassen des Kahlenbergrestaurants fein gegliedert in Bürgertum oben und Arbeiterschaft unten über die Weinberge geblickt werden und seit die Autos zum Allgemeingut geworden sind, füllen diese, mit Anfahrt über die Höhenstraße, am Tag und jüngst auch in der Nacht dessen Parkplatz. So hat jeder Berg (z. B. Gallitzinberg, Heuberg, Cobenzl) und beinahe jeder Maulwurfshügel (Spittelberg oder Rautenweg) in Wien seine eigene besondere Historie, die unser Leben mit dem ewigen Auf und Ab in unserer Heimatstadt verbindet.

Luftbild mit den Serpentinen der Höhenstraße, Bild S. 17

Luftbild mit den Serpentinen der Höhenstraße, Bild S. 17

János Kalmár, Wiener Neustädter Kanal, Schafflerbrücke, S. 113

János Kalmár, Wiener Neustädter Kanal, Schafflerbrücke, S. 113

VERSCHWUNDENES INDUSTRIEVIERTEL

Die Melancholie geschlossener Rollläden

János Kalmár, Werkskanal in Pottendorf, S 47

János Kalmár, Werkskanal in Pottendorf, S 47

Illustrierte Geschichte mit einem Schuss Nostalgie zum Wandel und Handel von einst

Der Untertitel „Über Greißler und Wirtshäuser, Industrie- und Gewerbebetriebe, Hotels und Pensionen, die es nicht mehr gibt“ liest sich wie das Programm einer umfassenden Präsentation von Lost Places, diesen Orten mit der geheimnisvollen Aura eines in Ruinen gefangenen Lebens. Das Industrieviertel, auch als Viertel unter dem Wienerwald bekannt, kann davon eine gewaltige Fülle aufbieten. Im Süden der Hauptstadt Wien fanden Unternehmer Jahrhunderte lang die optimalen Voraussetzungen für ihre Betriebe – und das Erstaunliche, sie finden sie bis heute. Der Namensteil „Industrie“ hat noch seine volle Berechtigung. Allein der stetige wirtschaftliche und technische Wandel sowie historische Ereignisse wie zwei große Kriege haben jedoch ihre Spuren hinterlassen. Übrig geblieben ist von damals – um einen Ausdruck aus der Computersprache zu verwenden – die nicht mehr benötigte Hardware. Zum Teil ist sie traurige Erinnerung, nicht selten aber auch voll Romantik, die so mancher kunstvoll vom Zahn der Zeit benagten Baulichkeit eigentümlich ist.

János Kalmár, Geschlossener Betrieb in Wiener Neudorf, S. 72

János Kalmár, Geschlossener Betrieb in Wiener Neudorf, S. 72

János Kalmár, Einmannbunker auf dem Gelände der ehem. Raxwerke S 132

János Kalmár, Einmannbunker in den ehem. Raxwerken S. 132

Das Buch „Verschwundenes Industrieviertel“ (erschienen in der Edition Winkler-Hermaden) ist aber mehr als ein Bilderbogen von Zeugnissen des Untergangs. Drei Historiker (Dr. Ernst Bruckmüller, Dr. Reinhard Linke und Christoph Mayer, MAS) haben einen aufschlussreichen Textteil erstellt. So erzählt „Von Mühlen und Hämmern zur Herrschaft der Dampfmaschine“ von den Anfängen, die in der frühen Neuzeit zu suchen sind. Aus einzelnen Werkstätten befreiten sich mit dem Merkantilismus erste Manufakturen aus rigiden Zunftordnungen. Der Bau der Semmeringbahn war eine weitere Zündung, die u. a. in Wr. Neustadt eine Lokomotivfabrik ermöglichte. In Berndorf begann die Herstellung von feinem Tafelbesteck und in Ternitz prägten Eisenwerke den Ort. Rüstungsbetriebe, so liest man, produzierten Zerstörung, um schließlich selbst zerstört zu werden. Wr. Neustadt ist dafür ein tragisches Beispiel. In den Bombardements Ende des Zweiten Weltkrieges blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Es führte dazu, dass sich ein ganzes Landesviertel neu erfinden musste, sowohl in der Produktion als auch im Handel und dem Dienstleistungsgewerbe, in dem erst die jüngere Vergangenheit unübersehbare Veränderungen brachte, wie geschlossene Rollläden, die nicht nur vor Greißlern und Trafiken, sondern auch vor Postämtern und Banken herabgelassen wurden.

János Kalmár, ehem. Kurhaus am Semmering S. 79

János Kalmár, ehem. Kurhaus am Semmering S. 79

Verschwundenes Indutstrieviertel, Cover 900

Verschwundenes Indutstrieviertel, Cover 900

Bei einem Spaziergang entlang des Wiener Neustädter Kanals kann man sich von anschleichender Melancholie erholen. Begleitet wird man dabei von den Fotos des Bildautors János Kalmár. Sein Beitrag macht den weitaus größten Teil des Buches aus. Kalmár hat die Relikte einer industriellen Vergangenheit ins rechte Licht gesetzt, ohne die Tristesse zu übertreiben und trotzdem den Verfall sichtbar zu machen. Dazu hat er sich zwischen Gesträuch durchgezwängt, um die kargen Mauerreste einer Munitionsfabrik festzuhalten, ist über aufgelassene Gleisanlagen in ein verlassenes Gummi- und Kabelwerk eingedrungen und lässt auf seiner Suche nach optischen Sensationen die einstige Herrlichkeit in den Grandhotels am Semmering neu erglänzen. Vieles davon kennt man, sofern man im Industrieviertel aufgewachsen ist, aus eigener Anschauung. So ist vom Zug aus noch immer „Korksteinfabrik-A.G vormals Kleiner u Bokmayer“ in Mödling zu lesen. Auf dem Gelände selbst werden tatsächlich noch Dämmstoffe erzeugt, das 1901 errichtete ehemalige Produktionsgebäude steht dankenswerter Weise unter Denkmalschutz, ein Benefizium, das den meisten anderen, auf diesen Bildern noch präsenten Anlagen verweigert wurde.

