Kultur und Wein

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Durchlaufen und Knipsen, dafür ist Dürnstein zu schade

Zeit nehmen zum Zeitreisen

Seit gut 800 Jahren hat man im Städtchen Dürnstein Erfahrung im Umgang mit Kreuzfahrern. Waren es damals Ritterheere, die auf ihrem Weg in Heilige Land in der Wachau Station gemacht haben, sind es heute Heerscharen von Touristen, die im Zuge einer Kreuzfahrt auf der Donau Dürnstein heimsuchen, in die historischen Mauern strömen, mit vielen Ohs und Ahs hinter dem Reiseführer herrennen, schnell fotografieren und in kürzester Zeit wieder verschwunden sind – meist ohne einen Cent ausgegeben zu haben. Das dichte Reiseprogramm gibt ihnen einfach keine Gelegenheit dazu.

Panorama: Kreuzfahrer unserer Tage vor der Stadt Dürnstein

r.g.o.: Wahrzeichen von Dürnstein, der blaue Himmelsturm

l.o.: Ruine Dürnstein

l.u.: Gastlichkeit seit Jahrhunderten, die Kuenringer Taverne

Leiste: König Löwenherz, unfreiwilliger Gast in Dürnstein

Titelbild: Weltberühmte Ansicht von Dürnstein

Dass sie dabei einen eminent wichtigen Aspekt der Stadt übersehen haben, stört sie offenbar nicht sehr. Sie haben zwar das ehemalige Augustiner Chorherrenstift besucht, mit dem einzigen barocken Kreuzgang in Österreich, mit einem kunstvoll geschnitzten Krippenaltar und dem Tabernakel mit einer sich drehenden Kugel, beides Meisterwerke von Johannes Schmidt, dem Vater des Kremser Schmidt, haben auch zur Ruine emporgeblickt und sich über das auffällige Blau des Turmes gewundert, aber die Gastlichkeit der Stadt, deren wahre Stärke, ist ihnen entgangen.

 

Was anderswo Slogans sind, wird in Dürnstein erfreuliche Realität, wie der Spruch „Der Gast ist König“. So wurde Richard Löwenherz nicht ganz freiwillig von 1192-1193 in der Stadt beherbergt. Im Grunde war es eine Gefangenschaft. Der Babenberger Leopold V. hatte sich beim dritten Kreuzzug 1190 von König Richard um seine Beute betrogen gefühlt und diesen auf der Durchreise festgenommen. Aber Richards Gastgeber waren die Kuenringer, Herren von Dürnstein, die es dem hohen Gast ganz bestimmt an nichts als an seiner Reisefreiheit mangeln ließen.

 

Wein gab es bereits genug, man ersieht es aus dem Stadtwappen, das sogar innerhalb der Mauern einen heute (wieder) bestehenden Weingarten zeigt. Damals wie heute mag der „Wachauer“ dazu beigetragen haben, sich zusammen zu trinken. Beschwerden seitens der Engländer hat es jedenfalls nicht gegeben, abgesehen von der gut erfundenen Legende, dass der treue Sänger Blondl seinen Herren in einem Dürnsteiner Verlies aufgestöbert hätte – wahrscheinlich die Revanche für den Haufen Lösegeld, den sie für ihren König zahlen mussten.

Es gibt sowohl den Blondel noch, als auch den Richard Löwenherz. Beides sind Hotels, in denen neben dem üblichen Service auch Kunstgeschichte en détail geboten wird. Der Schlüssel dazu sind die Bilder an den Wänden in beiden Häusern. Im 19. Jahrhundert war auch die Wachau Opfer einer Wirtschaftskrise geworden. Die bisherigen Grundbesitzer, teils deutsche Klöster und Stifte, waren im Zuge der Säkularisation enteignet oder im Falle von Österreich waren sie zuvor bereits von Joseph II. aufgehoben worden. Die Folge war eine Stagnation der bis dahin blühenden Weinwirtschaft und ein Stillstand, der sich jedoch bald darauf als Segen erweisen sollte.

 

Um 1880 begannen Wiener Künstler die Wachau zu entdecken. Man suchte unverfälschte Romantik und fand sie hier in den Ortschaften, die ihr Bild seit Jahrhunderten kaum verändert hatten. Einige der klingenden Namen sind Eduard Peithner von Lichtenfels, der mit seinen Schülern die Wachau besuchte, Emil Jakob Schindler, Robert Russ oder Franz Seraph. Deren Kunst war es den Wachauern durchaus wert, „ihren Wachaumalern“ dafür Kost und Logis und vor allem genügend Wein als Quelle der Inspiration zu gewähren und nach heutigen Maßstäben betrachtet, eine für beide Seiten durchaus erträgliche Win-Win-Situation zu schaffen.

 

Die Malerwinkel gibt es noch, und nach wie vor wird man dort Künstler antreffen, die sich mit Pinsel und Farbe in den Reiz der historischen Orte und der von Weinterrassen geprägten Landschaft vertiefen. Ein besonders hübsches Motiv findet sich in den Weinbergen ganz in der Nähe von Dürnstein auf dem Weg Richtung Loiben: das barocke Kellerschlössl. Erbaut wurde es von Jakob Prandtauer im Auftrag von Propst Hieronymus Übelbacher. Seinen Zweck verrät die Sonnenuhr an der Fassade. Sie zeigt eine feuchtfröhliche Kartenpartie mit dem lebensfrohen Propst, dessen Wahlspruch „Wein ist alles und Wein ist über alles“ im prächtig ausgestatteten Inneren des Schlösschens nachzulesen ist.

r.o.: Künstlerstammtisch im Hotel Richard Löwenherz

r.u.: Hoch über den Häusern ein Weingarten in der Stadt

r.g.u.: Kellerschlössl der Domäne Wachau

l.o.: Mystik im barocken Kreuzgang von Stift Dürnstein

l.u.: Malerwinkel an der Donau

Von diesem oberirdisch errichteten Manifest der Lustbarkeit und der Weinfreude steigt man hinab in einen 250 langen Weinkeller. Die 1719 gebauten Gewölbe führen zum größten Weingut der Wachau, der Domäne Wachau. Trotz seines beachtlichen Alters lebt dieser Keller noch, das heißt, hier entsteht auf dem neusten Stand der Technik und des Wissens der Wein eines der besten Weißweingüter Österreichs. Einen Teil der Gänge hat man der Geschichte überlassen und zeigt neben kunstvollen Fassböden auch den Tisch, an dem die Freiheit Österreichs im wahrsten Sinn des Wortes ersoffen wurde.

 

Leopold Figl, Verhandler für den Staatsvertrag, hatte Zugang zu diesem Keller. Wenn in Wien nichts weiterging, fuhr man oft noch spät nachts nach Dürnstein, trank Wachauer Wein und schaffte es tatsächlich, die verhärtete russische Njet-Front aufzuweichen. Der Wein und die Gastlichkeit von Dürnstein sind seither aus den Protokollen von Staatsbesuchen nicht mehr wegzudenken. Ob Kanzler, Präsident oder Monarch, alle die hohen Gäste sind regelmäßig allerhöchst angetan von seinem Reiz, und gäbe es den alten Kaiser noch, er hätte wohl gesagt: „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.“

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