Der Cellist Rupert Schöttle war 30 Jahre lang als freier Mitarbeiter bei den Wiener Philharmonikern und im Orchester der Wiener Staatsoper tätig. Er hat unter zahllosen Dirigenten musiziert, hat viele verschiedene Auffassungen von immer denselben Noten auf seinem Instrument umgesetzt und damit stets einen direkten Bezug zum Meister am Dirigentenpult aufgebaut. Vielleicht ist ihm bei einer der langen Proben die Idee gekommen, zumindest den größten Maestri Fragen zu stellen, die über das Konzertpodium oder den Graben hinaus für die Menschen interessant sein könnten. Er hat also einen Katalog von sechs Fragen zusammengestellt, den er ab 2005 den größten Dirigenten, unter denen er musiziert hat, zur Beantwortung vorgelegt hat. Bis auf wenige Ausnahmen wie Claudio Abbado oder Lorin Maazel haben meisten von ihnen bei diesem exklusiven Frage- und Antwortspiel mitgemacht und damit Einblicke in ihre Beziehung zu Komponisten, Opernregisseuren und Trends in den letzten Jahrzehnten eröffnet.
Jeder der 25 Dirigenten wird auf einigen Seiten in seinen wesentlichen Lebens- und Karrierestationen vorgestellt. Schon in diesen biografischen Notizen kann Schöttle viel Persönliches durchklingen lassen. So hat ihm DER KOMPORMISSLOSE Bertrand de Billy verraten, dass sein Vater alles andere als glücklich mit dem Talent seines Sohnes war und gesagt haben soll: „Es ist eine Katastrophe, du bist begabt!“ IL MAESTRO Ricardo Muti wird als „Schatzgräber“ angesprochen, der einiges zutage förderte, was heute wieder im allgemeinen Opernrepertoire verankert ist. DIE INSTANZ Nikolaus Harnoncourt (verst. 2016) hadert wiederum auf höchster Ebene: „Egal was ich anfasse, man hält mich sofort für einen Spezialisten.“ Die Reihenfolge der Dirigenten ist streng nach dem Alphabet angelegt, von DAS PHÄNOMEN Daniel Barenboim bis DIE WEGBEREITERIN Simone Young. Die jeweils in Großbuchstaben über den Namen gedruckte Bezeichnung stammt vom Autor und ist eine treffende Kürzestcharakteristik des beschriebenen Dirigenten.
Die Fragen drehen sich einerseits um musikalisch fachliche Meinung, aber auch um Privates wie das immer wieder humorig beantwortete „Welche drei Dinge würden sie auf eine einsame Insel mitnehmen?“ An erster Stelle steht jedoch „Wenn Sie die Möglichkeit hätten, mit irgendeinem Komponisten, ob tot oder lebendig, einen Abend zu verbringen, mit wem wollten sie sich treffen und was würden sie ihn fragen?“ Begehrte Partner für ein solches Rendezvous sind selbstverständlich Mozart, Beethoven oder Bach.
DER THEATERMACHER Christoph von Dohnányi meint zu „Auf der Bühne entfernt man sich immer mehr vom Urtext, während man sich im Orchestergraben diesem immer mehr nähert. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?“ nur lapidar: „Urtext – meist doch nur Wörter oder Notenköpfe. Zwischen den Zeilen findet man den ,Urtext´.“ Die Frage, welche gesellschaftliche Aufgabe die Musik in der heutigen Zeit hat, beantwortete DAS MONUMENT Mstislav Rostropovitch (verstorben 2007) gleichsam als Beweis für die Berechtigung des doch hochtrabend klingenden Buchtitels „Die Weisheit der Götter“: „Wenn ich auf der Bühne spiele, bin ich ein Überbringer eines Briefes aus der Vergangenheit, den der Komponist geschrieben hat.“ und weiter „In der heutigen Zeit, in der die Welt so zersplittert ist, ist die Musik das Medium, das alle vereinen kann.“
Rupert Schöttle: Die Weisheit der Götter. Große Dirigenten im Gespräch, Styria premium 2016, ISBN: 978-3-222-13544-6, Preis € 26,90
Der Titel „Der Kaiser schickt Soldaten aus“ ist bereits ein Vorgriff auf das Geschehen, das der Handlung dieses Romans von Janko Ferk erst folgen wird. Der in Klagenfurt lebende Jurist, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Ferk erzählt in seinem „Sarajewo-Roman“, wie es zu den Schüssen auf den Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand gekommen ist. Es handelt sich dabei um mehr als eine Dokumentation. Der Hergang ist zwar bis ins kleinste Detail recherchiert, der Ablauf spielt sich im Minutentakt ab. Eingebettet sind diese Daten jedoch in eine Erzählung, in der die einzelnen Persönlichkeiten, soweit es die Unterlagen seriös zugelassen haben, als Menschen zu erleben sind. Freilich birgt ein solcher Kunstgriff gewisse Gefahren.