WANDERBARES WEINVIERTEL zwischen Manhartsberg und March

Sockenweg bei Herrnbaumgarten © Thomas Ruzicka

Sockenweg bei Herrnbaumgarten © Thomas Ruzicka

33 Wege zu bukolischen Genüssen und unentdeckten Attraktionen

Das G´scheiteste ist, wenn man das Auto daheim lässt. Das Viertel nördlich von Wien ist recht gut mit den Öffis erschlossen. Sie bringen einen flugs von der Großstadt hinaus in die Natur, die zwischen den meist kleinen Ortschaften noch in Hülle und Fülle vorhanden ist. Dabei kann es ganz leicht passieren, dass man in einer der malerischen Kellergassen angesprochen wird. Ein alter Herr sitzt vor seinem Keller in der Sonne und erfreut sich an einem Glas Wein. Es handelt sich dabei um den Vater des Weinbauern, der die Produktion schon längst zum Haus im Ort verlegt hat. „Na, habt´s kan Durscht?“ werden die mit Wanderstöcken und Rucksäcken ausgerüsteten Vorbeieilenden in ihrem Vorwärtsdrang gebremst. Schon haben sie Platz genommen und laben sich an einem Spritzer, während sie dem neugierigen Kellermann bereitwillig erzählen, woher sie kommen und was sie in diese Lössschlucht geführt hat. Nachdem der Rest des Weges absehbar ist, bleibt man gern noch sitzen und aus einem werden drei, vier erfrischende Gläser dieses wunderbaren Getränkes. Deswegen, das G´scheitetse ist, wenn man das Auto daheim lässt.

Ein Beispiel für die Wunderwelt der Kellergassen © Thomas Ruzicka

Ein Beispiel für die Wunderwelt der Kellergassen © Thomas Ruzicka

Die Hanslburg, eine künstliche Ruine © Thomas Ruzicka

Die Hanslburg, eine künstliche Ruine © Thomas Ruzicka

Diese sehr persönliche Einführung gilt einem Buch der Edition Winkler-Hermaden. Zwei Spezialisten schlagen unter dem Titel „Wanderbares Weinviertel“ 33 Runden zwischen Manhartsberg und March vor. An denen sind oben die beschriebene Gastfreundschaft ebenso zu finden wie bequem zu gehende Wege und nicht zuletzt Sehens- und Wissenswertes. Johanna Ruzicka ist als geborene Riegelhofer eine „fast echte“ Poysdorferin und kennt diese Gegend g´rad´ so gut wie ihr Westentaschl. Ihr Mann Thomas kommt aus Gerasdorf/Kapellerfeld im Marchfeld und kann eine Ausbildung zum Kellergassenführer vorweisen.

Man darf den beiden blind vertrauen, wenn zuerst die Details der Wanderung angeführt werden. Sie sind alle die Strecken abgegangen, haben dabei keine Kreuzung und kein Hinweisschild übersehen und sicherheitshalber eine kleine Landkarte mit rot gezeichnetem Weg dazu gesetzt. Als Draufgabe kommt eine Geschichte aus der Geschichte. Am besten zeigt es ein Beispiel: Altlichtenwart / Althöflein: Zwischen Bunker und Aussichtsturm. Nach der Wegbeschreibung wird der Leser/Wanderer mit einem „unterirdischen Erdstallreich“ überrascht und diesbezüglich mit seriösem Wissen versorgt. Praktische Hinweise beschließen jedes Kapitel. Johanna hat die Texte verfasst und Thomas mit seiner Kamera die schönsten Motive festgehalten, von den Kogelsteinen und Marchauen angefangen bis zu romantischen Ruinen und historisch denkwürdigen Stätten. Kurzum: Mit diesem Buch in der Hand und einem offenen Blick für unscheinbare Schönheit lässt sich das nahe und doch unbekannte Weinviertel wunderbar entdecken.

Kirchturmspitze auf dem Kellerberg von Wildendürnbach © Thomas Ruzicka

Die Kirchturmspitze auf dem Kellerberg © Thomas Ruzicka

WEINVIERTLER WEISHEITEN Den Landleuten aufs Maul g´schaut

Weinviertler Weisheiten Cover

Was ma hoit so redt´ , wann da Tog lang is´

Eine heimelige Kellerröhre, beleuchtet von einer Kerze und neben den Fässern Sessel und ein Tischerl, auf dem ein paar Glaserl mit Wein stehen, dieser fruchtbare Biotop des Sinnierens hat schon manchen klugen, vor allem witzigen Spruch gezeitigt. Nicht ganz ohne Selbstironie wurde dort mit folgendem Wortlaut gejammert: „Im Winter die Gfria, in Frühjoahr de Blia, in Summa de Diar, in Hirigst koa(n) Gschia.“ Wenn die Männer zu lange in dieser inspirierenden Umgebung verblieben und spät Nachts daheim anwankten, konnten sie nicht selten folgende Schelte seitens der vom Gepolter im Vorhaus aufgewachten Gattin vernehmen: „A Kui woaß, wann´s gmui hot.“ Dass dem Kellerphilosophen sogar das Rindvieh im Stall an Intelligenz vorgezogen wurde, konnte der so beledigte Herr des Hauses natürlich nicht auf sich sitzen lassen.

Dessen Antwort fiel daher manchmal recht rüde aus: „Mei Oide und i g´hern olle zwoa unta d´Erd. Sie ins Gro(b) und i in Kölla“, worauf ihrerseits prompt die Drohung folgte: „Du kimmst a nau amoi in mei(n) Gassn.“ Dem so Verunsicherten verblieb nur ein unwilliges Knurren: „Du bist a sekkante Woa!“ Die vom nächtlichen Streit angezogene Großmutter erschien ebenfalls auf der Szene und hatte für die beiden Kontrahenten die passende Zurechtweisung: „Die schlechtesten Leit san die Maunsbüda und die Weibsbüda.“ Nicht selten war der Friede damit wieder hergestellt. Vielleicht ließen sich die Damen in ihren wallenden Nachthemden sogar zu einem Versöhnungsschluck aus der mitgebrachten eineinhalb Liter fassenden Kellerflasche überreden, denn: „Durchs Reden keimman d´Leit zsaumm.

Zeichnung von Rudolf Schuppler, S. 22

Zeichnung von Rudolf Schuppler, S. 22

Zeichnung von Rudolf Schuppler, S. 89

Zeichnung von Rudolf Schuppler, S. 89

Wer bei diesen Dialogen nicht alles ganz genau verstanden hat, dem sei ein eben erschienenes Büchlein aus der Edition Winkler-Harmaden empfohlen: „Weinviertler Weisheiten. Sprüche und Redewendungen, gesammelt von Michael Staribacher“. Der Autor kennt das Weinviertel und dessen Bewohner bestens, vor allem aber dessen vielschichtige Sprechweisen. Besonders am Herzen liegt ihm dabei die bereits auf der roten Liste der Dialekte stehende Ui-Mundart. Staribacher hat den Leuten aufs Maul g´schaut, wie man so schön sagt; und er hat deren Äußerungen getreulich notiert. Sein jüngstes Werk ist, wie er selber im Vorwort schreibt, „eine hochinteressante Entdeckungsreise in die Vergangenheit, aber auch in die Gegenwart – mit Ausblicken sogar bis in die Zukunft.

