Kultur und Wein

das beschauliche Magazin


Ausstellungsansicht "Zeiten des Umbruchs. Egon Schieles letzte Jahre: 1914–1918" © Leopold Museum

Ausstellungsansicht "Zeiten des Umbruchs. Egon Schieles letzte Jahre: 1914–1918" © Leopold Museum, Wien, Foto: Leni Deinhardstein

ZEITEN DES UMBRUCHS Egon Schieles letzte Jahre: 1914-1918

Egon Schiele, Liegender weiblicher Akt mit langem Haar, 1918 © Leopold Museum, Wien

Egon Schiele, Weiblicher Akt © Leopold Museum, Wien

Die „Entschwebung“ des Künstlerblicks von sich auf eine ihn umgebende Welt

Lächerliche zehn Jahre waren ihm für sein Schaffen vergönnt. Die letzten vier davon waren geprägt von einem Weltkrieg, der auch ihn als Soldat missbrauchte, dazu kamen private Veränderungen wie die Heirat mit einer bürgerlichen Frau und familiäre Eindrücke wie das ihn seltsamerweise irritierende moralische Verhalten seiner Schwester. Just als sich der Erfolg abzuzeichnen begann und Pläne für die weitere künstlerische Entwicklung Gestalt annahmen, brach eine alles zerstörende Pandemie über die Welt herein. Am 31. Oktober 1918 verstarb Egon Schiele an den Folgen der Spanischen Grippe. Wenige Tage davor entstand eine der berührendsten Zeichnungen. Sie zeigt seine Frau Edith auf dem Totenbett und damit den Schmerz des Künstlers, der ihr kurz darauf gefolgt ist.

Egon Schiele, Entschwebung (Die Blinden II), 1915 © Leopold Museum, Wien, Foto: Leopold Museum, Wien
Egon Schiele, Zerfallende Mühle (Bergmühle), 1916 © Landessammlungen Niederösterreich

o.: Egon Schiele, Zerfallende Mühle (Bergmühle), 1916 © Landessammlungen Niederösterreich, Inv. Nr. KS-2043, Foto: Landessammlungen NÖ

l.: Egon Schiele, Entschwebung (Die Blinden II), 1915 © Leopold Museum, Wien

 

Dieses melancholische Werk beschließt mit Schieles Totenmaske und dem Künstler am Totenbett, aufgenommen von der Fotografin Martha Fein, die umfangreiche Ausstellung „Zeiten des Umbruchs, Egon Schieles letzte Jahre: 191-1918“ (bis 13. Juli 2025). Es bedarf eines aufmerksamen Hinschauens und einer eingehenden Lektüre der Saaltexte, um die Unterschiede zu Schieles früheren Werken zu entdecken. Hilfreich dabei ist der Hinweis von Kuratorin Kerstin Jesse, die den Beginn des entscheidenden Wandels aus dem Gemälde „Entschwebung (Die Blinden)“ von 1915 deutet

Es handelt sich bei der geheimnisvollen Darstellung  um zwei Selbstbildnisse, von denen das eine nach oben schwebt, während die zweite Figur mit den Füßen wie geerdet am Boden steht. Es lassen sich bereits Ansätze einer beruhigten, fließenden und organischen Strichführung erfühlen. Vermehrt entstanden auf diese Weise Arbeiten mit Paarmotiven, auch mit seiner Frau Edith, die sich allerdings als Modell für die zahlreichen hocherotischen Darstellungen von Liebesspielen und Akten verschloss. Das Militär nimmt mit Porträts vom Soldaten Schiele selbst, seinen Kameraden und von ihm bewachten russischen Gefangenen beachtlichen Raum in seinem Œuvre ein, gipfelt aber dennoch in einem hochexpressiven (friedenszeitlich anmutenden) Gemälde, auf dem eine „Zerfallene Mühle (Bergmühle)“ beim Ort seiner Stationierung nahe Wieselburg als Lost Place zum Abenteuer einlädt. Eingefügt in die grandiose Werkschau sind Archivalien und Fotos, die eine Wanderung durch dieses „Spätwerk“ eines viel zu früh aus dem Schaffen Gerissenen mit persönlichen Details und einer Menge Wissenswertem begleiten.

