Bis zur Kanonisation: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull
Man braucht einem dramatisierten Roman nur seine Sprache zu belassen
Im Werk von Thomas Mann nimmt sich der Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ schmalbrüstig aus, zumindest im Vergleich mit „Der Zauberberg“ oder der „Tetralogie Joseph und seine Brüder“. Der Inhalt aber, der braucht sich an Tiefgang nicht zu verstecken. Hat sich der Nobelpreisträger in Liratur darin selbst dargestellt? Eher nicht. Wenngleich die Ich-Form diesen Verdacht nahelegt. Thomas Mann brauchte nicht zu blenden. Bereits die „Buddenbrooks“ haben 1901 eingeschlagen und lösten eine unvergleichliche deutsche Leselust aus. Jeder seiner Sätze glitzert mit einer ungewöhnlichen Formulierung, die auf der Stelle ein Bild im Kopf des Lesers entstehen lässt oder ihn zum Nachdenken anregt. So lässt er auch Felix Krull ungemein g´scheite Sachen von sich geben und versteckt dahinter das Eingeständnis, dass ein Schriftsteller, der die Wirklichkeit zu schildern vorgibt, nichts anders als ein Schwindler ist, der Träume erschafft, die in seiner Phantasie gewachsen sind und dennoch dreist den Anspruch auf wahres Leben erheben.
So sagt Felix Krull an einer Stelle dieses Stückes, dem großteils der Text von Thomas Mann belassen wurde: Nur der Betrug hat Aussicht auf Erfolg und lebensvolle Wirkung unter den Menschen, der den Namen des Betrug nicht durchaus verdient, sondern nichts ist als die Ausstattung einer lebendigen, aber nicht völlig ins Reich des Wirklichen eingetretenen Wahrheit mit denjenigen materiellen Merkmalen, derer sie bedarf, um von der Welt erkannt und gewürdigt zu werden.
In diesem Sinn hat Regisseur Felix Hafner aus diesem Romanfragment die Karriere dieses überaus talentierten Hochstaplers in unterhaltsame Stationen gegliedert. Es beginnt mit seiner Show bei der Stellungskommission, vor der ein angeblich Williger die deutlichsten Zeichen der Untauglichkeit an den Tag legt. Wenn man Tobias Artner so zuhört, wie er als Felix Krull um Aufnahme in den Militärdienst bettelt, man möchte ihm auf der Stelle glauben. Michael Scherff als gestrenger Stabsarzt tut es.
In selbiger Paarung geht ihm auch der Direktor eines Pariser Nobelhotels auf den Leim, mit dem Unterschied, dass Scherff dabei zu einem Schweizer mutiert ist. Der inzwischen zum schönsten Liftboy avancierte Felix als Armand wird von der sexbedürftigen Schriftstellerin Madame Houpflé (Nanette Waidmann) taxfrei zum Hermes ernannt, um sie in erotischer Aufgabenerfüllung um ihren Schmuck zu erleichtern. Mit Tilman Rose kommt ihm Marquis de Venosta mehr als gelegen. Der Lebemann will partout nicht von seiner Geliebten ablassen und schickt Felix an seiner Stelle auf eine Weltreise. Diese endet allerdings bereits in Lissabon, wo Krull ob seines aufwändigen Lebenswandels – es werden schüsselweise Austern geschlürft und dazu Champagner getrunken – bald einen Finanzier benötigt. Er findet ihn in Mr. Buffett (wieder Nanette Waldmann).
Sogar dieser skeptische Geschäftsmann fällt auf eine nicht existente Ölquelle in Skandinavien herein. Erst Laura Laufenberg, die bis dahin etliche Rollen wie den kleinen Gauner Stanko bewältigt hat, setzt als König von Portugal dem unheiligen Treiben ein Ende, indem sie/er den vorgeblichen Baron zu einem Fest einlädt, bei dem auch dessen Tante zugegen sein wird. Dass Felix Krull am Schluss dennoch mit einem Heiligenschein hereinschwebt, ist nichts als die logische Folge gekonnter Schwindeleien.