Zeichnung von Rudolf Schuppler, S.106

Zeichnung von Rudolf Schuppler, S.106

Zusammengefasst in Themenkreise wie „Vom Arbeiten und Nichtstun“, „Reichtum und Geld“ oder „Wie die Menschen so sind“ präsentiert er Bonmots des Alltags, die in kürzester Formulierung eine ganze Lebenseinstellung zusammenfassen. Die Schreibweise ist dem Hören entnommen, wird von ihm aber ins Hochdeutsche übertragen und mit einer knappen Erklärung sowie der jeweiligen Herkunft ergänzt. Ein Beispiel gefällig? Auf Seite 101 ist unter „Derb und Deftig“ zu lesen: „Geht scho, sogt da Bettscheißer, nur au(n)taucha muißt!“ Die Übersetzung: Geht schon, sagt einer, der ins Bett machte, du musst nur anschieben! Bedeutung: So sagt man beim Heben schwerer Lasten. Herkunft: Immendorf. Der Ton ist durchwegs heiter, was durch witzige Zeichnungen aus der Hand von Rudolf Schuppler, Illustrator von Kinderbüchern und Cartoonist, aufgelockert und auf den Punkt gebracht wird.

JAKOBSWEG WEINVIERTEL Zu Fuß von Mikulov nach Krems

Der heilige Berg von Mikulov © Reinhard Mandl

Der heilige Berg von Mikulov © Reinhard Mandl

Gedanken und Eindrücke einer Wallfahrt vom Heiligen Berg durch Kellergassen zu Jakobskirchen und anderen Kultplätzen

Reinhard Mandl nennt sie eine „Jakobs-Schnuppertour“, die er durch das ihm vertraute Weinviertel angetreten ist und die ihn schließlich zum Buch „Jakobsweg Weinviertel“ (erschienen in der Edition Winkler-Hermaden) angeregt hat. 2010 wurde das Teilstück zwischen dem tschechischen Mikulov und Krems an der Donau in das weit verzweigte Netz der Jakobswege offiziell eingefügt. Alte Karten aus dem 16. Jahrhundert zeigten, dass die historische Route von Krakau und Lemberg kommend bei Drasenhofen in Österreich mündete und in südwestlicher Richtung zur Donau führte. Dass man diese Strecke nun entlang der Wegweiser in Form einer gelben Jakobsmuschel möglichst ohne Verirrungen, mit genügend Übernachtungsmöglichkeiten und entsprechender Verpflegung bewältigen kann, ist, so wird im Vorwort von Pilgerbegleiter Werner Kraus betont, vielen guten Seelen und engagierten Organisationen wie Pfarren, Gemeinden oder den LEADER-Regionen zu verdanken. Informationen dazu gibt es im Internet unter den Links Jakobsweg Weinviertel und Bildungs-Akademie Weinviertel, die unter der Leitung des früheren Bischofsvikars Dr. Matthias Roch für das spirituelle Leben am Weg sorgt.

Jakobsweg Weinviertel Cover

Jakobsweg Weinviertel Cover

Ein beschauliches Stück Jakobsweg © Reinhard Mandl

Ein beschauliches Stück Jakobsweg © Reinhard Mandl

Es sind gerade einmal 153 eines 3000 Kilometer langen Weges. Sie weisen nur wenige Steigungen auf und führen zum guten Teil angenehm auf Feldwegen oder durch pittoreske, zu einem Rastsachterl einladende Kellergassen. Was sich wie ein Spaziergang ausnimmt, muss man aber erst hinter sich bringen und wird gerne die Überzeugung von Reinhard Mandl teilen, dass dieses kleine Mosaikstück gebührende Beachtung verdient. Er nimmt in seinem Buch den Leser mit auf den Weg. Man kommt mit ihm an einem späten Spätsommermorgen auf dem Heiligen Berg in Mikulov an, spürt die feierliche Aufbruchsstimmung und lässt sich auch von den Schreckschüssen aus den nahen Weingärten nicht stören. Letztlich nicht unwesentliche Kleinigkeiten werden authentisch geschildert, wie Begegnungen mit anderen Wallfahrern oder die Gastfreundschaft der Weinbauern vor ihrem Kellerhaus, aber auch das große Erlebnis eines tiefen Eindrucks, den beispielsweise die überwältigende Aussicht von einem der wenigen „Berge“ herab beschert.

Bergkapelle am Michelberg © Reinhard Mandl

Bergkapelle am Michelberg © Reinhard Mandl

Es kann ein Fuß unvermittelt ob ungewohnter Belastung schmerzlich streiken, die Wasserflasche leer und kein Brunnen in Aussicht sein oder der Wegweiser übersehen werden, was dazu führt, dass sich fromme Pilger traditionell in den Wäldern vor Mistelbach im dichten Gebüsch verlaufen, wie es nicht nur ihm, sondern auch mir selbst vor nunmehr elf Jahren passiert ist. Damit die Vorstellungskraft unterstützt wird, ist dieser besondere Wanderführer reichlich mit Fotos illustriert, die Mandl entweder schon vorher oder auch bei der Begehung selbst gemacht hat. Es sind meist unscheinbare „Sehenswürdigkeiten“, für die sich jedoch eine Pause lohnt. Alles zusammen macht gewaltig große Lust, sich wieder auf den Weg zu machen; nicht zwangsläufig mit großen „heiligen“ Vorhaben. Besinnlichkeit stellt sich ganz von selbst ein, wenn man beharrlich einen Schritt vor den anderen setzt und eine Woche lang auf nichts als Rucksack und Wanderstöcke angewiesen ist.