In diesem Fall aber macht das menschliche Drumherum das Verhalten der Hauptgestalten Franz Ferdinand und Gavrilo Princip erst nachvollziehbar – was in der Rückschau auf ein Jahrhundert voll brennendem Nationalismus kaum hoch genug bewertet werden kann.
Ferk greift bei seiner Aufarbeitung der Geschichte gründlich weit zurück. Sie beginnt mit dem 28. Juni 1389, ein Tag, der den Serben heiliger als alle anderen Tage ist. Am Sankt-Veits-Tag, dem Vidov dan, wurde das Serbische Heer auf dem Amselfeld von den Osmanen aufgerieben. Serbien war 400 Jahre Teil des osmanischen Reiches. Ferk, er ist Kärntner Slowene, deutet den Ausgang und den Inhalt seines Romans im letzten Absatz dieses Kapitels bereits an: Die Beleidigung und Nichtachtung des Sankt Veits-Tags … kann die schlimmsten Folgen zeitigen. Auch tödliche. Franz Ferdinand, designierter Thronfolger des greisen Kaisers Franz Joseph, besuchte ausgerechnet am 28. Juni 1914 Sarajewo, die Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, einem ebenfalls slawischen Land, das von der österreichischen Monarchie annektiert worden war.
Der kurioserweise lange ersehnte Krieg hatte endlich seinen Auslöser gefunden. Zitiert wird der Kaiser, der zur Nachricht des Todes von Franz Ferdinand und dessen Gemahlin Sophie nichts anderes zu sagen hatte als: „Der Allmächtige lässt sich nicht herausfordern. Eine höhere Gewalt hat wieder jene Ordnung hergestellt, die ich leider nicht zu erhalten vermochte.“ In diesem Punkt hatte der Monarch geirrt. Von Ordnung war lange keine Rede mehr. Janko Ferk resümiert: Gavrilo Princips Schüsse hatten mehr als zwei Menschen getötet, auf den Schlachtfeldern der Welt verendeten Millionen.
Ein Erbe der Nazizeit: beklemmende Gegenwelt unter der Erde
Bergkristall, eine Rakete für das Reich und „Luftnot“ in Linz
Betonklötze, verwachsen vom Gestrüpp, sind mitunter die einzigen Hinweise, die auf rege militärische Bautätigkeit während des Zweiten Weltkrieges schließen lassen. Dieser Eifer erstreckte sich nicht nur auf oberirdische Flaktürme und Panzerwehren. Im Schutz tiefer Stollen, teils von der Natur vorgegebene Höhlen, teil aufgelassene Bergwerke, teils eigens gegrabene Gänge, suchten die Menschen Zuflucht vor den Bomben, aber viel mehr noch wurde in der Tiefe verzweifelt am Endsieg gearbeitet. In endlosen Röhrensystemen wurden von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen unter grausamen Umständen Düsenjäger und Raketen gebaut, die als Wunderwaffen den Umschwung einleiten sollten.
Die Geschichte hat anders entschieden. Geblieben sind die Stollen als bedrückendes Erbe dieser düsteren Jahre. Johannes Sachslehner und Robert Bouchal haben nun gute sechzig Jahre danach einige dieser Stollen befahren, wie es im Jargon der Bergleute heißt.
Das Ergebnis ist ein eingehend recherchiertes Buch, das gezielt repräsentative Objekte ausführlich beschreibt. Das Angenehme daran: Der Leser wird weder mit reißerischem mystischen Dunkel verwirrt, was in diesem Fall sehr einfach wäre, noch wird er mit trockenen historischen Fakten überlastet. Es bleibt das Gefühl, wichtiges Wissen zu erlesen, hervorragend illustriert von Robert Bouchal, der mit geschickter Lichtsetzung sogar einem Weltkriegsstollen einen Hauch von Romantik verleiht.
„Unterirdisches Österreich. Vergessene Stollen, geheime Projekte“ (styria premium) beginnt die Reise in diese beinahe vergessene Gegenwelt in der Gegenwart österreichischer Bürokratie, die sich über Jahrzehnte uneins war, was mit diesen Bauten geschehen sollte, wem sie überhaupt gehörten und wer für diese lost places der Nazi-Diktatur verantwortlich sei. Erst nach erstaunlich ausführlicher Darstellung dieser Fragen geht es in den Berg. Ziele sind „Das unterirdische Amphitheater“ in Ebensee, in dem die V2 gebaut wurde, oder das Stollenlabyrinth in St. Georgen an der Gusen. Dort wurde unter dem Codenamen „B8 Bergkristall“ der „Strahljäger“ entwickelt und gebaut, der erste Kampfjet der Welt.