Turbulente und lebhafte Heilung von der Angst, Hörner zu tragen
Molière kannte seine Pariser zu gut, um sie nicht in seinen Komödien lächerlich machen zu müssen. So zeigt er uns in „Die Schule der Frauen“ Arnolphe, einen bestens situierten, aber in die Jahre gekommenen Junggesellen, der seine späte Heirat penibel geplant hat. Als Wichtigstes erscheint ihm die eheliche Treue der Gattin. In weiser Vorausschau hat er ein vierjähriges Mädchen fern ab von der Welt in einem Frauenkloster erziehen lassen, um sie später als williges und ahnungsloses Geschöpf ehelichen zu können. Die Angst betrogen zu werden sitzt ihm im Nacken und wird zur Panik, als er von einem jungen Mann erfährt, dass dieser ausgerechnet in sein Ziehkind verliebt ist. Nachdem der Liebhaber ihn aufgrund eines Namenswechsels – Arnolphe hat sich einen Adelstitel zugelegt – nicht erkennt, wird er von dessen Bemühungen auf dem Laufenden gehalten und veranlasst ihn, entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Knapp vor seinem Sieg über den Eindringling setzt sich am Ende dank einiger glücklicher Zufälle dennoch die Vernunft durch und Arnolphe bleibt ledig.
Als Kommentatoren des Geschehens debattieren Kapellmeister Climène und die schöne Uranie über den Sinn und Unsinn eines solchen Stückes und kommen unweigerlich auf die Liebe und ihre völlig gegensätzliche Auffassung zu sprechen. Im Original sind diese beiden Gestalten nicht vorhanden, bereichern aber ungemein die „Lehrtätigkeit“, die sowohl in ihrem Fall als auch im eigentlichen Stück von den Frauen ausgeht und die Männer zur Vernunft bringen soll.
Für das Landestheater Niederösterreich hat die auch als Schauspielerin ungemein quirlige Ruth Brauer-Kvam Regie geführt. Man spürt den Spaß, mit dem sie ihr Ensemble angesteckt hat, um mit französischer Leichtigkeit das Thema Liebe vereint mit der Komik eines Molière umzusetzen. Es wird getanzt und gesungen, geblödelt was das Zeug hält und trotzdem solid Komödie gespielt. Das Tempo wird von der Musikerin Ingrid Oberkanins auf ihrem reichlich ausgestatteten Schlagzeug vorgegeben.
Für ordentliche Beschleunigung sorgen von der Decke baumelnde Quasten (Bühne: Monika Rovan). Michael Scherff als Climène brät vergebens bei Uranie (Emilia Rupperti) und merkt nicht, wie sehr er sich mit seiner Ernsthaftigkeit und als Kritiker von Molière der lebensklugen Frau gegenüber lächerlich macht. Am Ende hat er jede Chance auf eine Landung bei ihr verspielt.
Dass Arnolphe (Tilman Rose) vom ersten Moment an auf der Verliererseite steht, wird mit dem Auftritt von Agnès klar. Laura Laufenberg lässt ihn und die Zuschauer gekonnt im Zweifel, ob sie wirklich so naiv ist, wie sie vorgibt, oder ob das alles nicht nur ein Trick ist, um den lustigen Horace mit seinem abenteuerlichen Haarschopf ins Bett zu bekommen. Als lebhafter und akrobatischer Italiener hat Philipp Leonhard Kelz natürlich bessere Karten als der pragmatische Arnolphe, dem im Grunde wahres Begehren fremd ist. Außerdem ist das umwerfend komische Dienerpaar Alain (Tim Breyvogel) und Georgette (Tobias Artner) zumindest fallweise auf seiner Seite. Diese beiden übernehmen en passant die restlichen Rollen wie Altes Weib, Oronte oder Notar. Sie alle lassen sich in keinem Moment die Depression anmerken, die ein halbvoller Zuschauerraum auf Darsteller verströmen möchte. Man darf also herzlich darüber lachen, wenn Arnolphe jammert, dass er ein Unglück suchen muss, das er gar nicht finden will.