AUFKOCHEN in der Küche unserer Großmutter

Aufkochen, Edition W-H Cover

Alte Weinviertler Rezepte und als g´schmackige Beilage die Erinnerungen der Köchinnen

Der große Herd war schon zeitig am Morgen angeheizt worden, im Winter aber auch im Sommer, ungeachtet der Temperaturen, die draußen geherrscht haben. Wenn zu Mittag ein ordentliches Essen am Tisch stehen sollte, war schon der ganze Vormittag notwenig, um Suppe, Braten und Nachspeis´ beim Mittagsläuten auftragen zu können. Die Hausfrau als Maître de Cuisine organisierte und überwachte die Arbeitsabläufe und erledigte selbst heikle Aufgaben wie das Würzen des Fleisches oder das Aufstellen der einzelnen Gerichte. Die Mädchen hatten Gemüse zu putzen und zu schneiden, die Eier aufzuschlagen, die Bramburi, also die Erdäpfel zu schälen und vor allem verlässlich nachzuheizen, damit die Herdplatte immer die richtigen Temperaturen hatte:

In der Mitte musste es siedend heiß sein und am Rande gerade nur so viel, dass fertig Gegartes in den Häfen und Reindln in Ruhe ziehen und warm bleiben konnte. Wenn die Männer vom Feld, aus dem Weingarten oder am Sonntag vom Wirtshaus heim kamen, waren sie hungrig und deswegen auch ein wenig ungeduldig und grantig, wenn nicht mit dem Zwölfeläuten das Essen angerichtet war und nach kurzem Tischgebet hingebungsvoll mit Appetit verzehrt werden konnte.

In den Bauernhöfen des Weinviertels herrschte diese Ordnung bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Deswegen gibt es noch eine Reihe von Frauen, die sich lebendig daran erinnern. Sie kennen noch die alten Rezepte, die der modernen Zeit zum Opfer gefallen sind, weil sie nach heutigem Geschmack entweder zu üppig sind oder zu einfach, um angebliche Ansprüche an kulinarische Vorgaben etwaiger Gäste zu erfüllen. Wenn man aber nur ein wenig genauer hinschaut, dann erfüllen sie exakt die Vorgaben, die uns seit geraumer Zeit von Ernährungsexperten unermüdlich gepredigt werden:

Kirtagflecken, Foto: Florentina Klampferer

Viel Gemüse und vor allem Hülsenfrüchte, die nach wie vor die breite Basis unserer täglichen Ernährung sein sollten. Wenn schon Fleisch, dann wenig und nach aktuellem Maßstab „From Tail to Nose“ das ganze Vieh restlos verwerten. So war ein Sautanz undenkbar ohne Beuschel, Blunzensuppe oder das Stockfleisch, bei dem u. a. Kronfleisch, Bries, Milz und Lichteln (lt. Wiener Teilung Herzröhren, Aorta) zu einem beliebten Gabelfrühstock verkocht wurden.

 

Deswegen war es hoch an der Zeit, diesen Schatz vor dem Vergessenwerden zu retten. Mitglieder des Teams der LEADER Region Weinviertel Ost haben sich in Pflegeheime von Mistelbach, Poysdorf, Wolkersdorf und Zistersdorf begeben, dort mit den alten Damen geplaudert und deren Wissen damit sichergestellt. Bei diesen „Tratschereien“ sind nicht nur Kochrezepte zutage gekommen, sondern auch ein wunderbares Bild der Vergangenheit. Unter dem Motto „Essen und Trinken hält Leib und Seele z´samm“ wurde auch über alte Bräuche erzählt, die eng mit dem bäuerlichen Speiseplan in Verbindung standen, angefangen vom Striezel zu Neujahr bis zur Weinweihe am Johannestag.

Der Spezialist für Weinviertler Volkskultur Wolfgang Galler hat die Geschichten aufgeschrieben, in Jahresverlauf, Lebenskreis und Alltag geordnet und damit die literarische Ergänzung zu den Rezepten geschaffen. Nachzulesen ist das alles nun in einem Buch der Edition Winkler-Hermaden mit dem Titel „Aufkochen“. Florentina Klampferer hat dafür die Gerichte derart appetitlich fotografiert, dass einem schon beim Anschauen das Wasser im Mund zusammen rinnt. Damit steht nichts mehr im Wege, zuhause eine Stosuppe, Wuchteln mit Fisolen (kleinen weißen Bohnen) und einen Schmerstrudel zuzubereiten oder wenn es doch ein Stück Fleisch sein muss, dann darf es gerne auch ein Schweinsbraten oder ein Paprikahendl sein, das als Festtagsspeise am Kirtag geschätzt wurde, genauso wie nach dem ersten Weinverkosten bei der Martiniminne oder als Schnitterhahnl nach getaner Ernte.

Lungenstrudelsuppe, Foto: Florentina Klampferer

DER MICHELBERG Mystische Anziehungskraft im Licht der Archäologie

Visualisierung der barocken Kirche auf dem Michelberg, aus dem besprochenen Buch

Faszinierende Funde von der Bronzezeit über einen Krötentopf bis zum Marienwunder

Der seit einigen Jahren von Mikulov bis Krems-Stein angelegte Jakobsweg führt ein paar Kilometer vor Stockerau über eine Anhöhe, die den Wanderer mit seltsamen Ahnungen und einer brennenden Neugier erfüllt. Denn neben der überwältigenden Aussicht, die im Osten bis Wien, im Süden bis zu den Voralpen und im Nordwesten bis zu den Hügeln des Waldviertels reicht, strahlt dieser Ort eine geheimnisvolle Magie aus. Auf dem höchsten Punkt des kahlen Rückens thront eine kleine Kapelle; so selbstverständlich, als wäre sie schon immer dort gestanden, um diesem heiligen Bezirk einen Brennpunkt zu verleihen.

Der MIchelberg Cover 900

Unweit davon bemerkt man Grabungsspuren von Archäologen. Auf Infotafeln erfährt man, dass sich an dieser Stelle bereits seit der Frühbronzezeit ab 1800 v. Chr. eine Höhensiedlung befunden hat. Die Menschen hat es also seit jeher hergezogen, um zu wohnen oder später als Wallfahrer zu beten. Sie alle haben ihre Spuren hinterlassen, die ergraben und befundet wurden und nach wie vor noch werden, um wie bei einem Mosaik ein mehr und mehr geschlossenes Bild von der bewegten Geschichte des Michelberges zu schaffen.