Wenn in der Luft schwere amerikanische Bomber über der „Führerstadt“ Linz ihre tödliche Last abwarfen, herrschte am Boden „Luftnot“. Mit den Herman-Göring-Werken war Linz bevorzugtes Ziel dieser verheerenden Luftangriffe. Zehntausende Menschen, so schreibt die Oberdonau Zeitung vom 20. Februar 1945, haben in den letzten Tagen der Luftnot in Stollen und Bunkern sichere Aufnahme gefunden. Verständlich also, dass man im ersten Frieden nach 1945 solche Erinnerungen löschen wollte. So verwundert es beinahe, dass manche dieser Stollen zu Hotspots wurden. Im Grunde ist es aber vernünftig, diese Bauten zu nutzen. Ein geglückter Fall findet sich dazu in der Steiermark, wo aus dem Rüstungsprojekt „Syrenit“ das sicherste Rechenzentrum Österreichs mit der futuristischen Bezeichnung earthDATAsafe betrieben wird.
Was gehen uns die reichsten Wiener des Jahres 1910 an?
Rothschild, Mautner Markhof, Julius Meinl und andere Namen für das große Geld
„Die Geschichte wiederholt sich nicht, sagt man“, stellt Roman Sandgruber in „Traumzeit für Millionäre“ im Kapitel „Die Wiederkehr der Ungleichheit“ fest, um diesen Satz umgehend zu widerlegen: „Doch die Ungleichheit nimmt weltweit wieder sprunghaft zu. Die Geschichte wiederholt sich doch“, zumindest punkto Einkommensschere. Geradeso wie vor hundert Jahren blickt man auch heute gern bewundernd auf die Superreichen und verschlingt begeistert die Artikel des Boulevards, die von reichsten und noch reicheren Menschen berichten. Warum als nicht hundert Jahre zurück blicken, dachte man sich wohl bei Styria und hat Dr. Sandgruber, Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz, eingeladen, ein Buch über „Die 929 reichsten Wienerinnen und Wiener im Jahr 1910“ verfassen.
Warum gerade 1910? Ein Blick auf die Nomenklatura in der österreichischen Finanzwelt dieser Zeit schafft umgehend Erklärung. Beispielsweise, warum der Name Rothschild hierzulande zum Synonym für unermesslichen Reichtum wurde. Nur Dagobert Duck dürfte populärer sein. Der kleine Unterschied zum Comic: Albert Salomon Rothschild, genannt „Salbert“ hat es wirklich gegeben. Dass er sparsam war, nicht zu sagen, geizig, war seinerzeit stadtbekannt. Es handelt sich dabei offenbar um eine Eigenschaft, die nicht nur Entenhausener Besitzer von Geldspeichern plagt. So soll er sich, erfährt man in diesem überraschend kurzweilig zu lesenden Buch, in Paris nach dem Preis eines Hotelzimmers erkundigt haben. Es war ihm zu teuer. Auf den Einwand des Portiers, dass sein Sohn immer die Fürstensuite nehme, antwortete er nur trocken: Der hat ja einen reichen Vater.
Den Rothschilds, einer Familie jüdischer Herkunft, blieb, wie man weiß, im 20. Jahrhundert nichts erspart. In den 30er-Jahren war es mit den Bankgeschäften steil bergab gegangen. „Die Nazis raubten den immer noch riesigen Rest“, schreibt Sandgruber: „Die Rückstellungen nach 1945 wickelte er (Louis Rothschild, der letzte Chef der österreichischen Linie) in der Art eines Grandseigneurs ab, zugunsten seiner ehemaligen Beschäftigten und zugunsten des österreichischen Staates.“ Riesige Waldungen der Rothschilds, vor allem im Voralpenbereich, sind heute im Besitz der Republik, verwaltet von den Bundesforsten.
Teil VIII dieses Buches ist eine geschickt angelegte alphabetische Auflistung der 929 reichsten Wiener. Es beginnt mit Rudolf Carl Abensperg-Traun, damals immerhin an 196. Stelle, und jeweils einer Kurzbiographie. Etliche der Genannten sind vergessen, die anderen überleben in den Namen der von ihnen errichteten Palais wie Fürst Karl Auersperg (591. im Ranking) oder Clotilde Festetics (434.). An die Familie Kuffner erinnert eine Sternwarte und an Krupp die Schule in Berndorf. Bei Mautner Markhof denkt man an Senf und Bier. An 14. Stelle liegend war Viktor Mautner von Markhof schon damals ganz vorne dabei, zumindest vor Julius II. Meinl (54.), dessen Nachkomme in unseren Tagen in den Wirtschaftsberichten zumindest noch Schlagzeilen macht.
