Eine faszinierende Kultur-Reise in den Untergrund von Wien
„Diese Stadt sitzt auf einem ungehobenen Schatz!“
Freitag, 19 Uhr, Haupteingang Stephansdom, Parole: „Untergrund“; beinahe verschwörerisch versammelt sich die kleine Gruppe um „Peter von der Unterwelt“. Ausgerüstet mit Taschenlampen geht es hinein in den ersten Bezirk, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes, tief hinein in die Kellerlandschaft der Stadt. Über Jahrtausende wurde hier gegraben und eine Stadt unter der Stadt angelegt, „aus dem ganz einfachen Grund, weil man innerhalb der engen Stadtmauern keine andere Möglichkeit hatte, sich auszubreiten“, erklärt Peter das ungewöhnliche Streben in die Tiefe, „hier hatte man die Möglichkeit, Lagerräume zu schaffen, zum Beispiel die Eisgruben, in denen auch in der heißen Jahreszeit Lebensmittel frisch gehalten werden konnten.“
Ein anderer Grund war die Verteidigung der Stadt, die sich Gottlob während der Türkenbelagerung 1683 nicht bewähren musste. „Von jedem Keller der ummauerten Stadt hätte man in den Stephansdom flüchten können, um hier bis zum letzten Mann zu kämpfen.“ Die Erfahrung im Untergrund war den Wienern in diesen Tagen dennoch zugute gekommen. Die Türken hatten begonnen, Bastionen von außen zu untergraben. Reiskörner auf straff gespannten Trommeln verrieten diese Tätigkeit. Durch Gegengraben konnte der Minierkrieg zugunsten der Eingeschlossenen entschieden werden.
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Impressionen einer Kellertour:
o.: Längst vergessene Aktenbündel
u.: Ein phosphoreszierender Streifen als traurige Erinnerung
g.u.: Eine Wendeltreppeaus alten Tagen
Es war neuerlich ein Krieg, in dem die dicht vernetzte Kellerlandschaft als Schutz für die Bevölkerung eingesetzt wurde. Im Zweiten Weltkrieg wurden dort unten Luftschutzkeller und vor allem ein System von Fluchtwegen angelegt. Deren Spuren sind bis heute erhalten geblieben und sind eine der ersten Stationen dieser Reise in den Untergrund. Vorbei an offenen Stahltüren betritt man einige Stockwerke unterhalb des Straßenniveaus Gänge, an deren Wänden noch Orientierungshilfen angebracht sind: Wegweiser zu weit voneinander entfernten Punkten der Stadt und phosphoreszierende Streifen, die auch in der Dunkelheit ein Weiterkommen ermöglichten.
Der nächste Abstieg führt die Runde in historische Keller. Solide Tonnengewölbe aus doppelt gebrannten Ziegeln haben bis heute für Stabilität gesorgt und werden wohl auch noch mehrere tausend Jahre unverändert bestehen bleiben. Man betritt ein wahres Labyrinth, aus dem immer wieder Gänge zur Seite führen. Es gibt sogar fein ausgestaltete Wendeltreppen, die unterirdische Etagen miteinander verbinden. Teilweise sind die Kellerschläuche abgemauert oder mit Türen versperrt, nicht zuletzt aufgrund eines Baugesetztes aus 1952, das mit den „Durchhäusern“ unterhalb der Stadt aus welchem Grund immer Schluss machen wollte.
Bei seinen Recherchen im Untergrund stieß Peter dabei auf Spuren eines Ganges, der angeblich von der Hofburg nach Schönbrunn geführt hätte. „Das ist technisch natürlich nicht möglich“, verweist Peter ein solches Projekt ins Reich der Sage, „man hätte dabei unter dem Grundwasserspiegel durchgraben müssen.“ Die Wurzel zu dieser Legende dürfte seinen Erkenntnissen nach aber in einem Verbindungsgang vom Sitz des Monarchen zu einer Kavalleriekaserne im heutigen achten Bezirk liegen, auf den er an der Außenseite der jetzigen Zweierlinie, dem ehemaligen aus Verteidigungsgründen unbebauten Glacis, schlüssige Hinweise entdeckt hat.
In der Hofburg hat Peter Ryborz, so sein bürgerlicher Name, auch die Liebe zur Unterwelt entdeckt. Als technischer Zeichner waren ihm beim Wiederaufbau der abgebrannten Redoutensäle uralte Pläne der Hofburg in die Hände gekommen. Wenige Wochen darauf entdeckte er mit einem Gutachten, das sich mit einer Tiefgarage im Tunnel des Wienflusses beschäftigte, die Sensation schlechthin. Peter Ryborz: „Es handelt sich beim Wienflusstunnel um das europaweit größte unterirdische Areal unter einer Metropole“, für ihn Grund genug, um den ersten Kulturverein zur Pflege der Unterwelten mit dem Namen „Underground Club Vienna“ zu gründen.
Erste Begehungen dieses ausgedehnten Geländes mit Fackeln lösten einen gewaltigen Boom an Besucherinteresse aus. Hunderte Interessierte wollten mit ihm hinabsteigen. Das „Geschäft“ entwickelte sich so gut, dass er den Beruf als technischer Zeichner an den Nagel hängte und sich ausschließlich der Unterwelt widmete. Bewaffnet mit einer Buschtrommel und begleitet von einem Dudelsackbläser, alles nur, um die Ratten auf Distanz zu halten, machte er den Wienflusstunnel zum international begehrten Anziehungspunkt von Wientouristen – bis die Stadt selbst auf die Idee kam, ebendort Führungen zu den Originalschauplätzen des Films „Der dritte Mann“ zu veranstalten und den in diesem Punkt mehr als kompetenten „Vierten Mann“, Peter Ryborz, einfach auszuschließen.
„Mit dem Umbau des Hauptsammelkanals 2003, dessen Bauherr die MA 30 war, war die Sache für mich gestorben“, erinnert er sich nicht ohne einen Anflug von Bitterkeit, „und ich weiß nicht, wie viel Leute ich damit nach Wien gelockt habe.“ Seit mittlerweile zehn Jahren wartet er nun, wie sagt, „lammfromm, dass sich was ändert.“ Noch immer trägt er sich mit Ideen, das 11 m hohe, 21 m breite und fast 2 ½ Kilometer lange Areal als Ort der Kultur, in einer Verbindung aus Event und Kunst, nutzen zu können und hat die Hoffung nicht aufgegeben: „Wien sitzt auf einem Schatz, der noch lange nicht gehoben ist! Architektur, wie sie heute nicht mehr gebaut wird.“
Der Unterwelt ist er treu geblieben. Begleitet von seinem Maskottchen, der Fackelratte mit dem Slogan „Rättet die Unterwelt“, eröffnet er in kleinem Kreis den Besuchern im Rahmen der beschriebenen Kellerführungen die faszinierende Unterwelt von Wien (für weitere Info einfach die Fackelratte anklicken).
o.: Im Labyrinth unter der Stadt
l.g.o. & u.: Idealist und „Rattenfänger“: Peter Ryborz
g.u.: Wichtiges Requisit in der Unterwelt: Die Fackel