Überblick über den Chor und flankiernde Bauten der barocken Kirche

Ernst Lauermann, Hochschullehrer für Ur- und Frühgeschichte sowie mittelalterliche Geschichte, hat die bis jetzt vorliegenden Ergebnisse im Buch „Der Michelberg. Ein archäologischer Hotspot im südlichen Weinviertel“, erschienen in der Edition Winkler-Hermaden, zusammengefasst und auch dem Nichtfachmann zugänglich gemacht. Im Vorwort verrät er seine persönlichen Beweggründe, sich als Wissenschaftler mit diesem Platz intensiv zu beschäftigen, wenn er sehr persönlich schreibt:

Der Michelberg hat seit meiner Kindheit immer eine besondere Faszination auf mich ausgeübt ... Es entstand bei mir der große Wunsch, hinter das Geheimnis des Bergs mit seinen Wällen und Gräben und der verschwundenen Kirche, deren Entstehungszeit angeblich bis zu Karl dem Großen zurückreichen soll, zu kommen.“ Dazu hat er nun für seine Leser eine spannende, wenngleich doch sehr fachlich formulierte Zeitreise organisiert, die über etliche Tausende von Jahren herauf bis in die jüngere Vergangenheit führt.

 

Jede der angesprochenen Perioden bietet ihre Besonderheit. Aus der frühesten festgestellten Besiedlungsschicht stammen die Wälle und Funde wie eine Zyprische Schleifennadel aus Bronze, ein fragmentiertes Scheibenrad oder die „Steckdose“, wie die Archäologen das prachtvolle Fußgefäß vom Michelberg bezeichnen. Für Lauermann scheint aber die Hauptfrage darin bestanden zu haben, wie es um die verschiedenen Kirchen bestellt war. Die Legende erzählt von einem solchen Bau, der bereits im Frühmittelalter dort bestanden haben soll. Hinweise darauf geben die Gräber und Funde wie ein halbmondförmiger Kopfschmuck mit Emaileinlagen oder Tüllenpfeilspitzen mit Widerhaken, wie sie damals verwendet wurden. Nachgewiesen wurde eine romanische Kirche und Reste eines hier bestehenden Haushalts in der Zeit um 1200. Bereits um 1300 hatte man eine neue Kirche errichtet. In ihrer unmittelbaren Nähe fanden sich „Traufenkinder“ und andere Seelen am Michelberg, wie Lauermann schreibt. Aus der frühen Neuzeit (1500 bis 1745) stammt der nächste Kirchenbau. Der Krötentopf ist wohl der kurioseste Fund aus dieser Periode. Gefüllt war er mit Knochen von mindestens 15 Wechselkröten. Wie es zu diesem kuriosen Inhalt gekommen sein kann, gab, so der Autor, „Anlass zu Spekulationen“, die in der Folge nicht verschwiegen werden.

Im kurzen Zeitraum zwischen 1745 und 1785 pilgerten die Menschen zu einer prächtigen Barockkirche. Anlass war zweifellos das Marienwunder, das sich 1704 auf dem Michelberg ereignet haben soll. Es heißt, eine Darstellung der Verkündigung Mariens habe zu schwitzen begonnen. Nach Querelen mit der kirchlichen Obrigkeit war dieses Marienbild weggesperrt worden und wurde erst ab 1747 wieder der öffentlichen Verehrung freigegeben. Mit Kaiser Joseph II. wurde der Bau abgerissen. Es wurde still auf dem Michelberg, bis 1867 zu Ehren des Erzengels Michael die heutige Kapelle errichtet wurde. In den Gebüschen und Wäldchen rund um die Kuppe stößt man auf eher ernüchternde Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie stammen von einer Funkmessanlage der Wehrmacht. Die Betonbauten wurden jedoch gnädigerweise von der Natur zugewachsen und können dadurch nichts der mystischen Anziehungskraft des Michelberges anhaben.

Das vermeitlich schwitzende Marienbild aud sem Jahr 1704, aus dem besprochenen Buch

Der Untergrund von Eggenburg, Illustration aus dem besprochenen Buch

MEERESSTRAND UND MAMMUTWIESE gründlich erforscht

Marine Muscheln aus Grund bei Wullersdorf Illustration aus dem besprochenen Buch

Vom Granit zum Löss, ein tiefer Blick in die Erdgeschichte des Weinviertels

Die Winzer wissen schon, was sie dem Boden schuldig sind, wenn sie stolz auf die satte Mineralität des Lössbodens oder die feinen Fruchtnoten ihres Weins vom Urgestein sind. Dass es dazu kommen konnte, ist das Ergebnis einer sich über Milliarden von Jahren hinziehenden Entwicklung dieses so bukolischen Stücks Niederösterreich, das sich heute mit sanften Hügeln, weiten Feldern, Weingärten und freundlichen Ortschaften präsentiert. Spannend ist der Blick, wenn er von Wissenschaftlern darauf gelenkt wird. Thomas Hofmann, Mathias Harzhauser & Reinhard Roetzel geben uns eine Ahnung von diesen gewaltigen Ereignissen.

Meeresstrand und Mammutwiese Cover

Was alles im Laufe der Erdgeschichte zur „Geologie und Paläontologie des Weinviertels“ beigetragen hat, haben sie unter dem Titel „Meeresstrand und Mammutwiese“ für die Edition Winkler-Hermaden auch für den Laien aufbereitet und führen ihn dabei in wundersame, teils unglaubliche Epochen unserer fernen Vergangenheit ein. Die Autoren sind überzeugt, dass das Weinviertel diesbezüglich andere Maßstäbe als die übrigen Landesteile benötigt. Es grenzt an das Waldviertel und besteht im Westen aus Granit, bevor der feine Löss das Regiment übernimmt und die Oberfläche bis an die östliche Grenze beherrscht.

Entdeckungs des Mammutstoßzahnes bei Bullendorf, Illustration aus dem besprchenen Buch

Man weiß es mittlerweile aus einigen Museen dieser Region, dass einst das Meer hier anbrandete und später eine eiszeitliche Steppe die ersten Jäger in die Gegend brachte. Wie aber alles ganz genau herging, das gibt´s in diesem Buch nachzulesen. So findet man auf Seite 32 den bemerkenswerten Satz, dass die sich ausdehnenden Äcker grob mit dem einstigen Meeresspiegel übereinstimmen. Es war aber nicht nur ein großes Gewässer, das sich im Laufe der Zeit hier ausbreitete. Vor rund 20 Millionen Jahren gab es hier die Paratethys, die mit dem damaligen Mittelmeer Verbindung hatte und eine ununterbrochene Schiffsreise bis in den Fernen Osten möglich gemacht hättte. Es trocknete aus, entstand wiederum in anderer Gestalt um neuerlich zu verschwinden. Geblieben sind die Reste von Seekühen und Muscheln als Beweis für den Strand, der den Weinviertlern im Laufe der Erdgeschichte, nicht zuletzt durch Tsunamis, verloren gegangen ist. Der Hendlfutterberg bei Nexing hat zumindest den fürs Eierlegen benötigten Kalk hinterlassen.