Egon Schiele, Baby (Anton Peschka jun.), 1915 © The Kallir Family Foundation, New York City

Egon Schiele, Baby (Anton Peschka jun.), 1915 © The Kallir Family Foundation, New York City, Foto: Image courtesy Kallir Research Institute, New York City

Poesie des Ornaments. Das Backhausenarchiv, Ausstellungsansicht

Poesie des Ornaments. Das Backhausenarchiv, Ausstellungsansicht

POESIE DES ORNAMENTS Von der Bedeutung des Backhausenarchivs

Poesie des Ornaments. Das Backhausenarchiv, Ausstellungsansicht

Poesie des Ornaments. Das Backhausenarchiv, Ausstellungsansicht

Eine Reise durch Wiens textiles Kunstschaffen um 1900

In Juni 2023 schloss die Firma Backhausen endgültig ihre Tore. Dank des leidenschaftlichen Einsatzes der rührigen Geschäftsfrau Dr. Louise Kiesling hatte das 2012 in die Insolvenz geschlitterte Unternehmen noch einige Jahre an seinem letzten Standort in Hoheneich überlebt, bis zum unerwarteten Ableben seiner Retterin 2022. Kiesling hatte den Traditionsbetrieb von der sechsten und siebten Generation der Gründerfamilie übernommen, nicht zuletzt aufgrund der Bedeutung, die seit seiner Gründung 1849 (Brüder Karl & Johann Backhausen) mit dem weit über ein Jahrhundert andauernden wirtschaftlichen Aufstieg verbunden war. Es begann mit der Produktion von Mode- und Westenstoffen in hoher Qualität und steigerte bald die Bekanntheit der Firma bis zu internationaler Reputation bei den Weltausstellungen in London (1851) und Paris (1855). 1871 wurde die Produktion nach Hoheneich verlegt und in der kleinen Ortschaft im Waldviertel für die Beschäftigten eine eigene Backhausenkolonie angelegt. In der Kaiserstadt wurden die Aufträge übernommen, so die Ausstattung des Rathauses und des Burgtheaters; mit dem Erfolg „allerhöchster Zufriedenheit“ und dem Titel k. k. Hoflieferant.

Ver Sacrum. Zeitschrift der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, Sammelband des Jahres 1898
JOSEF HOFFMANN (Entwurf), Dess. 6412, 1907 © Backhausen-Archiv, Vermächtnis von Louise Kiesling

o.: JOSEF HOFFMANN (Entwurf), Dess. 6412, 1907 © Backhausen-Archiv, Foto: Backhausen-Archiv, Vermächtnis von Frau Dr. Louise Kiesling, Dauerleihgabe im Leopold Museum

l.: Ver Sacrum. Zeitschrift der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, Sammelband des Jahres 1898 © Leopold Museum, Wien | Foto: Leopold Museum, Wien

Eine neue Ära setzte um die Jahrhundertwende ein. Secession und Jugendstil schufen eine neue Ausrichtung der Kunst, deren Formensprache auch bei Backhausen mutig Eingang fand. Größen wie Otto Wagner, Josef Hoffmann und Kolo Moser kamen mit Backhausen in Kontakt und entdeckten in der fortschrittlich aufgestellten Firma eine Möglichkeit, ihre avantgardistischen Ideen umsetzen zu lassen. Sie lieferten die Entwürfe für Möbelbezüge, Vorhänge, Teppiche bis zum Prachtband der Publikation Ver Sacrum, die von so bezeichneten Dessinateuren für die mechanische Ausführung vorbereitet und dann in entsprechender Güte gewebt wurden. Die Kooperation mit der Wiener Werkstätte war nichts als eine logische Folge. Im Raum stand das Gesamtkunstwerk, das beispielsweise im Sanatorium Purkersdorf, im Palais Stoclet in Brüssel oder in der Villa Skywa-Primavesi verwirklicht werden sollte.

Koloman Moser, Design 3742, 1899, Druck auf Papier

Koloman Moser, Design 3742, 1899, Druck auf Papier

Backhausen ist damit aus der Wiener Moderne nicht wegzudenken und trug nicht unwesentlich dazu bei, dass eine der ältesten Kulturtechniken wie das Weben zu den „höheren“ Künsten, beispielsweise der Malerei oder der Bildhauerei, aufstieg. In der Ausstellung „Poesie des Ornaments. Das Backhausenarchiv“ (bis 9. März 2025) zeigt das Leopold Museum nun von Kuratorin Aline Marion Steinwender ausgewählte erlesene Prachtstücke aus dem als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellten Bestand. Eine übersichtliche Timeline ermöglicht einen systematisch geordneten Schaugenuss an genialen Skizzen, bunten Mustern oder einer fertigen Decke in der von Backhausen patentierten Chenille-Technik. Erklärt werden auch die einzelnen Produktionsschritte vom Entwurf über Muster bis zur Anwendung. Historische Schwarz-Weißaufnahmen im Großformat lassen eine Ahnung davon aufkommen, wie außergewöhnliche Interieurs aus der Vielfalt der Motive und dem Zusammenwirken von Raum, Dekor und Einrichtung auf die in diese kunstvoll gestaltete Umgebung Eintretenden gewirkt haben müssen.

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