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Jens Ole Schmieder (Georg), Doina Weber (Untote), Petra Gstrein (Anna) © Christian Mair

Totenwacht AM ENDE EINES KLEINEN DORFES

Doina Weber (Untote), Jens Ole Schmieder (Georg), Petra Gstrein (Anna) © Christan Mair

Marie von Ebner-Eschenbach, die unbekannte Sozialkritikerin

Murmelnd betet Anna ein Ave Maria nach dem anderen. Auf dem Totenbett liegt ihre Mutter. Sie ist im Frieden hinübergegangen, aus einem Dasein, das ihr nichts erspart hat. Ein Mann, der das von ihr hart verdiente Geld versoffen hat und ihr ein Dasein in bitterer Armut beschert hat, im letzten Haus des Dorfes, einer Keuschen aus Lehmmauern und einem undichten Strohdach. Davon ist sie jetzt erlöst. Die Tochter ist noch da, um mit der Mutter die letzten paar Stunden gemeinsam zu verbringen, bevor diese auf dem Friedhof verscharrt wird. Über dem Ganzen liegt eine Stille, die niemand zu stören wagte, es sei denn, ihn drückt das schlechte Gewissen. Georg, der reiche Sohn vom Nachbarn, dringt ein. Er ist im Alter von Anna und hat dem Mädchen zeitlebens Grausamkeiten angetan. Es entspinnt sich zwischen den beiden jungen Leuten eine bittere Auseinandersetzung, die alle die Bösartigkeiten an den Tag bringt, die er ihr angetan hat. Es beginnt damit, dass er sie verspottet hat, als ihr der Vater das geliebte getupfte Kleid im Wirtshaus versetzt hat.

Jens Ole Schmieder (Georg), Doina Weber (die Untote) © Chistian Mair

Vom dick bestrichenen Butterbrot hat er ihr den letzten Bissen hingeworfen und sich daran ergötzt, dass sie wie ein hungriger Hund danach geschnappt hat. Er hat ihr einen Stein an den Kopf geworfen, als sie sein Katzerl beim Spielen beobachtet hat. Und es endete mit der Vergewaltigung, aus der ein Kind entstanden ist, das aber nach einem Jahr gestorben ist. Dass er Anna nun einen Heiratsantrag macht, ist nichts als Zynismus des Reichen, der damit seine Schuld wieder gut zu machen glaubt. Sie lehnt freilich ab und gewinnt damit Abstand zum Jammer, den sie durchgemacht hat, nicht ohne jedoch dem leidenden Heiland vorzuwerfen, warum er ihr nix weggelitten hat.

Jens Ole Schnmieder (Georg), Petra Gstrein (Anna), Doina Weber (die Untote) © Christian Mair

In dieser Novelle, im Originaltitel „Die Totenwacht“, hat Marie von Ebner Eschenbach Sozialkritik in ihre wunderschöne Sprache gegossen. Die Geschichte ist weitgehend unbekannt, da man die Dichterin automatisch mit „Krambambuli“ identifiziert und sich damit zufrieden gibt. Regisseurin Anna Maria Krassnigg von Salon5/THALHOF hat daraus ein packendes Stück Theater erarbeitet. „Am Ende eines kleinen Dorfes“ zwingt den Zuschauer, sich in diese elenden Zustände zu versetzen.

Nicht zuletzt trägt dazu die Bühnengestaltung von Lydia Hofmann bei. Verschmierte Fensterflügel, die Verwandlungen erlauben, vom Georg in den längst verstorbenen Vater oder der Untoten wie ein Gespenst durch die Lebenden zu weben. Ungesponnene Wolle quillt wie das Protoplasma der Ärmlichkeit aus einem Nachtkastel über die Szene, über den Schauplatz des unerbittlichen Kampfes zwischen einer selbstbewussten Frau und dem gefühllosen begüterten Bauernburschen. Dass dabei bei der Premiere vor den weiten Fenstern des Saales im Thalhof Reichenau ein Gewitter mit Blitz und Donner getobt hat, war zweifellos eine unkalkulierte Hilfe von oben, um die Darsteller auf der Weite der Bühne diese Tristesse körperlich erlebbar machen zu lassen. Es hätte aber auch an einem lauen Sommerabend nichts von seiner Wirkung verfehlt.

Petra Gstrein (Anna), Jens Ole Schmieder (Vater) © Christan Mair

Doina Weber ist die entschlafene Mutter, die aber als Untote zur Erzählerin der Texte von Ebner-Eschenbach wird. Sie kommentiert mit einem Touch von seliger Jenseitigkeit die Diskussionen der beiden jungen Leute und entschwindet, in Faschen gehüllt und weiß geschminkt (Kostüm: Antoaneta Stereva) schließlich im Nirwana des Nachtdunkels. Ihre Tochter Anna ist Petra Gstrein, die schlanke, noch hübsche Dreißigerin, die, wie Ebener-Eschenbach angedeutet hat, für ein Mädchen aber nicht mehr ganz so jung ist.

Sie müsste froh sein, noch einen Mann zu finden. Anna weiß aber ganz sicher, dass es nicht der Georg ist, der ungestüm auf sie einredet und der schon das Aufgebot beim Pfarrer bestellt hat. Jens Ole Schmieder wird zum gefährlich grunzenden Raubtier, das seine Beute erlegen will. Ein solches Exemplar von Mann lässt sich nicht einfach abweisen. Aber seine Beteuerungen, dass ihm alles, was er Anna angetan hat, leid tut, prallen an ihr ab.

Er lässt sich erst zum Gehen bewegen, wenn sie ihm eindringlich zu verstehen gibt, dass sie den Rest der Nacht noch mit ihrer Mutter alleine sein will. Die Adelige Marie von Ebner Eschenbach (Freiin und später sogar Gräfin) lässt am Ende keinen Zweifel offen, wem ihre Sympathie gehört, nicht dem brutalen Reichen, sondern ausdrücklich den im sozialen Rang ganz unten Stehenden, denen aber genügend Selbstbewusstsein verblieben ist, mit ihrer Armut aufrecht leben zu können.

Petra Gstrein (Anna), Jen Ole Schmieder (Vater), Doina Weber (die Untote) © Chistian Mair
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