Man erfährt, wie der Amethyst entstanden ist und deutlich wird festgestellt, woher der Löss nun wirklich angeweht wurde. Noch erstaunlicher vielleicht ist die Tatsache, dass die Böhmische Masse ein Immigrant aus der südlichen Halbkugel ist, die vor 600 Millionen Jahren Teil des Gondwana-Kontinents auf der südlichen Erdhalbkugel war und nach und nach nordwärts gewandert ist.

Irgendwann in dieser Zeit durchzogen tiefe Canyons das Land, wurden wieder aufgefüllt und können nur mehr durch Tiefbohrungen lokalisiert werden. Später hat sich da unten das Erdöl gebildet, das bescheiden, aber doch hoch gepumpt wird. Die Stoßzähne eines Mammuts haben Bullendorf in der wissenschaftlichen Welt ebenso bekannt gemacht wie die Kurbäder in den Reihen erholungsbedürftiger Patienten, die allesamt ihre Existenz einer für uns Heutigen optimalen Entwicklung verdanken.

'Reste einer fossilen Seekuh, Illsutration aus dem besprochenen Buch

Landkarte des Wagram (aus dem besprochenen Buch)

DER WAGRAM Mit einem Buch durch Ortschaften und Rieden wandern

Gemütliche Szene beim Heurigen (aus dem beschriebenen Buch)

Eine noch unentdeckte NÖ-Region stellt sich kurzweilig lesbar vor

Über Jahrmillionen hat die Natur an diesem landschaftlichen Kunstwerk gearbeitet, um uns heute als eine der reizvollsten Gegenden zum beschaulichen Besuch einzuladen. Wo einst die Wogen der Urdonau durch seitliche Hänge in ihrem Lauf Richtung Osten gelenkt wurden, hat sich auf den Höhen der Ufer viele Meter dicker Löss abgelagert, der sich im Lauf der Zeit verdichtet hat und sich seit Menschengedenken als idealer Boden für den Weinbau anbietet. Aus der Ebene des Stroms und der Auwälder wächst unvermittelt eine Hügelkette empor, nicht allzu hoch, aber doch als deutliche Markierung zwischen den Feldern unten und den Weingärten.

Der Wagram Cover 900

So besehen ist der Wagram einzigartig und hat sich deswegen selbstbewusst vom Weinviertel abgegrenzt. Er präsentiert sich nicht nur als eigene Weinregion, sondern längst auch als Freizeitregion, die mehr und mehr von (Rieden)Wanderern und Radfahrern als Destination für Tagesausflüge geschätzt wird. Dennoch können sich noch zu wenige Menschen, auch die nahen Wiener, mit dem Wagram wirklich was anfangen. Es war also hoch an der Zeit, die Lust auf Spaziergänge durch romantische Lössschluchten, auf einen aufschlussreichen Tratsch mit einem Winzer vor oder besser in seinem Weinkeller und auf eine Begegnung mit den hochinteressanten historischen Hinterlassenschaften in den freundlichen Ortschaften zu wecken.

Die neun Mauna (aus dem besprochenen Buch)

Diesem Mangel wurde nunmehr mit einem in der Edition Winkler-Hermaden vom Verein für Tourismus und Regionalentwicklung Region Wagram herausgegeben Buch insofern abgeholfen, als die darin vertretenen Autoren mit Begeisterung für ihre Gegend diese dem Leser unwiderstehlich ans Herz legen. Den Anfang macht der Wein, der beim Grünen Veltliner, aber auch in der seltenen Sorte Roter Veltliner seine unvergleichliche Mineralität und respektable Größe dem Löss verdankt.

Dazu beschreiben Anna Schabl und Karin Reichelmayer liebevoll ausführlich, wie es früher auf einem Weingut zugegangen ist, bevor Hochkultur und Kellertechnik Einzug gehalten haben. Ludwig Leuthner erzählt vom „Hiatabrauchtum in Fels am Wagram“ und Sepp Rittler trägt mit dem Gedicht „Im Lesn – Eine Betrachtung“ als lokale Verständigungshilfe Mundart-Poesie bei. Es sind durchwegs Heimatforscher, die den Leser in die Vergangenheit ihrer Heimat führen und dafür engagiert in Pfarrchroniken recherchiert und sich in den Erinnerungen der Alten umgehört haben. So sind Johanna Ettl dem Ursprung des Namens Königsbrunn und Maria Knapp dem Hochzeitsbrauchtum wie dem Vierzieh´n, einem Schabenrack der Burschen des Ortes, nachgegangen.

Peter Locher reißt ein wahrhaft unheimlich spannendes Thema an, wenn er über die Erdställe referiert. Dass der Wagram auch große Persönlichkeiten hervorgebracht hat, wissen u.a. Friedrich Ploiner (Martin Johann Schmidt) und Adolf Ehrentraud, der dem Komponisten Ignaz-Joseph Pleyel in Ruppersthal neben einem Museum ein Kulturzentrum mit Konzertsaal geschaffen hat. Es tut sich also was am Wagram, der sich mit diesem Buch einen praktischen Reiseführer zwischen Vergangenheit und Gegenwart geschaffen hat.

Mirakelbuch und Votivbild aus Kirchberg am Wagram

Krauna (Hüttendorf, MI) Zeichnung von Thomas Wolf

STERZFRESSER UND GNACKWETZER Orts-Spitznamen im Weinviertel

Paradeis(er)pölzer war Spitzname für die Lang-Enzersdorfer, aus dem besprochenen Buch

Ein humoriges Lexikon als Schatzkästlein fast vergessener Kleinode ländlicher Sprache

Seinerzeit genügte es, beim Kirtag in Neusiedl an der Zaya das Wort „Bå(h)brunzer“ in die gesellige Runde zu werfen und schon war die herrlichste Rauferei im Gange. Die Burschen des Ortes reagierten nicht gerade freundlich, wenn man sie darauf ansprach, dass sie ihre Notdurft nach einigen Krügeln Bier am Gestade des Zayabachs erledigten; was an sich für einen männlichen Vertreter der Ortsbevölkerung keine Schande wäre. Aber da es sich in diesem Fall um einen Spitznamen handelt, musste diesem energisch und meist mit den Fäusten entgegen getreten werden. Dabei hätte man den Spieß nur umdrehen müssen. Egal woher der Spötter auch war, auch er war Träger einer zumeist wenig ruhmvollen Bezeichnung. Kam er aus dem nahen Altlichtenwarth, war er ein „Wuchtelpracker“ und für Eibesthal diente „Schneiderhänger“ und „Stricklhänger“ als Hinweis auf einen blamablen Irrtum der örtlichen Justiz. Man hätte in Frieden weiter getanzt, gesoffen und miteinander über die in den Spitznamen überlieferten Blödheiten der Vorvorderen gelacht.