Es sieht ganz so aus, als wäre damals, also Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert, der Reichtum erst entstanden, diese Ansammlungen unermesslicher Geldmengen bei sehr wenigen Menschen. Das Buch versucht auch darauf eine Erklärung zu geben, beantwortet aber auch die Frage, wie so etwas überhaupt möglich ist, und gibt damit Einblick in eine Welt, die dem Normalsterblichen, abgesehen vom Lotteriegewinn, üblicherweise unzugänglich bleibt.
Wenn er ein Wienerlied singt, dann lässt Michael Heltau grundsätzlich die dritte Strophe aus. „Die ist immer grauenhaft. Die reine Verlogenheit und Sentimentalität“, stellt er fest. Aber bis dorthin, bis zu diesem bisher kaum noch bemerkten Abbruch, ist man längst zum gerührten Zuhörer dieser herrlich einfachen Geschichte geworden, die einem Michael Heltau eben vorgesungen, ach was, die er einem mit aller Herzenswärme, der ein Mensch fähig ist, zwischen den Noten erzählt hat. Er selber erinnert sich nicht ohne Stolz, dass Ende der 1970er Jahre Paula Wessely zu ihm sagte: „Michel, du hast mir das Wienerlied gerettet.“
Er gibt zu, dass ihm selber das Herz dabei übergeht: „Ich bin Schauspieler geworden, weil ich mich so rasend verlieben kann.“ Heltau ist aber viel mehr, er ist Chansonnier und voll der Bewunderung für Aznavour, Montand, Brel – „das waren alles große Schauspieler, unverwechselbare Charaktere“, er ist Erzähler, ob im Bühnenensemble an der Burg oder im Soloprogramm, und er ist Philosoph, der viel und lange über die Umgebung seines Lebens hinaus nachgedacht hat und seine Gedanken wie kaum ein anderer weiterschenken kann; kurz gesagt, er ist „in Wirklichkeit ein Bühnenmensch wie ein Zirkusartist."
All das zusammen ergibt Michael Heltau, keinen „einen“ und keinen „anderen“ Heltau, wie er es selbst ausdrückt. Und als solcher präsentiert er sich in „Auf d´Nacht, Herr Direktor!“, einem Buch, das in seiner „Vielseitigkeit“ der Hauptgestalt gerecht wird. Ein toller Fotoband, eine sehr persönliche Biographie, eine Sammlung von Lebensweisheiten und Bühnenanekdoten, all das findet sich vereint unter einem Titel, der eigentlich „eine Drohung“ ist, „bestimmt für einen imaginären Direktor“, dem der Komödiant schon zeigen wird, „wer das letzte Wort hat“, so Heltau, weil er derjenige ist, der vor das Publikum tritt.
Auf d´Nacht, Herr Direktor! Momente aus dem Milieu
gesammelt von Michael Heltau, Gabriela Brandenstein, Claudia Kaufmann-Freßner, Peter Michael Braunwarth,
Styria-Premium 2012, ISBN 978-3-222-13374-9. Preis € 29,99
Keine leeren Versprechungen: Kunst sehen und sogar verstehen
Kompetente Führung durch den Dschungel Kunst
„Was ist Kunst?“ dürfte eine der Fragen sein, auf die bislang keine endgültige und schlüssige Antwort gegeben wurde, trotz der Versuche, die von Tausenden und Abertausenden Kunstschaffenden und Kunstkonsumenten angestellt wurden und nach wie vor werden. Es gibt keine bindenden Parameter und Definitionen. Die letzten Anhaltspunkte hat das 20. Jahrhundert eliminiert, und dennoch ist Kunst eine selbstverständliche Größe und unverzichtbarer Teil im Leben jedes Kulturmenschen und in sich selbst bestehend, unabhängig vom Geschmack und der Auffassung eines Einzelnen.
Die Kunsthistorikerin Sibylle Zambon ist sich selbstverständlich dieser Problematik bewusst. Aber trotzdem unternimmt sie mit ihrem Buch „Kunst sehen und verstehen“ den dankenswerten Versuch, ihren Leser so weit in diese komplexe Materie einzuführen, dass er nach Lektüre von 217 reichlich illustrierten Seiten zumindest zu einer persönlichen Standortbestimmung in seinem Verhältnis zur Kunst gelangen kann. Gemeint ist in diesem Fall ausschließlich bildnerische Kunst von ihren Anfängen in den Steinzeithöhlen bis herauf in den Dschungel der Gegenwartskunst.