Sterzfresser und Gnackwetzer Cover 900

Aber rustikaler Humor ist eben zu deftig direkt und kennt wenig Rücksichtnahme auf die jeweiligen Befindlichkeiten des damit Getroffenen, um damit in zivilisierter Weise umgehen zu können. So haben sich (nicht nur) im Weinviertel nahezu für jede Ortschaft Spitznamen bis in unsere Zeit herauf erhalten, um mit der diesem Wort immanenten Spitze auf die anderen einzustechen.

 

Der Eichenbrunner Michael Staribacher hat sich bereits in einigen Publikationen (Eichenbrunner Sprachelexikon, Weinviertler Dialektlexikon u.v.m.) als Sprachforscher einen Namen gemacht. Zusammen mit dem geborenen Weinviertler Christian Wiesinger, Pfarrer von Gaubitsch und Unterstinkenbrunn, ist er nun diesen Orts-Spitznamen nachgegangen und hat dazu in der Edition Winkler-Hermaden unter dem Titel „Sterzfresser und Gnackwetzer“ ein Lexikon der Weinviertler Ort-Spitznamen herausgebracht. Die Orte finden sich in alphabetischer Reihenfolge, dazu der jeweilige Nickname und wo es sich noch eruieren ließ, dessen Geschichte oder Bedeutung. Zu Erleichterung des Verständnisses des nicht selten derben Vokabulars wurden von einem treuen Gast im Weinviertel, dem deutschen Pfarrer Thomas Wolf, witzige Zeichnungen beigefügt.

Es handelt sich bei diesem Rettungsversuch einer allmählich dem Vergessen anheimfallenden Umgangssprache, so Michael Staribacher, um einen Ansatz, den zu ergänzen die Leser herzlich eingeladen sind. So darf auch an der Stelle erwähnt werden, dass beispielsweise Eggenburg fehlt, dessen Bewohner trotz ihrer Landesherrlichkeit einst respektlos „Goaßstadler“ gerufen wurden. Warum und wieso, das herauszufinden ist für die beiden Autoren, die im Vorwort offen zugeben, von der Leidenschaft des Sprachsammelns und einem Vollständigkeitswahn besessen zu sein, mit Garantie eine lustvolle Herausforderung.

Die sogenannte Völkertafel, 1. Drittel 18. Jh., aus dem besprochenen Buch

Illustration aus dem besprochenen Buch

VERSCHWUNDENE WIENER STRASSENNAMEN als beredte Zeitdokumente

Illustration aus dem besprochenen Buch

Ein gemeinsamer Platz für Maximilian, die Freiheit, Dollfuß, Hermann Göring und Roosevelt

Die Umbenennung einer Straße oder eines Platzes ist in Wien stets ein Politikum, das lange und zumeist heftige Diskussionen auslöst. Die einzelnen Reaktionen lassen tiefe Schlüsse auf die jeweilige Weltanschauung zu. Für viele war beispielsweise der Wiener Bürgermeister Dr. Karl Lueger eine integre und verdienstvolle Person und sie wollten nicht einsehen, dass man sein Andenken nicht weiter ehren sollte, als man daran ging von dem nach ihm benannten Stück Ring die Namensschilder abzumontieren. Er förderte bekanntlich antisemitische Bestrebungen und war laut zeitgenössischer Quellen wissenschaftsfeindlich.

Verschwundene Wiener Straßennamen Cover

Das genügte für den damaligen Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ), daraus den Universitätsring zu machen. Wieder ein umstrittener Name weniger im Straßenbild, mag man sich denken, und nimmt es zur Kenntnis wie vieles, was an mehr oder weniger nachvollziehbaren Erneuerungen über uns hinweg fegt. Dass damit aber jedes Mal auch ein Stück Geschichte neu geschrieben wird, und zwar ganz im Sinne der im Moment an der Macht befindlichen Partei, ist die Kehrseite der jeweiligen Umbenennungen.

Illustration aus dem besprochenen Buch

Deswegen ist es eminent wichtig, diesen Vorgängen auf den Grund zu gehen, wie es der Historiker Dr. Peter Autengruber in „Verschwundene Wiener Straßennamen“ (erschienen in der Edition Winkler-Hermaden) gründlich getan hat. Mit seinem „Lexikon der Wiener Straßennamen“ hat er ein Standardwerk geschaffen, das nun mit diesem Buch eine aufschlussreiche Ergänzung gefunden hat. Es beginnt mit der Judenstadt im 1. Bezirk. Man findet nach einer kurzen historischen Skizze die Namen der Gassen und Straßen, die einst zwischen Stoß im Himmel, Schwertgasse, Schulhof, und Jordangasse anders als heute bezeichnet worden waren. Der Autor hält sich an den Lauf der Geschichte und beschreibt im nächsten Kapitel die Auswirkungen der Revolution 1848 auf die Straßenbezeichnungen. Dass aus der Barrikadenstraße bald Fleischmarkt und Schönlaterngasse geworden sind, ist dem Wiener Magistrat in Zeiten des Neoabsolutismus nicht zu verdenken. Der nächste Schritt führt hinaus zur ersten Stadterweitung mit der Eingemeindung der Vorstädte.

Auch bei diesen kommunalen Großereignissen kam es reihenweise zu neuen Namensschildern an den Häusern, so in der ehemaligen Bräuhaus Gasse (Schmalzgasse) oder der Schwibbogen Gasse, der heutigen Trautsongasse. Das Gleiche gilt für die Eingemeindung der Vororte und noch mehr für die Errichtung der Republik 1918. Es gab ein massenhaftes Abmontieren von Taferln mit den Namen der Habsburger. Die Kaiser-Franz-Josephs-Brücke ist besser als Kennedybrücke bekannt und der Kaiser-Karl-Ring als Opernring. Aber auch das Rote Wien hat sein Ende gefunden und die Sozialisten mussten zugunsten eines Heiligenstädter Platzes auf Karl Marx verzichten. Ihren Gegnern erging es nicht besser. So wurde der Name des 1934 ermordeten Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß von den 1938 folgenden Nationalsozialisten aus dem Straßenbild gründlich getilgt. Das gleiche Schicksal ereilte 1945 die Nazibonzen. Adolf Hitler hatte sich den Rathausplatz gesichert und Hermann Göring den Park vor der Votivkirche, heute bekannt als Rooseveltplatz. Ihnen folgten die sowjetischen Befreier, die partout darauf bestanden, dass der Schwarzenbergplatz den Namen Stalin tragen sollte, was Gott sei dank ebenfalls Vergangenheit ist.

 

Man muss allerdings fleißig blättern und stets ein Auge auf das Register haben, um sich mit den Namen zurecht zu finden. So entdeckt man auf Seite 53, dass der Familienplatz in Ottakring einst nach Stephanie, der Frau von Kornprinz Rudolf benannt war.

Wie man auf Seite 63 erfährt, wurde er dem Sozialisten August Bebel und danach dem deutschnationalen Dichter Ottokar Kernstock gewidmet. Seite 113 verrät endlich, dass im 14. Bezirk dessen Name gegen ein Opfer der von ihm vertretenen Ideologie ausgetauscht wurde und seitdem Jägerstätterstraße heißt. Dank reichlicher Illustration wird dieses Suchspiel jedoch zum anschaulichen Geschichtsunterricht, der einen Blick auf einen längst nicht mehr existierenden Stadtplan vom Alten Wien erlaubt.

Illustration aus dem besprochenen Buch

Germanendorf in Slsarn, Foto aus dem besprochenen Buch

DIE DUNKLEN JAHRHUNDERTE DES WEINVIERTELS mit goldenen Spuren

Hundeskelett in einer Speichergrube, aus dem besprochenen Buch

Von den Germanen über die Römer bis zu den Babenbergern

Finstere Zeiten halten sich nicht an einen Kalender. Sie können jederzeit über ein Land hereinbrechen und bittere Erinnerungen bei den Menschen hinterlassen. Im jüngst in der Edition Winkler-Hermaden erschienen Buch „Die dunklen Jahrhunderte des Weinviertels“ bezieht sich der Autor Ernst Lauermann jedoch auf die 1000 Jahre ab der Zeitenwende bis ins Mittelalter. Das meiste, was wir derzeit aus dieser Periode wissen, hat sich noch bis vor kurzem unter der Erde verborgen. Abgesehen von den knappen Berichten, in denen die Römer ihre nördlichen Nachbarn eher abschätzig beschrieben haben, gibt es wenig Überlieferung, außer ein Archäologe setzt den Spaten an.

Germanischer Eisenhelm aus Grund, Foto aus dem besprochenen Buch

Er schafft im Zuge einer wissenschaftlich gesicherten Befundung der ergrabenen Relikte ein recht anschauliches Bild dieser Zeit. Das geübte Auge des Forschers sieht in diesen unscheinbaren Details wesentlich mehr als man anhand einer Münze, eines Tonscherbens oder eines verbogenen Schmuckstücks vermuten würde.

Pferdegeschirr aus GRab 15 (Hauskirchen), Foto aus dem besprochenen Buch

Im Weinviertel, also im Barbaricum, wie es die Römer hinter dem Limes abschätzig bezeichneten, haben, so die Wissenschaft, die Germanen gelebt. Bei Feldbegehungen, sehr oft aber auch bei Straßenbauten stieß man immer wieder auf archäologisch wertvolle Hinterlassenschaften dieser frühen Weinviertler. Das Buch führt dazu den Leser in bäuerliche Siedlungen. Eine davon liegt bei Bernhardsthal und wurde teilweise ausgegraben. Ursprünglich haben dort am Westufer der Thaya Kelten gehaust, bevor im 2. Jahrhundert Germanen und sogar ein römisches Marschlager nachzuweisen sind. Man konnte feststellen, dass diese Siedlung, die im Überschwemmungsgebiet angelegt war, aufgegeben wurde und die Bewohner entweder ganz weggezogen sind oder sich neue Gehöfte an erhöhten Plätzen errichtet haben. Es war also nicht immer Feindseligkeit, die zur Emigration führte, schließlich stand man in besten Handelkontakten mit dem Römischen Imperium. Importiert wurde unter anderem Tafelgeschirr (Terra Sigillata), während man Felle, Frauenhaar und Lebensmittel Richtung Rom lieferte.

Kriegerische Zeiten brachen mit den Markomannen, den Awaren und Hunnen über die heute so friedliche Gegend herein. In den Gräbern der Kämpfer fanden sich Langschwerter, Reflexbögen und Rüstungsteile wie ein eiserner Helm, der in der Ortschaft Grund beim Bau der Umfahrungsstraße nach bald zwei Jahrtausenden wieder ans Licht gekommen ist.

„Gräber sprechen, wo Geschichte schweigt“ hat Lauermann auch eines der Kapitel betitelt. Den Toten hat man neben den Waffen auch wertvollen Schmuck mit in die Ewigkeit gegeben. Ein rechteckiger Beschlag aus vergoldetem Silber mit kunstvollem Anhänger und vergoldete bronzene Pferdebeschläge aus einem Grab in Hauskirchen lassen auf die Bestattung einer langobardischen Königin schließen. Mit kriminalistischem Scharfsinn wurde von den Archäologen der Beraubung des Grabes nachgespürt und zufrieden festgestellt, dass der sogenannte Raubtrichter knappe zehn Zentimeter neben den Beigaben vorbeiführt worden war. Wir wüssten heute kaum etwas über die Bestattungsriten hochgestellter Persönlichkeiten. Ähnlich glücklich hat sich der Goldflitter in einem Frauengrab von Untersiebenbrunn erhalten, der ebenfalls darauf schließen lässt, dass man hier „Von Germanen, Hunnen und Awaren bis zu den frühen Babenbergern“ standesgemäß zu leben wusste und, für die Archäologen höchst erfreulich, seinen Reichtum mit ins Grab genommen hat.

Stuette eines gefangenen Germanen, Foto aus dem besprochenen Buch
Edition Winkler-Hermaden Logo 300

Statistik