Sibylle Zambon: KUNST sehen und verstehen
Styria Premium 2012
ISBN 978-3-222-13355-8
Preis € 24,99
Der Inhalt ist mit viel System aufbereitet und erinnert stellenweise an Seminare mit Flipchart, PowerPoint und Ratespielen. Aber so übel sind derlei Methoden nicht, um sie nicht auch in der Kunstvermittlung einzusetzen. So beginnt jedes Kapitel mit einer Aufgabe für den Leser, also das Publikum, zum Beispiel Nr. 4. Unter dem Motto „Schubladen die für Ordnung sorgen“ stellt die Autorin fest: Ordnung muss sein! und fordert den Leser auf, eine Foto-CD aus dem Urlaub durchzublättern und anzukreuzen, was er sieht, um anschließend auf die klassischen Bildgattungen zu sprechen zu kommen.
Anekdoten und Notabene bereichern die Ausführungen und vertiefen das Wissen, das nun nicht mehr allein auf das Bauchgefühl angewiesen ist, wenn es unter Umständen mit einem bis dato unverständlichen Werk konfrontiert ist. Zambon gibt klare Tipps, wie man in solchen Fällen an die Kunst herangeht, und sie nimmt dem Leser die Scheu vor einem eigenen Urteil und damit auch die Angst vor der Blamage. Das Fehlurteil macht – speziell in der modernen Kunst – vor niemandem Halt, auch nicht vor teuer bezahlten Experten und teuer dafür zahlenden Sammlern.
Wenn Musiker nach einem Konzert bei einem Glas Wein entspannt beisammensitzen, werden immer wieder Schwänke zum Besten gegeben. Man erzählt von heiteren Erlebnissen auf Tourneen mit Publikum und Kollegen oder von den Schrullen eines Dirigenten, vielleicht sind auch die ersten Versuche auf dem Instrument ein Thema, dabei gibt es sicher einen Grund zum Schmunzeln, oder es gab einen heiklen Einsatz im Piano pianissimo. Noch nach Jahren erinnert man sich an den glückseligen Moment, wenn man ihn gemeistert hatte.
Maria Jeitler: In Frack und Lederhose
KARL JEITLER
Aus dem Leben eines Wiener Philharmonikers
beiliegend eine CD mit Beispielen des musikalischen Wirkens von Karl Jeitler
Styria premium 2012
ISBN 978-3-222-13376-3, Preis € 24,99
Wer könnte diesbezüglich mehr zu erzählen haben als ein Musiker wie Karl Jeitler. Er ist einer der wenigen Instrumentalisten, die auf dem philharmonischen Podium geradeso zuhause sind wie in der Blasmusik, die sich bei Wagner im Orchestergraben ebenso wohl fühlen wie bei einem Prozessionsmarsch im Heimatort. In Frack & Lederhose ist auch der Titel seiner eben bei Styria premium erschienen Biographie, mit Erinnerungen aus dem Leben eines Philharmonikers, liebevoll aufgezeichnet von seiner Tochter Maria.
Karl Jeitler ist Posaunist. Er beherrscht damit eines der schwierigsten Blechblasinstrumente. Im Orchester zählt es mit der Tuba zum schweren Blech und schafft den mächtigen Klang im großen Bläsersatz. Karl Jeitler ist Wiener Philharmoniker, und ein solcher bleibt er auch im demnächst angestrebten Ruhestand. Philharmoniker ist mehr als ein Verein, Philharmoniker ist eine Berufung wie die Musik an sich, die ihn von jüngster Kindheit an geprägt hat; während des eigenen Studiums, während seiner Tätigkeit als Pädagoge und schließlich nach dem entscheidenden Probespiel für das Orchester der Wiener Staatsoper, das ihm den Zugang zu den Philharmonikern eröffnet hat.
Mit dem Aufstieg in lichte philharmonische Höhen hat Karl Jeitler nie auf seine Wurzeln vergessen. Mit seinem Engagement in der österreichischen Blasmusikszene ist er zu einem nicht geringen Teil verantwortlich für die ausnehmend hohe Qualität einer Musik, die von der „Klassik“ noch vor einigen Jahrzehnten als notwendiges musikalisches Übel angesehen worden war. Musiker wie Karl Jeitler haben solcherlei Verachtung lügengestraft: Blasmusik ist längst das Reservoir, aus dem auch Orchester wie die Philharmoniker ihren symphonischen Bläsernachwuchs rekrutieren.